Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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uns nur noch Abkürzungen leisten, die natürlich sehr viel weniger pompös klingen. Ein S und ein A oder nun zweimal das gleiche S, das macht nicht soviel her. Aber man kann ja noch Hoffnung haben, und vielleicht, vielleicht wendet sich ja auch die übriggebliebene Doppelt-S-Garde noch mal gegen ihren obersten Anführer, und so ein Selbstmord, er wäre doch auch heutzutage noch die Lösung eines Problems. Ein Schuß und Schluß. Aber das beste an Nero bleibt natürlich, daß er Rom angezündet hat – angezündet haben soll, ich weiß, ich weiß, die Meinungen der Historiker gehen da auseinander. Aber auch das wird ja wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit umstritten bleiben, wer für den Reichstagsbrand verantwortlich ist, denn die Verantwortlichen werden ja wohl nicht so blöd sein, das aktenkundig gemacht zu haben, auf daß man’s irgendwann mal im Archiv nachlesen kann. Entscheidend ist nur, daß man’s Nero zutraute, daß man ihn damals schon gleich in noch römischen Zeiten verdächtigte, er wäre es gewesen, der Rom angezündet hat, hat anzünden lassen – ganz alleine wird er’s ja wohl nicht geschafft haben, der faule Sack. Entscheidend und von fortdauerndem Interesse bleibt, auch für die heutigen Zeiten, daß er, Nero, diesen Verdacht dann auf die Christen lenkte, eine kommunistische Untergrund-Sekte. Und dann setzte sie ein, die Christenverfolgung, für die Nero den Befehl gab, und es sollen ja viele im Kolosseum-KZ geendigt sein, den wilden Bestien vorgeworfen – ein gewisser Zeitbezug wäre also da, ein gewisser, und ich betone das gewiß.

      Kapitel 51: Der 27. Februarius

      Februarius, so nannten die Lateiner, die ollen Römer ihren Reinigungsund Sühnemonat, ihren Brandopfermonat – wie passend, wie passend.

      Also, Speedy, Speedy war in der Stadt, in Berlin, und wo anders konnte sie gewesen sein als bei Masseck, ihrem wieder aktuell aufgewärmten Liebhaber – jedenfalls hatte ich an diesem Tag keinen Grund anzunehmen, daß es da noch einen anderen, einen neuen geben könnte, und alles, was ich dann im nachhinein erfahren habe, von dem, was Speedy an diesem Tage erlebt hat, bestätigte diese Annahme. Wobei ich natürlich nicht alles erfahren habe: nicht, wie lange und wie oft sie mit Masseck im Bett war an diesem 27. Februar. Wie viele Höhepunkte sie an diesem Tag erlebt hat. Weiß ich nicht. Geht mich nichts an. In diese Details wurde ich nicht eingeweiht, die mich natürlich brennend interessiert hätten – brennend. Und außerdem hätte mich natürlich auch für diesen Tag brennend interessiert, wie sie’s mit Masseck trieb, in welchen Stellungen. Die Eifersucht ist eine lodernde Sucht, und Speedy war ja nicht an diesem 27. erst in die Stadt gefahren, sie war dies schon einen Tag davor, sie hatte also an diesem 27. schon mit Masseck einiges hinter sich, mit Masseck, den sie mir gegenüber mal sehr potent genannt hatte – in ihrer netten, offenherzigen Art. Speedy war also an diesem Tag satt und zufrieden durchaus in Grünheide Alt-Buchhorst, in ihrem Heim, zurückzuerwarten. Daß sie mal länger fortblieb als eine Nacht, das kam vor, war aber doch die seltene Ausnahme. Besonders in dieser Zeit, wo sie mich wohl ein bißchen unter Kontrolle haben wollte, damit ich nicht durchdrehe, damit die Angst mich nicht packt. Die Angst vor dem Nazi. Ich hatte den Busfahrplan natürlich im Kopf, denn so viele Busse fahren ja von Erkner nicht, insbesondere nicht im Winter. Von der Busstation an der Chaussee nach Kagel zu unserm Haus in der Petzseestraße, das ist ein Fußweg von knapp sieben Minuten, und also erhöhte sich für mich die Spannung, ob meine Speedy denn zurückkäme, mit der Regelmäßigkeit eines Zweistundentaktes seit dem frühen Vormittag in diesen fraglichen sieben Minuten immer wieder, obwohl mir mein Gefühl doch sagte: sie kommt nicht. Ich hatte die Uhr neben mich ins Atelier gestellt, ich malte, ich versuchte zu malen. Sehr konzentriert war ich nicht. Dies die Vorahnungen eines Künstlers zu nennen hieße zu übertreiben. Ich kam einfach mit meinem Bild nicht weiter. Hatte das fatale Gefühl, ich würde da Flächen auspinseln. Ich war immer noch mit meiner leerstehenden Fabrik beschäftigt. Und wartete auf Erlösung, wartete mit wachsender Nervosität auf meine Frau. Ich wartete aber auch darauf, daß diese letzten sieben Minuten dieses Tages, in denen ich mit ihrem Kommen rechnen mußte, rechnen konnte, vorübergehen, ohne daß sie kommt. Ich wäre auch darüber nicht ganz so unfroh gewesen, daß sie nicht kommt, denn dies hätte doch bedeutet, einen unbeschwerten Abend allein in weiblich schöner Unterwäsche verbringen zu können – unabhängig davon, ob meine Frau Lust darauf hat, mich als Frau zu sehen, und Spaß daran, meine Verweiblichung voranzutreiben.

      Genau um 18 Uhr und 34 Minuten kommt der letzte Bus laut Fahrplan, Winterfahrplan – wenn er kommt, nicht ausfällt und auch nicht unpünktlich ist. Mit gewissen Verzögerungen ist immer zu rechnen, besonders im Winter, besonders bei Schnee und Eis, und an all dem hat auch die nationalsozialistische Revolution nichts ändern können, die doch den Saustall Deutschland ausmisten, mal wieder für Ordnung sorgen wollte. Und, weil es diese Verzögerungen, Verspätungen doch gibt und damals im Februar 33 das sowieso noch nicht absehbar war, ob es der nationalsozialistischen Revolution, die ja erst einmal dabei war, allerhand durcheinanderzubringen in Deutschland, je würde gelingen können, wenigstens Fahrpläne in Ordnung zu bringen, waren diese letzten sieben Minuten dieses Februartages gesondert zu behandeln – all die anderen davor, sie erhöhten lediglich meine Spannung und Anspannung, ob meine Frau denn nun käme, diese letzten des Tages, sie erhöhten die Spannung und Anspannung, ob sie denn nun nicht käme, und diese Spannung und Anspannung, sie konnte dann nicht nach den sieben Minuten vorbei sein. Erlöst und frei war ich noch nicht, wenn sie vorüber waren, denn immerhin konnte der Bus, auf dieser unwichtigen Strecke natürlich ein alter Klapperkasten, mehr nicht, ja verspätet, verzögert kommen und sogar irgendwo liegengeblieben sein. Motorschaden, vereiste Bremsen, von der glatten Straße abgekommen, in eine Schneewehe hineingefahren, und das bedeutete, noch warten zu müssen, eine unbestimmte Zeit warten zu müssen. Das bedeutete, nicht zu wissen, wie lange zu warten ist – maximal eine Stunde, für den Fall, den unwahrscheinlichen Fall, daß sich Speedy zu einem Fußmarsch entschließt. Im Winter? Durch den Schnee, in der Dunkelheit? Davon war nicht auszugehen, aber ganz und gar auszuschließen war das selbst bei Speedy nicht, die sich, im Unterschied zu mir, so überhaupt nichts aus Wanderungen macht.

      Eine zwar nicht allzu oft, aber oft genug schon erlebte, durchlebte Situation, und an besagtem 27. Februar 33 fiel ich wieder in das Loch, das ich schon kannte, in das ich jedesmal falle, wenn ich so auf Speedy warten muß. Ich blieb im Atelier sitzen, vor meinem Bild sitzen, ich drehte die Uhr um, um nicht sehen zu müssen, wie die Zeit vergeht. Und ich begann erst dann richtig zu malen, kam endlich doch über das feige Auspinseln von Flächen hinaus und malte mich im Hintergrund meines Bildes frei, bei dem dunklen Wald, den es dort geben sollte – diese leerstehende kleine Fabrik, sie sollte nicht in einer städtischen Umgebung leer stehen, sondern irgendwo in der Provinz und also in diesem Umstand wirklich der Fabrik gleichen, die ich am Rande von Erkner so leer und vor sich hin stehen und verrotten gesehen hatte. Das geht ja schneller, als man sich das denkt, wie eine solche unbenutzte Werkstatt verfällt. Nach ein paar wenigen Jahren reißt man eine solche Fabrik besser ab und baut sich eine neue, falls die Konjunktur wieder anspringt, es mit der Wirtschaft wieder bergauf geht. Also malte ich endlich, also wurde ich an diesem bisher so öden, auch künstlerisch öden 27. Februar mehr als ein bloßer Malermeister, der sich seiner Meisterschaft so überhaupt nicht sicher ist, zu einem Künstler, und das war dann doch schon mal die Rettung, die Rettung aus diesem dunklen Loch des unbestimmten Wartens, und im Hinterkopf die gute Gewißheit, danach dann noch ein paar Stunden vor mir zu haben, die mir guttun würden, ein paar weibliche Stunden. Plötzlich aber klingelte das Telephon, dessen Klingeln ich auch vom Atelier aus im Gartenhaus hören kann, und das Klingeln ließ mich erschreckt aufschrecken. Ich drehte die Uhr um, es war halb zehn, genau 21 Uhr und 36 Minuten, und heute weiß ich, daß der Brand des Reichstages gegen neun entdeckt worden war. Heute weiß ich, daß der Lokalreporter Masseck bereits um 21 Uhr 10 einen Anruf von seiner Redaktion erhalten hat mit der Aufforderung, sich umgehend zum brennenden Reichstag zu begeben, man brauche seine Vor-Ort-Reportage bis Mitternacht, man würde die Frontseite der BZ am Mittag für seinen Bericht solange freihalten. Ich weiß nicht, in welchem Zustande der Zeitungsschreiber Masseck von diesem Anruf seiner Zeitung überrascht wurde, und wenn ich hier Zustand sage, dann meine ich die Frage danach, ob es ihm in diesem Augenblick der Weltgeschichte, der zumindest deutschen Geschichte, grad stand, ob er gerade mit einer veritablen Erektion gesegnet und mit Speedy zugange war. Darüber fehlen mir die Informationen, jedenfalls aber war Speedy bei ihm, jedenfalls aber gehörte Speedy aufgrund dieses Anrufes mit zu den ersten, mit zu dem kleinen Personenkreis in Deutschland,


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