Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Nachthemdes einzuwenden haben würde, haben könnte, ja, daß sie mich vielleicht genau deshalb dazu aufgefordert habe, es zu tragen, auf daß ich es zum Beweise meiner Erregung beflecke, daß ich mich auf diese Weise ihr als das offenbare, was ich war und bin und hier nun im Gefängnis noch einmal mehr bin und sein muß, ein kleiner Wichser, ein Wichserchen, und das hieß und wollte mir bedeuten, daß meine Angst also unbegründet war, die Angst vor der Befleckung, die Angst vor dem Samenerguss – sollte sie mir doch eine Szene machen deswegen, wegen einem Fleck, einem Spermafleck. Dieser peinliche Moment, er versprach wunderbar zu werden. Und ich befleckte es, befleckte das Nachthemd von Speedy und tat nichts dagegen, genau dies zu verhindern.

      Plötzlich aber fühlte ich mich nicht Frau genug, plötzlich wurde ich mir in meiner Glückseligkeit des gravierenden Mangels bewußt, der mich von einer Frau unterscheidet, und ich spreche hier von dem Mangel, nicht dem Zuviel, dem kleinen Schnörkel, der diese Frau immer noch Mann bleiben ließ und der sich nun, nach der Befleckung, ganz schnell wieder auf einen bloßen Schnörkel reduziert hatte, auf ein zu vernachlässigendes Schniepelchen, ich spreche von den mir fehlenden Schwellungen, den Schwellungen im weiblichen Brustbereich, spreche von Titten – um das einmal so ordinär Titten zu nennen, was mir zum Weibe fehlte und fehlt. Und immer fehlen wird. Solange es der medizinischen Wissenschaft nicht einfällt, wie diese Mangelerscheinung nicht doch irgendwie operativ zu beheben ist oder durch ein paar Pillen, die zu schlucken sind – aber glauben wir doch wenigstens an diesen Fortschritt. Vielleicht haben es ja nachkommende Generationen von Männern besser, und ich sage das einfach so hin: Männer und differenziere da gar nicht und spezifiziere es nicht auf die wenigen Männer, die, wie ich, Sehnsucht nach richtigen Brüsten haben könnten, ich behaupte das einfach so, daß wir Männer alle da lieber mehr als nur diese rudimentären Brustwarzen hätten – von wegen Penisneid, der Frauen Penisneid. Tittenneid, Säugetierneid. Das ewig Weibliche zieht uns hinan. Oder als Männer eben für immer runter. Ins Nichts des Säugungsunfähigen. Aber auch ohne das Nuckeln dran, ohne den Säugling, das Baby, die Gebärfähig- und Gebärfreudigkeit gibt es nichts Schöneres auf der Welt als die schönen Brüste des schönen Geschlechts, und von mir aus müssen das gar keine großen Euter sein, ich liebe ja die kleinen Busen, Speedys Busen, ihre flachen, festen Brüste. Ihre Brüste, die so flach und fest sind, daß sie keinen Büstenhalter nötig haben. Aber natürlich hat Speedy welche, besitzt Speedy da ein paar schöne BHs, und sei es als bloße Dekoration, und weil es doch einen ungeheuer erotischen Effekt macht, wenn sie sich dieser Verhüllung ihrer reizvollen Brüste entledigt, und also wußte ich, was ich zu tun hatte: in Speedys Kleiderschrank nachschauen, ob mir nicht da doch einer ihrer Büstenhalter passen könnte und dann dessen kleine Körbchen der Größe A irgendwie auszustopfen wären, und ich sprang aus dem Bett und wagte diesen Schritt meiner Verweiblichung, wagte ihn ganz auf meine Kappe, ohne von Speedy dazu aufgefordert zu sein – sie wollte mich doch als Frau, und sie würde doch dann wohl gegen diese Überraschung gar nichts haben können, mich auch oben herum und brust- und BH-mäßig als Frau perfektioniert zu sehen. Ich kam mir geradezu wie ein eifriger Musterschüler beziehungsweise eine eifrige Musterschülerin vor.

      Und dann lag ich wieder da, nun mit einem BH, mit einem ausgestopften Büstenhalter in unserm Ehebett – ausgestopft mit einem Paar schon von Speedy benutzter Seidenstrümpfe, und dieser BH, er paßte zwar, aber doch nur knapp und gerade so, und ganz schön eng war das gute Stück schon, beengt und in meinem Atem jedenfalls eingeschränkt fühlte ich mich, was aber natürlich nichts an meinem Glück änderte, an meinem weiblichen, verweiblichten Glück, und dann muß ich wohl weggedöst sein, eingeschlummert. Als ich nach Stunden plötzlich aufschreckte und aufwachte, mir war so, als hätte ich da ein Geräusch gehört, brannte noch die Nachttischlampe, und es war, der Wecker zeigte es, kurz nach fünf in der Früh. War es dieser Schreck, dieses schreckhafte Erwachen, was mich so wach machte, daß ich dann nicht wieder einschlafen konnte? Daß ich mich quälte und von der einen Seite zur anderen wälzte und doch keinen Schlaf finden konnte? Und daß es mit einemmal in der Dunkelheit, ich hatte die Nachttischlampe ausgeschaltet, bei mir hier oben im Dachstübchen zu rumoren anfing, daß diese fatale, fiebrige, höhere Denktätigkeit einsetzte, die mich von Minute zu Minute in immer größere Aufregung, nicht Erregung, versetzte? So war es wohl. Ein Schreck saß mir in den Gliedern, wollte nicht weichen, und da konnte ich mir dreimal sagen, daß da wahrscheinlich nur des Nachbarn Katze ums Haus geschlichen sein wird und mein Grünheide Alt-Buchhorst in gewohnter provinzieller Ruhe dalag und von dieser Welt da draußen für mich nichts zu befürchten war. Der Schreck macht wach, die Furcht läßt denken – auch die unbegründete.

      Und so, furchtsam und wach und erschreckt, begann ich also zu suchen, nach Gründen zu suchen, nach dem Grund, was Speedy wohl zu diesem Schritt veranlaßt haben könnte, mich noch anzurufen, mir diese merkwürdigen Aufträge zu geben, die, so schön sie doch waren, mich doch auch verunsicherten, und insbesondere dieser Moment, der mir noch bei ihrer Rückkehr bevorstand, er beunruhigte mich doch, daß ich ihr da nun als Frau entgegentreten sollte – was, wenn sie da dann lauthals in Gelächter ausbricht und der schöne Traum vom schönen Geschlecht damit für mich beendet ist? Was ich zuerst vermutete, das war, daß mir Speedy durch diese ganzen Aufträge und Aufgaben für mich wegen der paar Mißhelligkeiten in der vergangenen Zeit, die ich doch aber nicht für so gravierend gehalten, gar nicht als so schlimm erlebt hatte, in meinen Wünschen, den von ihr richtig vermuteten Wünschen entgegenkommen wollte. Wegen Masseck. Das schien einleuchtend. Und daß mir das mit Masseck nicht behagte, das war klar, das mußte auch Speedy klar sein. Weil ich’s ja nicht verstand. Dieses Wiederaufwärmen. Aber der Gedanke beruhigte mich nicht, der mit Speedys Entgegenkommen. Und er konnte mich auch nicht beruhigen, weil ich ja diesen Moment noch vor mir hatte, von dem ich doch wußte, was für eine Herausforderung dies für mich bedeuten würde, mich zum ersten Mal meiner Frau und in ihr zum ersten Mal einem anderen Menschen überhaupt als Frau zurechtgemacht zu zeigen, vollkommen als Frau zurechtgemacht zeigen zu müssen. Mit Rock und Bluse oder vielleicht einem ihrer Kleider, geschminkt und nun auch mit einem BH, einem weiblich ausgestopften. Und als Victoria de Fries, und das war doch der größte Irrsinn. Ein Irrsinn, der einen ganzen Reigen von Gefühlen, sich heftigst widerstreitender Gefühle in mir auslöste: von stärkster Scham bis zu Glückseligkeit.

      Gut, wenn das alles gewesen wäre, ein Auf und Ab der Gefühle, aber das Denken hört ja nicht so leicht wieder auf, wenn es bei mir erst mal in Gang gekommen ist, und dieses Denken, es wurde dann doch stutzig und begann ganz anderweitig zu assoziieren, und besonders, warum das Ganze nicht bis zum nächsten Tag von Speedys angekündigter Rückkehr hatte warten können, gab mir zu denken, denn schließlich hätte ich ja diese Aufgabe einer Verweiblichung bis in die oberste Kleidungsschicht hinein von ihr auch dann erst bekommen können, separat und auf mich allein gestellt in unserm Schlafzimmer zu vollziehen, während sie im Salon auf mich wartet, meinen Auftritt als Frau, als dann sehr viel perfektere Frau erwartet – warum mußte für Speedy dies alles schon am Abend zuvor beginnen, während ihrer Abwesenheit? Und dann das Nachthemd, die Nacht in ihrem Nachthemd. Warum? Keine Antwort erst und dann aber doch der Zipfel einer Antwort, etwas, in das ich mich verbiß. Erst nur eine Assoziation, eine Gedankenverbindung, wenig substantiiert. Ein flüchtiger Gedanke, aber ich hielt ihn fest, klammerte ihn fest, und dann machte es Klack, Klack, und ich hatte das Gefühl, als fiele bei mir der Groschen: da war doch etwas ganz, ganz ähnlich an Speedys Verhalten, daß sie mich anderweitig beschäftigte, mit meiner Verweiblichung beschäftigte, denn genau das hatte sie doch schon einmal getan, am 30. Januar, dem Tag, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, dem Tag der Machtergreifung – die Ähnlichkeit war doch frappant, die Analogie in Speedys Verhalten mir gegenüber. Ihrem Mann gegenüber, den sie für einen Angsthasen hielt und für einen Angsthasen zu halten doch auch gewichtige Gründe hatte und immer noch hat. Plötzliche Panik, ob da vielleicht wieder irgend etwas in Berlin passiert sein könnte, das mich eigentlich und im höchsten Maße beunruhigen müßte, etwas aber, über das ich mich aber nicht, wenn es allein nach Speedy ginge, beunruhigen sollte, von dem sie mich fernhalten wollte, ablenken wollte. Genau das könnte es doch sein. Genau so.

      Wilde Spekulationen darüber, was in Berlin passiert sein könnte: ich phantasierte von einem Bürgerkrieg, von einem Aufstand der organisierten Arbeiterschaft, einem Zusammengehen von SPD und KPD, von der Überwindung des bis dahin unüberwindlich scheinenden Bruderzwistes. Sosehr ich den Nazi hasse, sosehr ich auch die beiden Arbeiterparteien dafür verachtet hatte, daß


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