Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Punkte, in denen sie sich irren sollte, denn dieser eine Marius van der Lubbe reichte ihnen doch nicht, sie wollten die Situation doch nutzen, ein paar Kommunisten mehr ranzukriegen als diesen verrückten Holländer, von dem sie vielleicht da schon wußten, daß er bloß ein fehlgeleiteter Einzelgänger war, mit dem sich keine richtige Verschwörungstheorie basteln ließ. Brecht zum Beispiel, so habe ich gehört, Brecht entging seiner geplanten Verhaftung, Verschleppung durch die SA erst an diesem Tage, am Tage danach, nach dieser Nacht erst des Reichstagsbrandes. Hat mir Franz Jung so erzählt. Jahre später.

      Von wegen: in Ruhe darüber reden – wir gingen sofort aufeinander los, nachdem wir uns unerkannt, von niemandem dabei gesehen ins Haus eingeschlichen hatten, in unser Haus, und Speedy, Speedy war da einfach schnurstracks die Petzseestraße langmarschiert, ohne nach links und rechts zu schauen, und mir zitterten die Knie, ich sah den Nazi aus jeder Garteneinfahrt herauskommen, hinter jeder Hecke auch hervorstürmen, aber niemand behelligte uns, und wohl weil wir so unbeschadet ins Haus gelangt waren und auch dort uns nicht eine ihre Gummiknüppel, ihre Totschläger schwingende Meute in Empfang genommen hatte, entlud sie sich so eruptiv, die Spannung in jedem von uns, die Spannung zwischen uns. Speedy fing ganz harmlos an, als wäre das die Zeit, wo man sich mal so philosophisch distanziert über das Weltgeschehen austauschen könnte. Wie oft habe man sich doch gewünscht, sagte sie, es käme jemand und mache diese überflüssige Quatschbude einfach zu, fackele sie von ihr aus auch ab, nun aber, wo der Reichstag brennt, das meine auch Masseck, könne man sich diese Verachtung der Demokratie gar nicht mehr leisten, falle sie auf einen selber zurück. Auch eine schlechte Demokratie, so habe Masseck gesagt, ein Parlament, das sich nur durchwurstelt, erscheine mit einemmal besser als die Diktatur der Nazis und deren rigide Ordnungsvorstellungen – was Masseck so sagt, wenn die Nacht lang wird und auch er ja nicht die ganze Zeit Liebe machen kann. Der Reichstagsbrand, das sei das Menetekel, das Zeichen an der Wand, so Speedy, so wahrscheinlich Masseck. Die Abschaffung der ganzen parlamentarischen Demokratie, das sei doch immer das eigentliche Ziel der Nazis gewesen, dieses Ziel auf parlamentarischem Weg zu erreichen, nur ein Trick – so wiederum wahrscheinlich Masseck. Der Reichstagsbrand, das sei jetzt das Symbol dafür – ich wäre nicht so gut mit Symbolen, sagte ich zu Speedy, ich sei ein realistischer Künstler, ein Nachahmer der Wirklichkeit, und Speedy erwiderte, im Unterschied zu mir aber verstünden sich die Nazis auf Symbole. Womit sie sicher recht hat, und auch mir war doch dann sehr rasch der Gedanke gekommen, es müßten die Nazis selber gewesen sein, die den Reichstag angezündet haben, und zwar genau als Symbol für die von ihnen beabsichtigte Abschaffung der parlamentarischen Demokratie, aber wo Masseck das nun so meinte, wollte ich’s nicht mehr meinen und auch andere Möglichkeiten gelten lassen, dieser Holländer zum Beispiel, der Marius van der Lubbe – was, wenn er’s wirklich war, selber und ganz allein gewesen ist? Das habe Masseck sofort ausgeschlossen, daß das ein einzelner Mensch, ein Einzeltäter überhaupt schaffen könne, ein so großes Gebäude in Brand zu setzen, und Masseck habe es ja mit eigenen Augen gesehen, wie das Feuer aus mehreren Ecken des Reichstages herausschlug – Masseck, der Brandsachverständige. Das mit dem Brandsachverständigen Masseck, das hätte ich sicher lieber nicht sagen sollen, denn das ärgerte Speedy, und sie giftete zurück: immerhin hätte Masseck garantiert ein paar Brände mehr gesehen als ich, als wir beide zusammen, er sei ja schließlich Lokalreporter – seit knapp einem Monat. Der Hinweis lag mir auf der Zunge, ich verbiß ihn mir dann aber doch. Masseck, so Speedy, sei sich jedenfalls sicher, daß nur die Nazis selber die Brandstifter sein könnten, er habe sich, als er spät in der Nacht von seinem Ortstermin Reichstagsbrand zu Speedy zurückgekehrt sei, nur darüber lustig gemacht, daß die Nazis so rasch einen arbeitslosen holländischen Kommunisten als Brandstifter präsentiert hätten – immer wieder Masseck und wie recht Masseck habe, das ärgerte mich natürlich und weckte meinen Widerstandsgeist, und sei es nur, weil ich mit Masseck partout nicht einer gleichen Meinung sein wollte, sah ich das alles natürlich ganz anders und beharrte darauf, daß das mit dem Reichstagsbrand sehr wohl ein Einzeltäter gewesen sein könne und genau dieser dann, den uns die Nazis vor die Nase setzten, die noch vom Brandgeruch gereizt ist, genau der passende für einen solchen Irrsinn: ein arbeitsloser Kommunist, ein Holländer, der auf eigene Kappe losgeht, ohne den Auftrag seiner Partei, der Kominternzentrale – ich würde doch solche Leute besser kennen als sie und Masseck, ich hätte mit denen schließlich mal etwas näher zu tun gehabt. Auch bei den Kommunisten gebe es doch nicht nur Befehlsempfänger, glatte Funktionäre, die nur auf Anweisung von oben hin aktiv werden. Das Fußvolk habe schon seine eigenen Füße, gehe seine eigenen Wege, zu dirigieren wären die doch alle nicht von ihrer abgehobenen Parteiführung. Und außerdem, sagte ich, ich verstünde das schon, ein Fanal setzen zu wollen, sich dabei selber als Opfer darzubringen, die Verzweiflungstat, ich könne das sehr wohl nachzuvollziehen, auch als Protest gegen die vielen, die nicht merken, nicht wahrhaben wollen, was gespielt wird, die blind gegenüber den gravierenden Veränderungen bleiben, die sich vollziehen. Ich hätte sie doch kennengelernt, solche Leute in der Arbeiterschaft, die ihren eigenen Kopp haben, auf eigene Faust handeln und sich auch nicht von ihrer eigenen Partei disziplinieren lassen. Oben sei das Strategie und Taktik, unten meist die pure Verzweiflung. Ein explosives Gemisch aus Rebellion gegen die Verhältnisse und Unterordnung unter die Partei. Ich sagte Speedy, auch ich würde an eine kommunistische Verschwörung nicht glauben, die würde ich der Partei nämlich gar nicht zutrauen. Die KPD sei doch sicher vollkommen paralysiert, damit beschäftigt, sich diese Niederlage zu erklären, die ihnen der Nazi beigebracht hat. Sie wollen ja immer eine Theorie, diese Welterklärer. Das mag sein, sagte Speedy spitz, und auch Masseck meine ja, den Nazis wäre es eher zuzutrauen, daß sie den Reichstag selber angezündet haben, um das dann den Kommunisten in die Schuhe schieben zu können. »Wie originell«, sagte ich da, und das ärgerte Speedy. Und daß sie sich ärgerte, über mich ärgerte, das war nun überhaupt nicht gut und gar nicht das, was wir in dieser Situation brauchen konnten als Paar, als Ehepaar: daß wir wieder mal in der Einschätzung des politischen Geschehens nicht einig waren.

      Aber es sollte noch schlimmer kommen, unsern Streit noch einmal mehr eskalieren und war doch wohl von Speedy ganz anders und gut gemeint, als Mittel grad, unsern Streit zu beenden – sie macht das ja oft so, daß sie abrupt das Thema wechselt und dann meint, das vorherige sei damit beendet. Vielleicht bin ich einfach nicht geistig beweglich genug, zu träge im Malerkopf, aber ich komme da meist nicht mit bei diesen raschen Wendungen, die mir so weiblich irrational erscheinen, zu emotional für einen Mann, der ich eben doch bin, so wenig nachvollziehbar. Ich bocke dann, und Speedy merkt’s nicht, insistiert nur immer mehr, und so auch an diesem Morgen, diesem späten Vormittag, als sie mich dann plötzlich aufforderte, ich solle doch endlich den Mantel ausziehen – ich hatte ihn noch an, diesen Mantel, ihren Mantel, und das nicht nur, weil ich vom Wald noch durchgefroren und es bei uns im Haus nicht warm war, wo ich doch vor meiner Flucht nicht erst noch geheizt, die Glut im Ofen angestochert, wieder angefacht hatte, sonst ja das erste mit, was ich tue. Ich hatte den Mantel noch an, weil wir da gleich, nachdem wir die Haustür hinter uns zugezogen hatten, in unsere leidige Diskussion geraten waren, den Streit, den Speedy nun beenden wollte, mit dem wohl untauglichsten Mittel. Mit dem einer Forderung an mich – nicht, daß sie etwa flötete: Zieh doch den Mantel aus, Schatz, nein, sie verlangte es geradezu von mir, in diesem Ton, den ich doch von ihr kenne, wenn sie unbedingt etwas will und dagegen dann kein Ankommen ist. Ich solle meinen Mantel ausziehen, endlich meinen Mantel ausziehen, sie wolle mich als Frau sehen – als Frau, das war der Themenwechsel, der von ihr angestrebte: vergessen wir den Reichstagsbrand in Berlin. Aber soweit war ich noch nicht, und also purzelte das aus mir heraus, was als Vorwurf gegen Speedy in mir war, das, worauf ich sie irgendwann andermal zu einer ruhigeren Stunde hatte ansprechen wollen. Ich sagte ihr, und ich weiß, daß ich dabei leicht hysterisch klang und mich dadurch schon mal ins Unrecht setzte, daß sie mich durch ihre großartige Idee gestern abend, ich solle mich als Frau zurechtmachen, solle sogar in ihrem Nachthemd schlafen, in eine Lage gebracht habe, wo ich das Opfer einer Vergewaltigung hätte werden können – entweder verstand sie’s wirklich nicht oder sie tat nur so: wovon ich überhaupt reden würde, wer mich denn hätte vergewaltigen können, vergewaltigen wollen? Ich sagte ihr, und ich weiß, mein Ton war furchtbar rechthaberisch dabei: sie habe mir doch diese ganze Sache mit meiner Verweiblichung gestern abend und dann auch noch das mit dem Namen Victoria de Fries nur deshalb suggeriert, ja, zur Aufgabe gemacht, weil auch sie es für möglich gehalten habe, daß ich hier von den Nazis verhaftet werden könnte – Speedy nickte, Speedy nickte


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