Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Eheschließung glaubte sie das noch, ihren Mann und also mich erziehen und ummodeln zu können. Später hat sie dies dann doch mehr und mehr aufgegeben, leider aufgegeben, damals aber, da war ich noch ihr Erziehungsobjekt, und das Erziehungsobjekt Schlechter glaubte und mußte annehmen, daß dies nicht ohne Hintersinn geschah, wenn sie nun mit mir genau in diesen Bus einstieg, der in der Nähe des Reichstages entlangfährt – sollte sie mir denn etwa wirklich einen kurzen Blick auf den Reichstag gönnen wollen, einen zumindest ganz kurzen vom Bus aus? Ich wußte ja in etwa, wo diese Buslinie langführt, und mit jedem Meter also stiegen meine Chancen, und Speedy hatte doch auch unsern Sitzplatz im Oberdeck so gewählt, daß wir, auf der rechten Seite sitzend, den Reichstag würden sehen können. Und dann kam er, wir sahen ihn zum erstenmal, als wir auf der Wilhelmstraßen-Brücke über die Spree fuhren, und wir sahen ihn dann gleich noch einmal für einen kurzen Moment, als wir die nächste Straße kreuzten, und es wimmelte da nur so von Leuten, und die Feuerwehrautos standen in großer Zahl herum, und es qualmte auch noch aus einer Ecke des großen, klobigen und eigentlich so häßlichen Gebäudes, und wie gern wäre ich da nun aus dem Bus ausgestiegen und hätte mir die ganze Sache mal von nahem angesehen, und Speedy, Speedy wußte das natürlich ganz genau. Kurz nachdem wir mit dem Bus die Linden überquert hatten, fragte sie mich, und sie tat es ganz scheinheilig und so, als hätte ich bei ihr eine Chance, daß ich doch wohl sicher gern mal aussteigen und mir den Reichstag aus der Nähe ansehen würde, und eine Frage war das nur insoweit, als sie hinten am Ende dieses Satzes ein bißchen mit der Stimme hochging. Und natürlich mußte ich das bejahen, es war ja die Wahrheit. Und nur in der Wahrheit lag meine Chance, sie gnädig zu finden gegenüber einer allzu menschlichen Schwäche, meiner Schwäche. Aber Speedys Perspektive war doch eine andere, eine katholisch strenge in diesem Falle, sie sagte: »Das überlassen wir doch mal Gott, er sieht alles, und er soll auch alles sehen.« Und das reizte mich dann doch zum Widerspruch, und ich erwiderte: »Weil sich dein Gott sonst in seiner Ewigkeit zu Tode langweilen würde oder weswegen?« Darauf Speedy, so sehr strenggläubig, wie sie manchmal sein konnte: »Weil er richten wird und auf menschliche Zeugen bekanntlich kein Verlaß ist.« Was gab’s dazu noch zu sagen: wenn das so ist? Schade. Aber Speedy war noch nicht ganz fertig mit mir, ihr armes Männchen hatte noch eine weitere, dann aber nicht mehr so theologische Lektion zu lernen, sie sagte, und sie sagte es hart und schroff: »Aber wir werden es auch aus einem anderen Grund nicht tun, uns den Reichstag ansehen, den du so gerne sehen würdest.« Was mochte das für ein Grund sein? Ein Grund, wie sie sagte, der mehr der menschlichen Sphäre nahe sei, in der wir uns bewegen, und dann fragte sie mich, ob ich auch den noch wissen wolle, und natürlich wollte ich und mußte ich auch dies bejahen, kleinlaut bejahen, meiner menschlichen Kleinheit angemessen. Nachdem ich mich in meiner Winzigkeit zu erkennen gegeben hatte, sagte Speedy: »Du hast doch sicher die graue Masse vor dem Reichstag gesehen, die Schaulustigen … « Hatte ich. Ich nickte also. Und Speedy weiter: »Ich möchte mich da mit dir nicht einreihen, und ich möchte auch nicht, daß mein Mann einem solchen primitiven Verlangen nachgibt, und da du selber nicht die Kraft dazu hättest, dem zu widerstehen, wird deine Frau dafür sorgen, daß du dies nicht kannst.« Das war klar ausgedrückt, so klar, daß es mir auch nicht geholfen hätte, mich mit meinem Malerauge zu rechtfertigen, damit, daß ich doch immerhin Maler sei, und auch ein Hinweis auf Turner, der den Brand des House of Parliament in London gemalt habe, hätte hier bei Speedy nicht verfangen. Also schwieg ich, verzog natürlich das Gesicht dabei, ihr meine Enttäuschung nicht verbergend, und als sie mich so sah, sagte sie etwas, das mir doch zu denken gab: »Würdest du denn gern bei deiner Hinrichtung feixendes Publikum mit dabeihaben wollen? Oder eine gaffende Menge, wenn dir ein Auto grad das Bein abgefahren hat?«

      Das war natürlich eine gute Frage, und sie war deshalb so gut, weil ich sie, als Speedy sie mir stellte, gar nicht zu beantworten wußte – heute aber, ein paar entscheidende Nazi-Jährchen später und nun, wo ich hier im Gefängnis und damit in einer anderen Situation stecke, wüßte ich sie schon zu beantworten, diese Frage, zumal sie ja auch eine sehr viel drängendere geworden ist, jetzt, wo mir nicht nur ein Gerichtsverfahren, eine dann immer noch ordentliche Verurteilung droht, sondern vielleicht auch die für das Regime sehr viel elegantere Lösung des Problems Schlechter, das so viel unordentlichere KZ, und meine Antwort wäre, daß ich die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen haben möchte bei einer Gerichtsverhandlung gegen mich, das feixende Publikum, das sich über diesen lächerlichen Ehemann mokiert und moralisch erhebt, der nichts dagegen hatte, daß seine Frau ganz unnationalsozialistisch mit anderen Männern ins Bett geht, der dagegen ob seiner zu klein geratenen Männlichkeit nichts dagegen haben konnte. Ich würde mich in meine Lächerlichkeit retten wollen als die einzige Möglichkeit, meine Würde zu bewahren, das bißchen, was ich an Würde nur habe. Ich würde das feixende Publikum, das nur glauben kann, einem solchen wie mir geschähe nur recht, sogar bei meiner Hinrichtung dabeihaben wollen, die Schaulustigen, die Sensationsgeilen, bei meinem letzten, schweren und schwersten Gang zum Schafott, ich würde eine öffentliche Exekution verlangen, die leider aber auch der soviel barbarischere Nazi seinen Opfern nicht zugestehen will, und ich würde mir in die Hosen scheißen dabei vor Angst und hätte nichts dagegen, nach Scheiße stinkend mein Leben auszuhauchen, wenn ich nur ein paar Leute mehr mit meinem Gestank belästigen, wenn ich ihre Fressen dabei sehen könnte – und warum würde ich das, ein solches schmähliches Ende bevorzugen? Weil es mir den Abschied von der Welt erheblich leichter machen würde, sähe ich die Menschheit in meinen letzten Momenten in dieser widerlichen Verfassung: feixend, gierend nach meinem Tod, angewidert von diesem kläglichen Hosenscheißer, von einem Schlechter, der noch nicht mal bei seinem Abgang eine gute Figur abgibt. Mitleidslos. Roh. Und dann gehen sie heim zu ihrem Sonntagsbraten. Oder kehren ein, ein kühles Bier zu trinken mit viel Schaum obenauf. Und ihre Welt ist in Ordnung. Aber ich übertreibe natürlich wieder mal, denn soweit wird mich meine unnationalsozialistische Lebensweise nicht bringen, daß man mich umbringt, umbringen will. Bleibt das KZ, und da würde es mir schwerer fallen, totgeschlagen zu werden, entkräftet zusammenzusinken, mein Ende herbeiwünschend, und es würde mir schwerer fallen, weil ich dort dann doch wohl nicht nur mit Monstern zu tun hätte, sondern mit Menschen, mit meinesgleichen, Menschen und Opfern, Menschen gleich Opfern, mit der Menschheit also, wie auch ich sie lieben könnte und dann lieben müßte – bliebe nur darauf zu hoffen, daß auch diese Menschen im KZ keine Menschen sind, daß auch sie den perversen Schlechter verachten. Als unpolitisch. Weil ich nicht gekämpft habe, keinen Widerstand geleistet habe. Noch nicht mal schwul bin und den rosa Winkel doch nur zu Unrecht tragen würde. Ein Nichts. Ein Asozialer.

      Kapitel 55: Im Kaufrausch

      Speedy jedenfalls war im Kaufrausch, geriet in einen Kaufrausch, und ich mit, ich rauschte mit. Ich bin ja der geborene Mitläufer, Mitmacher, Opportunist. Ihre Begleitung, Speedys Begleitung, und das mußten sie doch denken, diese Verkäuferinnen dort in den verschiedenen Läden, den Miederwarengeschäften, die Speedy nacheinander mit mir aufsuchte, derer drei an diesem Tage, weil wohl aller guten Dinge drei sind, daß ich nur zu ihrer Begleitung mit bin, mitgekommen bin, daß es uns um etwas Schönes für die schöne Speedy ginge, um Wäsche für sie, die Frau, die schöne Frau, und nicht etwa für mich, den häßlichen Mann, der hinter ihr herdackelte wie ein folgsames Hündchen. Aber es ging um mich, und das war das Fatale, und natürlich kam es bei den drei Geschäften jeweils ganz entscheidend auf diesen einen Moment an, wo ihnen dies in den drei diversen Läden klar würde, diesen wirklich sehr verschiedenen Verkäuferinnen dort – gleich dreimal an einem Tag die gleiche Prozedur. Aber jedesmal anders. Anders, weil wir es jedesmal mit sehr unterschiedlichem Verkaufspersonal zu tun hatten, mit Verkäuferinnen, die sehr differenziert auf Speedys Ansinnen reagierten, auf ihre feste Absicht, für ihren Mann ein bißchen was an Wäsche zu kaufen, anders auch, weil die Situation doch auch eine jeweils sehr unterschiedliche war: Der erste Laden war voller Kundschaft, ausschließlich weiblicher Kundschaft, der zweite war es nicht, er war leer, fast leer und ausgerechnet dann auch noch ein männliches, sehr männliches Wesen dort anwesend, und beim dritten Miederwaren- und auf Korsetts spezialisierten Geschäft waren und blieben wir das dann auch die ganze Zeit, mit der Chefin, der Ladeninhaberin, allein, die dort noch selber hinterm Verkaufstresen stand. Anders aber auch, weil Speedy dies durchaus zu variieren wußte, wie sie es den Frauen mitteilte, die es doch wissen mußten, daß sie nach Wäsche für mich suche, für ihren Mann. Und ich glaube, das machte ihr richtig Spaß, damit mal so und dann wieder


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