Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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zu lernen an diesem Tag. Und hätte ihr Gott, der alles sieht, alles sehen kann, an diesem Tag die Muße aufgebracht, uns beiden von oben herab zuzuschauen, ihm wäre garantiert nicht langweilig geworden, dem alten Spanner, dem sensationslüsternen Voyeur.

      Im ersten Geschäft hatten wir es mit einer älteren, einer erfahrenen Verkaufskraft zu tun, mit einer Frau, die so abgebrüht und distanziert war aufgrund langjähriger Berufserfahrung, daß ihr nichts mehr etwas anhaben konnte, mit einer Frau, die sich wohl auch dazu entschlossen hatte, sich durch nichts mehr beeindrucken oder gar aus der Ruhe bringen zu lassen – eine Angestellte zwar nur, aber die Herrscherin in diesem Laden, das war sie, und sie war es, obwohl dort eine etwas holprig klingende Abwandlung des berühmten Spruchs vom König Kunden an der Wand hing: Bei uns ist die Kundin Königin – nun denn: dieser Spruch wird da heute wohl nicht mehr hängen im neudeutschen Führerstaat, wo die deutsche Frau wie seit altersher wieder in die Küche verbannt und zum Kinderkriegen da ist. Aber diese Läden, die gibt es natürlich immer noch, denn so dumm ist der Nazi nun nicht, daß er nicht wüßte, daß die oberen Schichten in ihrem Lebensstil besser nicht anzutasten sind und besonders gutbürgerliche Damen zu Furien werden können, nimmt man ihrem frustrierten Leben die so angenehmen Pläsierchen. Geld ist ja auch jetzt noch vorhanden, und da immer ungleicher verteilt, wird’s in so einem feinen Laden, wie in dem, in den Speedy mich als erstes hineinexpedierte, auch heute noch brummen. Das Ding war ja voll oder sagen wir: gut gefüllt an diesem späten Vormittag, fast schon um die Mittagszeit, eine Dame arbeitet ja nicht, muß ja nicht arbeiten gehen, und um ihren Haushalt, ihre Kinderchen kümmern sich andere. Diese Verkäuferin in ihrem Stoizismus, sie paßte da wirklich sehr gut hinein, sie war selber Dame, und irgendwie taufrisch sah sie nun wirklich nicht aus, und in die Breite gegangen war sie mit ihrem Fahrgestell auch schon etwas, und also wußte sie um die Schwäche der schon etwas reiferen deutschen Frau und wohlgenährten Dame, der Kuchen- und Törtchenfresserin, die etwas noch in Form zu bleiben wünscht, geformt vom deutschen Mieder, und insofern waren wir da schon ganz richtig, Speedy und ich und besonders ich, der dickliche, ein bißchen zu sehr schon aufgeschwemmte Mann, der ja dort weiblich perfektioniert und mit einer Taille versehen werden sollte. Wie stoisch und abgebrüht sie war, diese Verkäuferin, das zeigte sich an ihrer Reaktion darauf, als Speedy sie dies wissen ließ, daß sie nicht etwa für sich nach neuer Wäsche suchte, sondern für mich, ihren Mann, der wie ein begossener Pudel neben ihr stand: sie verzog keine Miene. Und als sie kurz zu mir herüberschaute, war ihr nichts, aber auch gar nichts an Erstaunen anzumerken, und das war ja schon mal eine Leistung.

      Daß ein Mann, ein männliches Wesen in einem solchen Laden und Miederwarengeschäft auftaucht, das wird ja wohl eine große Ausnahme sein. Und ein Mann allein eine noch größere Seltenheit – ein Mann allein, das muß ein Hallodri sein, ein Mann, der auf dem Wege zu seiner heimlichen Geliebten ist und ihr mal eben ein Paar neue Seidenstrümpfe mitbringen will für die bevorstehenden Stunden der Zweisamkeit oder ein anderes, mehr aufwendiges Mitbringsel, quasi als Bezahlung, Vergütung für zu erbringende sexuelle Leistungen. Aber auch der Mann, der, wie ich es tat, wie ich den Anschein machte, daß ich’s täte, seine Frau nur bei einem solchen Wäschekauf begleitet, ist sicher eine so seltene Erscheinung, nehme ich mal an, daß sich da dann die erfahrene Verkaufskraft in die Bresche wirft, mit dieser dann doch etwas delikateren Situation klarzukommen. Normalerweise kaufen Frauen ihre Unterwäsche alleine, und ich könnte mir vorstellen, daß das dann keine Schwierigkeit für eine Verkäuferin sein dürfte, so sie erfahren genug ist, über genügend Berufserfahrung verfügt, sich da der nötigen Diskretion zu befleißigen und auch von Frau zu Frau, wenn nötig, die entsprechenden Hinweise zu geben. Ein Fettpölsterchen hier zuviel vielleicht, ein bißchen zu wenig Brust – das läßt sich ja alles doch geschickt kaschieren. Alles nur eine Frage der Diskretion, und daß es nur angedeutet bleibt, so direkt nicht ausgesprochen wird, und diese Kundinnen aus der geldgierigen, Geld auch ausgebenden Oberschicht, diese Damen, die nichts wissen, nichts in der Grütze haben, auf eines verstehen sie sich, darauf, wie von einer Dame Dienstboten zu behandeln sind, wie Luft nämlich und so, als ließe man sich durch sie nicht sonderlich stören. Wenn aber nun ein Mann mit dabei ist, wird’s kompliziert, denn da spielen ja nicht nur ihre Wünsche eine Rolle, da hat der Mann vielleicht auch noch ein Wörtchen mitzureden, und diese Wünsche müssen ja nicht vollkommen übereinstimmen, und das verlangt dann sicher von einer Verkäuferin schon ein gewisses Fingerspitzengefühl, der Umgang mit einem Paar, besonders, wenn es dann der Mann ist, der das alles bezahlen soll. Es wird da sicher in jedem etwas größeren Geschäft die eine Verkäuferin geben, die besonders dafür geeignet ist, mit so einer besonderen Situation umzugehen, eine, die das gelernt hat, die über die entsprechende Erfahrung verfügt.

      Ich schätze mal, und da ich nichts Besseres zu tun habe, als mich spekulativ den eigentlich wichtigen Fragen des Lebens zu widmen, und doch auch gern noch einmal wieder von diesem wirksamen Anti-Nazi-Verdrängungsmittel Wäscheladen, Miederwarengeschäft Gebrauch machen möchte, verschätze ich mich da auch gerne und verspekuliere mich, wenn’s denn sein muß – Hauptsache, ich bin anderweitig beschäftigt, und anderweitig beschäftigt schätze ich mich glücklich, anderweitig beschäftigt zu sein, und also schätze ich mal, daß sich da, was Paare betrifft, Paare, die zusammen einen solchen Wäscheladen, ein Miederwarengeschäft, betreten, folgende Fallgruppen werden unterscheiden lassen: zum einen könnte ich mir junge Paare vorstellen, jung verheiratete Paare, Paare, die sich noch in ihrem erotischen Honeymoon befinden, in einer aufregenden Anfangszeit, einer Zeit der Entdeckungen, in der Zeit, wo für Ehepaare noch sexuell einiges offen ist, bevor es sich dann doch einspielt und festfährt, was deren Eheleben dann sexuell ausmachen wird, und zu diesen Entdeckungen eines solchen Paares könnte ja sehr wohl auch die schöne, sexuell reizvolle Unterwäsche gehören, so sehr gehören, daß sie dann vielleicht ihr letztes Geld zusammenkratzen, um sich da etwas Schönes und Reizvolles, sexuell Aufreizendes an Wäsche zu kaufen – für eine Verkäuferin sicher delikat, sich einem solchen Paar gegenüberzusehen. Hier finden Weichenstellungen statt, hier sind zukünftige Kunden zu gewinnen. Aber Wäsche ist eben auch nur Wäsche, und der Mitteleuropäer, und nicht nur der, hat sich angewöhnt, Wäsche unter der Oberbekleidung zu tragen, Wäsche aber als ein Bestandteil der Erotik, das ist noch etwas anderes, berührt das Gebiet des Fetischismus, und für Fetischismus ist so ein normal bürgerliches und seriöses Miederwarengeschäft ja nun eigentlich nicht zuständig, diese Seite des Geschäfts dürfte zu den ausgeblendeten, den verdrängten gehören. Eine Verkäuferin aber, die hier Kundschaft gewinnen will, wird diesen Aspekt einem solchen Paar gegenüber nicht ganz unbeachtet lassen können, doch der Rahmen des Schicklichen, er darf natürlich auch nicht überschritten werden, er gehört zur Geschäftsgrundlage – schwierig, schwierig, würde ich meinen. Schwierig, wenn auch in anderer Weise, eine andere Fallgruppe, die von Paaren, wo es einen größeren Altersunterschied zwischen der Frau und dem in der Regel dann älteren Mann gibt, dem Liebhaber und Galan der jungen Dame, und besonders in diesem Falle dürfte Fingerspitzengefühl verlangt sein, denn diese Männer sind es dann doch, die bezahlen, die dann vielleicht auch genaue Vorstellungen davon besitzen, wie sie ihre jungen Gespielinnen ausstaffiert sehen wollen. Aber es ist natürlich der weibliche Part, der hier Kundin ist, mit der es eine Verkäuferin vornehmlich zu tun hat, der sie da auch irgend etwas und zwar möglichst Teures andrehen muß, dies aber immer so, daß sie die junge Dame nicht überfordert, nicht darin überfordert, ihren älteren Liebhaber dazu zu kriegen, die Rechnung am Ende dann auch zu bezahlen. Bei einem solchen Paar ist sicher auch mit der delikaten Situation zu rechnen, daß der Mann auch mal sehen will, seine junge Gespielin in der Unterwäsche, auf die sie scharf ist, um ihn scharfzumachen, bewundern will, daß er das begutachten will, wofür er dann aufzukommen hat. Ein solcher Mann wird mit in die Kabine zur Anprobe kommen wollen, wird vielleicht auch mal anfassen, das junge Fleisch unter den erlesenen Stoffen spüren wollen, wird auch in eine sexuelle Erregung geraten können, und eine Verkäuferin wird hier sicher so tun müssen, als übersähe sie dies alles, wird aber auch dafür sorgen müssen, daß ein solcher Mann nicht zu weit geht, daß das alles also im Rahmen bleibt und keinen Skandal verursacht. Irgendein Gejuchze und Gekicher darf natürlich nicht aus dieser Kabine dringen, und wahrscheinlich wird es sich eine erfahrene Verkäuferin angelegen sein lassen, ein solches Paar bei der Anprobe möglichst nicht für längere Zeit allein zu lassen. Das alles unter Kontrolle zu halten wird hier die wichtigste Aufgabe sein – spekuliere ich mal so.

      Aber es wird auch noch den Fall Torschlußpanik


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