Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Lieblingsbeschäftigung zu beschäftigen, ja wohl ganz weise gedacht gewesen sei, es habe mir schließlich über die Nacht geholfen, ohne da schon vollkommen durchzudrehen – das war zwar die Bestätigung für ihre von mir auch so angenommene Intention, aber es hielt mich nicht auf, konnte mich nicht aufhalten. Ich schrie fast, als ich sagte, sie solle sich doch bitte mal gefälligst vorstellen, wie so ein enthemmter SA-Trupp hier am Abend hereinstürmt oder in der Nacht, und ich liege in ihrem Nachthemd allein im Bett, eine einsame Frau, die behauptet, nicht zu wissen, wo der gesuchte Schlechter sei, wohin er ausgeflogen wäre – ob sie denn etwa meine, die wären dann mir nichts, dir nichts, mir höflich noch eine weiterhin gute und angenehme Nachtruhe wünschend wieder abgezogen? Sie hätten mich doch ausgefragt und in die Mangel genommen, und wenn sie sich vielleicht nicht auch gleich in ihrer männlich angestachelten Wut über mich, das einsame, schutzlose Weib, hergemacht hätten, spätestens dann, wenn sie mich in den Würgegriff genommen hätten, hätten sie’s doch bemerkt, was für ein merkwürdiges Frauchen das ist, das ihnen das Blaue vom Himmel herunter zu erzählen versucht. »Siehst du denn das nicht«, sagte ich schreiend, »ich hätte das Opfer einer Massenvergewaltigung werden können.«

      Speedys Reaktion darauf: kalt distanziert, erstaunt mit dem Kopf schüttelnd: an was ich so alles denken würde. Und dann nach einer kurzen Pause: wahrscheinlich wünschte ich mir das, vergewaltigt zu werden, ja, vielleicht sogar sollte ich das mal, vergewaltigt werden, damit ich mich ganz und gar als Frau fühlen könne – das war der Höhepunkt, und wenn ich etwas auf den Tod nicht leiden kann, dann ist es diese billige Psychologisierung. Daß man das einfach umdreht, und plötzlich wird aus dem, was man befürchtet, ein Wunsch, ein natürlich verdrängter, ein unbewußter. Ich muß sie haßerfüllt angesehen haben. Nach Luft schnappend, und beinahe wäre ich explodiert, wäre ich vollkommen ausgerastet. Ich hörte es einen Moment wie hinter einem Schleier, das, was Speedy angesichts meiner Empörung noch obendraufsetzte: sie sehe sich durch diese massive Abwehr von mir in ihrer Vermutung bestätigt. Das ist der Trick, der leicht zu durchschauende Trick der Psychologen mit ihrer Verdrängung, das, wo sie dann immer recht behält, die blöde Psychologie. Ins Unterbewußte, da läßt sich doch alles hineininterpretieren, alles. Auch, daß ich nichts sehnlicher wünsche, als vergewaltigt zu werden, von einer Horde von SA-Männern, und auch wenn sich das hier vielleicht verrückt anhören mag: daß ich, der ich von keiner Nazi-Bande vergewaltigt werden will, diesen Nazis nun recht gebe, recht in ihrer Ablehnung des Doktor Siegmund Freud, der jetzt in London sitzt, im Exil, und den sie beim Einmarsch in Wien besser wohl vergewaltigt hätten, ihn oder seine vielleicht schmuckere Tochter, wenn er denn eine hat, zur Vaterschaft überhaupt fähig gewesen sein sollte, der alte Herr mit dem Krückstock zum Bohren im Unterbewußten – ich verstehe den Anschluß von Österreich, und ich verstehe, daß der Nazi die deutschen Universitäten von dieser Lehre gereinigt hat – daß die Psychoanalyse eine jüdische Wissenschaft sei, wie die Nazis behaupten, das allerdings ist in meinen Augen nur ein Vorwand. Darum geht es doch gar nicht. Sondern darum, daß da endlich mal ein paar Männer, in deren Unterbewußtes allerlei doch hineinzuinterpretieren wäre, aufgestanden sind und mit diesem ganzen Quatsch Schluß gemacht haben – bravo!

      »Reg dich doch nicht so auf«, sagte Speedy und kam dabei auf mich zu. »War es denn schön, in meinem Nachthemd zu schlafen, in meinem Negligé?« fragte sie, und als ich nickte, fragte sie weiter: »Willst du auch so was leichtes Duftiges haben für die Nacht?« Ich nickte, und mir kamen die Tränen. Und dann knöpfte sie mir den Mantel auf, zog ihn mir von den Schultern, nahm den Mantel, legte ihn auf den Stuhl, drehte sich wieder um zu mir, betrachtete mich, lächelte mich an und sagte: »Du siehst doch ganz passabel aus als Frau.« Was mir fehle, das sei nur ein bißchen mehr an weiblicher Taille. Und dann kam sie zu mir, näherte sie sich mir, ihrem Mann, als wäre ich eine Frau und sie ein an dieser Frau sexuell interessierter Mann. Sie umfaßte mich, und ich spürte ganz deutlich, wie ihre Finger nach dem Verschluß des BHs suchten, den ich trug, zum ersten Mal trug und bei ihr ausgeborgt hatte. Sie drückte mich an sich, und unsere so verschiedenen Brüste berührten sich. Und dann küßte sie mich. Auf den Mund. Wohl um mich die Gefahr vergessen zu machen. Und ich ließ mich von ihr küssen und vergaß die Gefahr. Für einen Moment vergaß ich sie.

      Aber eben nur für einen Moment, denn im nächsten schon teilte Speedy mir mit, daß sie mit mir in die Stadt wolle, nach Berlin zurückfahren wolle, und sofort packte mich die Angst, in Berlin in eine Razzia zu geraten, und ich sagte das Speedy auch, die aber sehr entschieden erwiderte, sie hätte keine Polizei auf der Straße gesehen, sie sei nirgendwo kontrolliert worden, auch am S-Bahnhof Erkner nicht, und dort in Berlin, in der großen, unübersichtlichen Stadt sei es auf alle Fälle doch sicherer für mich als hier bei uns im Haus, wo ich polizeilich gemeldet bin – wie wahr. Aber warum sie dann erst noch mit mir diese Gefahr eingegangen war, zu uns ins Haus zurückzukehren, ich verstand es nicht – jedenfalls nicht im ersten Moment, denn schließlich konnte ich ja wohl schlecht erst im Bus und dann in der S-Bahn als Frau fahren und als Frau durch die Berliner Straßen spazieren. Denn so perfekt als Frau war ich ja nun doch nicht. Sie habe ihren Plan schon fertig, ich solle ihr einfach folgen, nicht groß fragen – ich weiß nicht, ob Speedy damit glaubte mich von allem Fragen abhalten zu können oder ob es ihr reichte, damit dann diejenigen meiner Fragen abwürgen zu können, die ihr allzu sehr ins Detail gingen. Denn natürlich hatte ich Fragen, und ich stellte sie auch – außer die vielleicht wichtigste, die mir in dem Moment noch gar nicht einfiel, die Frage danach, seit wann denn sie mit ihrem Plan, mit mir nach Berlin zu fahren, fertig gewesen sei: in diesem Moment erst, wo sie mich als Frau vor sich hatte, oder schon vorher, als sie auf dem Weg war zu mir zurück. »Und was machen wir da in Berlin?« fragte ich sie. »Und wo bleiben wir die Nacht über?« Und während ich sie dies fragte, kroch die Furcht in mir hoch, Speedy würde antworten: bei Masseck – das wäre zwar nett von Masseck gewesen, uns Unterkunft, Unterschlupf auch zu gewähren, aber: wie hätte ich das ertragen sollen? Von diesem Mann abhängig zu sein, von seinem Wohlwollen, seiner Hilfe, und dann das miterleben zu müssen, daß sich Speedy doch auch in dieser Nacht nicht davon würde abhalten lassen, mit Masseck ins Bett zu gehen, und ich, ich schlafe auf dem Sofa, muß auf dem Sofa übernachten. Aber zum Glück, muß ich sagen, hatte Speedy das nun doch nicht vor – ob aus Rücksicht auf mich und meine Gefühle gegenüber Masseck und ihrer neu aufgewärmten Affaire mit ihm, wage ich aber zu bezweifeln. »Wir übernachten in einem Hotel«, antwortete sie, »und vorher gehen wir ganz normal einkaufen.« Das mit dem Hotel, das war schon mal gut, weil nicht Masseck – aber was wollte sie an diesem Tage kaufen? »Wir kaufen das, was du dir sicher schon lange wünschst.« So Speedy auf meine Frage – gut, wenn sie das normal einkaufen nannte, was das ja wohl nur bedeuten konnte, weniger gut die Szene, die ich sofort als Schreckensvision vor mir sah: wir beide in einem Dessous-, einem Miederwarengeschäft, und Speedy kommt auf den großartigen Einfall, ich solle das, was sie für mich ausgewählt hat, gleich mal anprobieren, ob’s mir denn passe. Ich schluckte, ich wischte es weg, verdrängte diese Aussicht als auch für Speedy zu gewagt und wußte in dem Moment doch noch nicht mal, ob sich Speedy nicht vielleicht sogar in den Kopf gesetzt hatte, ich solle als Frau mit ihr in die Stadt fahren, weil das nach ihrer Meinung sicherer sei – natürlich hätte ich da protestiert und Widerstand zu leisten versucht, wissend natürlich, daß alle Proteste nichts nützen, daß jeglicher Widerstand zwecklos wäre. Wenn Speedy sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann komme ich dagegen nicht an. Ich doch nicht.

      Ob sie ein Nachthemd für mich meine, ein Negligé, fragte ich sie, und Speedy nickte, ja, ein Negligé und weil ich mich wohl so gerne in meinem an sie in dem ihren schmiegen würde des Nachts – was für betörende Aussichten. »Gut«, sagte Speedy, »du sollst dein eigenes Nachthemd haben.« Aber das war es nicht, woran sie für mich gedacht hatte, nicht das, wovon sie meinte, daß es schon lange mein Wunsch sein müsse, und sie sollte ja recht behalten, auch darin wieder mal, und das, obwohl ich in diesem Moment gar nicht darauf gekommen wäre. »Du sollst etwas bekommen, von dem ich glaube, daß du’s nötig hast, um weiblich etwas mehr in Form zu kommen.« So Speedy – und was konnte das sein? Natürlich das: ein Korsett. Und natürlich hatte mich dieser Gedanke schon gestreift, der Gedanke an ein Korsett für mich, und nicht allein nur, um mich weiblich mehr zu formen, mich in weibliche Form zu bringen, auch, weil so ein Korsett, weil ein bißchen altmodisch, so gut in die leider schon vergangene Zeit und Epoche des Knöpfschuhs hineingehörte, in meine Jugend, meine Knöpfschuh-Jugend und Korsett-Pubertät.


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