Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Schutzengel Speedy. Deshalb auch, daß sie mir eingeschärft hatte, ich solle mich als Freundin von Frau Schlechter ausgeben. Im nächsten Moment fand ich’s dann sehr viel weniger genial und die Vorstellung geradezu absurd, daß mich die Verkleidung in eine Frau vor einem in unser Haus eindringenden Rollkommando der SA hätte schützen können – lächerlich bei einer Bande, einer Terrorgruppe, die doch sicher auf Krawall aus wäre und schon andere Ausflüchte gehört haben dürfte. Und was hätte ich auf die Frage antworten sollen, wo sich denn das Ehepaar Schlechter befinde und was ich hier allein in ihrem Haus wolle? Und wenn sie nach meinem Ausweis fragen würden? Und natürlich würden sie das. Sind ja Deutsche. Und Männer. Männer in Aktion, Männer, die sich nicht bremsen lassen wollen. Die sicher wütend reagieren würden, fänden sie den gesuchten Schlechter nicht, wäre er ihnen durch die Lappen gegangen. Männer, die eine arme Victoria de Fries dann bedrängen würden, die mir nahe, vielleicht zu nahe kommen würden, die mir garantiert zu nahe kommen würden und, trotz Puder und Schminke, den Mann in mir sehen müßten. Und dann noch einmal mehr wütend reagieren würden – eine neuerliche Schreckensvision: wie ein solches Rollkommando der SA hier bei mir eindringt und sich nicht von meiner weiblichen Gestalt täuschen läßt, wie ich bloßgestellt werde, wie ich dann von diesen rohen Gesellen erst einmal vergewaltigt werde. Dieses Gerücht gab es doch schon damals, das wurde doch nicht erst mit dem Röhm-Putsch anderthalb Jahre später spruchreif: die SA, das wäre eine Bande von Schwulen.

      Was tun? Um mal mit dem einstmals bewunderten Lenin zu fragen. Was also tun? In den Wald? Mich in den Wald flüchten, im Wald verstecken? Ja. Aber als Frau. Als Frau im Wald auf Speedys Rückkehr warten. Im Gebüsch, im Unterholz, in der Nähe der Bushaltestelle. Aus dem Haus flüchten, dem Haus fernbleiben, wo sie mich sonst finden würden. Leicht finden würden. Der Keller, das wäre kein Versteck. Kein Versteck, in dem sie mich nicht leichtestens finden würden. Auf die Gefahr hin, daß sie alles kurz und klein schlagen, sollten sie kommen und mich nicht, das Haus leer finden. Mich im Atelier dann auch nicht finden. Aus Wut, rasender Wut. Auf die Gefahr hin, meine Bilder zu verlieren, mein Werk dann nur noch zerstört, zertrampelt und zerrissen wiederzufinden, wenn ihre Wut verraucht ist. Oder angezündet. Brandstifter. Leute, die einen Reichstag anzünden, stecken auch ein Maleratelier in Brand. Möglich aber, daß nichts passiert. Daß ich verschont bleibe. Daß ich gar nicht in Gefahr schwebe. Die Unmöglichkeit, diese Gefahr in ihrer Gefährlichkeit abschätzen zu können. Das bedeutet Gefahr. Mit der Gefahr umgehen, mit der Gefahr leben lernen. Nicht mehr blind sein, wach sein. Sehenden Auges. Der Ausnahmemoment. Der Ausnahmezustand, und die Macht hat, wer den Ausnahmezustand erklären kann. Und noch mehr Macht hat, wer den Ausnahmezustand herbeiführen kann, ohne ihn erst erklären zu müssen. Das verdanken wir Adolf Hitler, daß er uns aufgeweckt hat, wach gemacht hat, den Ausnahmemoment gelehrt hat des trägen Lebens. Deutschland, erwache – jetzt verstehen wir erst, was damit gemeint war. Kampf gegen die Gewohnheit. Kampf der Gewöhnung, und nicht umsonst geht es dabei um die Wohnung. Die Privatsphäre. Die eigenen vier Wände. Die Unverletzlichkeit des Wohnraums, und wenn die nicht mehr garantiert ist, dann endet die bürgerliche Gesellschaft. Wenn sie einfach so in deine Wohnung eindringen können, in dein Haus, dein Leben also, ohne Haft- oder Durchsuchungsbefehl, dann gehört ihnen die Macht. Es gibt keinen Schutz mehr. Freiheit nur im Vergleich mit der Unfreiheit der Gefängniszelle. Leben nur noch in Beziehung zum immer möglichen Todesurteil. Das Todesurteil nur noch im Unterschied dazu, daß sie kommen und dich einfach umbringen. Auf der Flucht erschossen, wenn sie dir befehlen, vor ihnen herzugehen. Totgeschlagen, wenn du bei ihnen die Kellertreppe runterstolperst. Dann hast du sie anfallen wollen und hättest es besser getan. Es kommt nur darauf an, daß du den Moment erwischst, wo du dich ihnen entgegenwirfst, um nicht wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt worden zu sein.

      Nachdem die Entscheidung gefallen war: fieberhafte Aktivität, mich als Frau einzukleiden, als Frau zurechtzumachen – ganz anders als erhofft. Ohne es genießen zu können, es erregend finden zu können. Unter höchstem Zeitdruck, immer mit der Furcht im Hinterkopf, gleich könne es an der Haustür klingeln, jeden Moment könnten sie mit ihren Schaftstiefeln gegen die Tür treten, sie eintreten, hier bei mir eindringen. Keine Zeit, mir etwas hübsch Frauliches zusammenzustellen, das zu mir paßt, meinem Typ als Frau entsprechend, dem Typ, der ich als Frau wäre. Die Unterwäsche, wie schon gewohnt hautfarben, Rock und Bluse aber dunkel. Ein Kleid, in das ich hineingepaßt hätte, ließ sich nicht finden. Dafür aber wenigstens eine taillierte Jacke, die mir den Pullover ersetzen sollte, den ich im Winter doch immer trage, die ihn mir dann auch halbwegs ersetzte. Zum Glück schien der Mantel, den sich Speedy drei Jahre zuvor gekauft hatte und der ihr nun nicht mehr modisch genug war, richtig warm zu sein, und er war es dann auch, ohne ihn wäre ich garantiert im Wald zu einem Eiszapfen erstarrt. Gut war auch der Schal, der alte Kaschmirschal von Speedy, der, den sie in dem Winter getragen hatte, in dem wir uns kennenlernten. 1927. Ein paar Mottenlöcher, die mich aber nicht stören durften. Und auch nicht störten. Und dann galt es, einen Hut zu finden, und die Auswahl war groß, Speedy liebt Hüte. Einen Hut, den ich mir tief genug ins Gesicht ziehen konnte, einen Hut gegen den kalten Wind. Der, den ich kurz entschlossen wählte, gab mir etwas Damenhaftes. Und dann Puder, viel Puder, Schminke ins Gesicht, die Lippen rot, den Schimmer meines Bartes zu verdecken, mich als Mann unkenntlich zu machen. Ich saß schon mit Mantel und Hut vor dem Spiegel, während ich mich schminkte und dabei zur Ruhe zwingen mußte. Die Füße in Speedys Pantoffeln. Nach Schuhen, die mir passen könnten, war gar nicht erst zu suchen. Keine Chance. Keine Zeit zu verlieren. Ich zog mir die meiner Schuhe an, die nicht ganz so klobig und damit männlich wirkten und die für einen winterlichen Ausflug und Spaziergang im Wald auch bei einer Frau akzeptabel wirken konnten – nahe kommen durfte mir sowieso kein Mensch. Einen Moment stand ich unentschlossen mitten im Raum, ich wußte, daß mir etwas fehlt, fehlen würde, wußte aber nicht, was. Dann fiel es mir ein, daß ich unbedingt eine Uhr brauchen würde, wenn ich Speedy an der Bushaltestelle abpassen wollte. Als Künstler aber, der keine Termine hat, der nirgendwo pünktlich bei einer Arbeit antanzen muß, besitze ich doch so etwas nicht wie eine Armbanduhr. Also steckte ich mir kurz entschlossen den großen Wecker in die Manteltasche. Dann ein letzter Blick ins Schlafzimmer: es sah aus, als wäre es in größter Eile verlassen worden, fluchtartig. Mir war es egal. Und es war vielleicht sogar besser so, wenn es nach Flucht aussah. Sie wüßten dann, daß sie zu spät gekommen sind. Vergeblich.

      In der Küche fand sich ein Stück Brot, es wanderte in die andere Manteltasche. Es war kurz vor acht, und das erste war also geschafft. Der Nazi schlief noch, oder er interessierte sich nicht für mich. Aber er konnte jeden Moment bei mir aufkreuzen. Die Petzseestraße ist lang, lang genug, daß ich ihn von ferne hätte kommen sehen können, um ihm dann noch im letzten Moment vielleicht zu entwischen. Die Schwierigkeit war nun die, das Haus zu verlassen, ohne dabei von einem der Nachbarn beobachtet zu werden – ein gefährlicher Moment, der gefährlichste überhaupt. Aber ich hatte Glück, zumindest die Straße war menschenleer, und es war auch noch nicht ganz Tag um diese Zeit, im Winter nicht. Doch es war auf alle Fälle besser, mich nicht nach den Nachbarhäusern umzusehen. Ich wählte den kürzesten Weg zum Wald, niemand begegnete mir. Auch das war geschafft. Ich war im Wald, in Sicherheit, aber natürlich gab es überhaupt keinen Grund, der diese Frau, diese Dame, als die ich einem Beobachter erscheinen mußte, zu dieser Jahreszeit veranlassen könnte, in den Wald zu gehen, bei Kälte und Schnee. Und so früh am Morgen. Es gab aber wohl andererseits auch nichts, was man als verdächtigen Grund dafür hätte finden können, was diese Dame wohl in Schnee und Kälte und so früh am Morgen in den winterlichen Wald trieb. Das beruhigte mich. Etwas. Aber diese Ruhe, sie hielt nicht lange vor. Denn Speedy kam nicht mit dem Bus 8 Uhr 34, er hielt noch nicht einmal an, fuhr einfach weiter. Und Speedy stieg auch nicht aus dem Bus eine Stunde später aus, der zwar anhielt, was mir natürlich Hoffnungen machte, Hoffnungen, die dann enttäuscht wurden. Frau Krüger vom Haus am Ende unserer Straße stieg aus, ich sah sie von meinem Beobachtungsposten im Gebüsch auf der andern Seite der Chaussee aus durch den Schnee stapfen, heimwärts ins Warme. In die gute Stube an den Ofen, und mir, mir kroch die Kälte die Beine hoch, die Seidenstrümpfe entlang und immer höher bis zu dem Streifen nackter Haut, der von den Strapsen allein nur überbrückt wird. Die nicht wärmen. Was Frauen so aushalten müssen, Frauen aushalten – erstaunlich. Ich hätte mir wenigstens einen von Speedys Unterröcken anziehen sollen, nicht nur dieses Hemdchen, das so wenig wärmte, und die Kälte dann, sie ließ mein Schwänzchen zusammenschrumpfen, zu einem veritablen Nichts zusammenschrumpeln, die


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