Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


Скачать книгу
in Berlin gehörten, war gekommen, Masseck eilte davon, mit einer gewissen Verzögerung vielleicht, weil er sich erst noch anziehen, unterbrochen im Liebes- beziehungsweise Geschlechtsakt erst noch ankleiden und seine Erektion in der Hose unterbringen mußte – Zeit genug, um Speedy jedenfalls über das Vorgefallene zu informieren. Und danach dann war sie allein, blieb sie allein in Massecks Wohnung zurück. Und vielleicht zwanzig Minuten später griff sie zum Telephon, um mich, um ihren Mann, anzurufen.

      Und ich, ich ließ es klingeln, ich bewegte mich nicht, ich saß wie erstarrt in meinem Atelier vor meinem Bild, den Pinsel in der erstarrten Hand, und ließ es klingeln. Ich glaubte nicht, daß dieser Anruf für mich sein könne, denn wer, wer sollte mich zu dieser späten Stunde noch anrufen wollen, und überhaupt: das Telephon, es gehört doch mehr Speedy denn mir, es ist das ihre Domäne, ihr Mittel der Kommunikation, das, womit sie sich mit ihren Liebhabern zu verabreden pflegt – die Frage für mich war an diesem Abend des 27. Februar nur, ob es da nun vielleicht einen anderen, einen neuen Kandidaten gab, einen Nachfolger schon für Masseck. Bei dem sie doch war, bei dem ich sie doch glaubte. Bei dem ich sie glaubte und bei dem sie auch war, von dem aus sie mich anrief – darauf, daß Speedy das sein könnte, daß Speedy mich anrufen könnte, darauf kam ich natürlich nicht, darauf konnte ich auch nicht kommen, denn das hatte sie doch noch nie getan. Also ließ ich das Telephon klingeln. Und es klingelte und klingelte und hörte nicht auf zu klingeln. Und also meinte ich dann doch irgendwann, mich aus dem Atelier ins Haus bequemen zu müssen, um den Telephonhörer abzunehmen, dem Geklingel ein Ende zu machen, und dies in der sicheren Gewißheit, daß dieses verdammte Klingeln genau in dem Moment aufhören würde, wenn ich nach dem Hörer greife, mich mit meinem Namen melde, meine männliche Stimme hören lasse. Aber dem war nicht so, und als ich mir den Hörer ans Ohr drückte, hörte ich Speedys Stimme am andern Ende der Leitung, Speedy, die sich gar nicht erst meldete, die mir sofort Vorwürfe zu machen begann, daß ich sie so lange hätte warten lassen. Sie habe sich schon Sorgen gemacht – ob irgend etwas los sei. »Nein, nichts«, sagte ich verdattert, »was sollte sein? Ich male.« Das beruhigte Speedy erst mal, denn dadurch war klar, daß ich jedenfalls wieder mal noch nicht Bescheid wußte, noch nichts vom Brand des Reichstages im Radio gehört hatte, wo es ja schon zu dieser Zeit die ersten Berichte darüber gab. Auch das Radio gehört mehr Speedy denn mir, die dort in diesem Kasten immer ihre Konzertübertragungen zu hören pflegt, denn wenn es etwas gibt, was sie bei uns in Grünheide Alt-Buchhorst vermißt, dann ist es die Möglichkeit, mal eben ins Konzert zu gehen, in die Philharmonie – ich mache mir nichts aus klassischer Musik, auf diesem Ohr bin ich taub, und das sonstige Radiogedudel, das seichte Zeug, die Unterhaltungsmusik, das geht mir nur auf die Nerven, und wenn man da dann den ganzen Tag lang eine dieser dummdreisten Melodien nicht mehr los wird irgendeines Schlagers, so ist mir das ein Greuel. Und was die Nachrichten betrifft, bin ich doch Zeitungsleser, und ich bin es immer noch, wo man nun gar nicht soviel kotzen kann, wie man in der gleichgeschalteten Presse zu lesen bekommt – nur jetzt lese ich keine Zeitung, hier im Gefängnis nicht, hier bekomme ich keine und würde doch gern mal was zum Kotzen bekommen, denn das hat man doch immerhin in den letzten Jahren gelernt: zwischen den Zeilen zu lesen. Speedy weiß das alles natürlich, wußte es an diesem Abend schon des 27. Februar 33, daß ich ihr blödes Radio nur erdulde, erleide und diesen Kasten wohl niemals von selber anschalten würde, aber sie wollte auf Nummer Sicher gehen, an diesem Abend wollte sie es, wollte sie auch das Unwahrscheinliche sicher ausschließen können. Und sie wollte mich für den Rest des Abends von ihrem Radio fernhalten, wollte mich anderweitig beschäftigen.

      Eine Mischung war das wahrscheinlich bei Speedy: daß sie wirklich Angst um mich hatte, davor, daß die SA kommt und mich in einen ihrer Keller holt, von denen es ja in dieser kurzen Zeit nach der Machtergreifung schon so Gerüchte gab, Geschichten, die Speedy von Masseck gehört hatte, von Masseck, der sie von der Polizei hatte, von der noch preußischen, noch nicht vollkommen vom System aufgesogenen, und aber auch die Angst, ich könnte es bei meinem leichten Nervenkostüm nun richtig mit der Angst zu tun bekommen, nach dem Reichstagsbrand und wegen dem Reichstagsbrand und wie der dann, unabhängig davon, ob sie den nun selber angezündet hatten oder nicht, von den Nazis ausgenutzt werden würde. Ob ich bei ihnen auf einer Liste stand oder nicht – wer mochte das wissen? Auch Speedy wußte es natürlich nicht, konnte es nicht wissen – auch wenn sie es eher für unwahrscheinlich hielt und damit ja dann auch recht behalten sollte. Aber eine Sicherheit gab es da nicht, konnte es nicht geben, und daß ich dies alles sehr viel dramatischer sehen, mich sehr viel stärker gefährdet wähnen mußte, als Speedy das tat, die mehr Distanz besaß, die mehr auch auf ihr Gefühl, ihren Instinkt vertrauen konnte als ich, der ich doch schon mal so falsch mit meiner Einschätzung gelegen hatte, der zu Herrn H, dies sei nur ein weiterer Kanzlerwechsel und nicht etwa der Beginn einer nationalsozialistischen Revolution, unter der ich mir doch als darin marxistisch geschulter nicht so recht etwas vorstellen konnte, jedenfalls keine echte Revolution, eine Revolution nach dem Schema der Kommunisten. Um so stärker hätte ich es doch nun mit der Angst zu tun kriegen müssen. Panik, wo es mit dem Reichstagsbrand ernst zu werden drohte und ja auch sehr viel ernster wurde. Die Rollkommandos der SA rollten ja wirklich in dieser Nacht, und ihre Keller füllten sich, und auch Brecht hätten sie beinahe erwischt. Er soll sich im letzten Moment in einer Mülltonne versteckt haben – hat mir Franz Jung später mal so erzählt, und natürlich haben wir beiden Zyniker darüber zu lachen versucht und uns den Witz gemacht, daß er ja da wohl genau hingehört habe: in eine Mülltonne. Aber das war Jahre später, und angesichts des brennenden Reichstages war mir jedenfalls nicht nach Witzen zumute. Und Speedy wußte das, Speedy kennt mich doch genau, genau genug, um zu wissen, daß mich der brennende Reichstag in Panik versetzen mußte, und genau daß das passiert, das wollte sie verhindern, und ich habe ihr dankbar zu sein, daß sie dies wollte – auch, wenn es ihr nicht ganz gelang. Nicht ganz gelingen sollte.

      Speedy erklärte mir nach ihren Vorwürfen am Anfang, daß sie vorgehabt habe, noch mit dem letzten Bus nach Hause zu mir zurückzukommen, daß sie jedoch die S-Bahn am Alex verpaßt habe – ich vernahm es mit Erstaunen. Nicht, daß sie die S-Bahn verpaßt hatte, denn das kann ja mal vorkommen, erstaunte mich, mich erstaunte, daß sie mir dies unbedingt mitteilen wollte, daß sie mich extra deswegen anrief. So etwas hatte es doch vorher noch nie gegeben.

      Und dann sagte sie diesen Satz, mit einem leicht süffisanten Unterton – soweit dies aus dem Telephon herauszuhören war: »Du hast also noch einen Abend frei, mein Schatz.« Was sie damit meine, fragte ich sie, für mich bedeute dies doch, noch eine weitere Nacht ohne sie verbringen zu müssen – während ich dies sagte, hatte ich das fatale Gefühl, Speedy müsse durchs Telephon spüren, daß ich lüge, ihr etwas vorzumachen versuche.

      Sie: »Ich weiß doch, was du so treibst, wenn ich nicht da bin.«

      Ich: »Was treibe ich denn da?«

      Sie: »Du brauchst doch deiner Frau nichts vorzumachen, und heute bekommst du die ausdrückliche Erlaubnis von mir, dich in deinen Dessous weiblich schön zu machen.«

      Sie wußte also, daß ich dies in ihrer Abwesenheit tat – eigentlich nicht verwunderlich, aber ein Schock war es trotzdem für mich, ein Schock, der mich sprachlos machte. Und noch einmal mehr sprachlos machte es mich, als Speedy mir sagte, sie habe doch nichts dagegen, verstünde mich sogar, und an diesem Abend solle ich dies unbedingt tun, mich weiblich hübsch und schön und zurechtmachen.

      »Zieh deine Unterwäsche an«, sagte sie, »und dann darfst du auch in meinem Nachthemd schlafen.«

      Darauf ich: »Wenn es mir denn paßt.«

      Darauf sie: »Es paßt dir, und wenn es etwas eng ist, dann tust du es trotzdem – verstanden?«

      Verstanden? Gute Frage – natürlich hatte ich sie verstanden. Was ich aber nicht verstand, das war, warum sie mich dazu aufforderte, ja, geradezu dazu zu verdonnern schien, mir dies zur Aufgabe machte, und besonders dies: die Nacht in ihrem Nachthemd zu verbringen. Aber sie war noch nicht ganz fertig, sie verlangte mehr von mir, verlangte, daß ich am nächsten Morgen bis zu ihrer Rückkehr als Frau im Haus herumlaufe – warum auch das noch? Sie mußte meine Frage spüren, sie sagte, sie wolle das einmal sehen, wie ich ihr als Frau entgegenkomme, fix und fertig verweiblicht. Wie ich mich Schritt für Schritt vor ihr in eine Frau verwandele, das hätte sie jetzt schon ein paarmal erlebt, jetzt wolle sie mit dem Ergebnis konfrontiert


Скачать книгу