Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Grund war der, mich auf diese vielleicht im Ernstfalle nicht sehr wirkungsvolle Weise vor den SA-Horden, die schon in der Stadt, in Berlin wüteten, zu schützen – falls sie mich denn auf einer ihrer schwarzen Liste zu stehen hatten und mich in dieser Nacht noch suchen würden. Nicht den Mann Schlechter sollten sie dann im Hause Petzseestraße 77 finden, sondern eine Frau. Das war nicht viel, aber ein bißchen an Schutz hätte es wohl bedeutet, und mehr wohl konnte Speedy von der Ferne und über den Fernsprecher für mich gar nicht tun. Außer mich in die totale Panik zu versetzen, mich kopflos zu machen – auf daß ich mich dann im Keller verstecke, was natürlich völlig sinnlos gewesen wäre, denn im Keller hätten sie garantiert nachgesehen, diese Kellerasseln mit ihren eigenen Kellern, Folterkellern. Was hätte ich sonst noch tun können? In den nächtlich dunklen Wald abhauen, um mir dort dann den Arsch abzufrieren und nicht nur den Arsch allein. Der 27. Februar. Winter. Schnee. Kalt.

      Natürlich war das alles riskant, für Speedy im höchsten Maße riskant, mich diesem Risiko auszusetzen, dort in unserm Haus zu bleiben, in eine Frau verwandelt – besonders, wo ich doch als Frau keinerlei Perfektion erreicht hatte und möglicherweise von jedem einigermaßen cleveren SA-Mann sofort als Mann erkannt werden konnte, und also hieß es für sie, hieß es für Speedy, daß ich den Grad meiner Verweiblichung schlagartig und ohne ihr Zutun, ihre Hilfe dabei zu erhöhen hatte, und all das, was sie nun von mir noch verlangte, mir zur Aufgabe machte, es zielte genau in diese Richtung: ich solle mich an diesem Abend noch zu schminken versuchen, solle dies dann gleich morgen früh noch einmal tun – wieder war ihre Begründung dafür, die Begründung, die sie mir gab, die, daß sie mir als Frau begegnen wolle, daß sie sehen wolle, mit einem unbefangenen Blick sehen wolle, wie sehr ich schon als Frau gelten könne. »Gib dir alle Mühe«, sagte sie, »ich will sehen, wieviel du dir bei mir abgeschaut hast.« Und dann sagte sie: »Paß aber auf, daß du geschminkt nicht ordinär wirkst«, und dies nun war Teil des Beschäftigungsprogramms, das sie mir auferlegen wollte, mir sehr erfolgreich auferlegte, denn das, mich zu schminken, das war ja nun wirklich eine Herausforderung für mich, und dabei dann alles Ordinäre zu vermeiden, noch einmal mehr. Aber Speedy hatte sich in ihrer unermeßlichen Klugheit noch mehr für mich ausgedacht, hatte noch eine weitere Aufgabe für mich parat, eine Aufgabe, die nun wiederum logisch erscheinen mußte und folgerichtig, wenn es ihr darum ging, mich in eine Frau verwandelt im Hause anzutreffen: ich solle am Morgen in ihrem Kleiderschrank ein Kleid für mich heraussuchen – irgendeines würde mir schon passen, sagte sie, aber ich solle ein Kleid wählen, das in die Jahreszeit passe, oder einen Rock mit Bluse, etwas, das mich Dame sein ließe. Ihre eigentliche, von mir nicht im geringsten erahnte Logik dabei war natürlich wiederum eine andere: falls sie denn in der Provinz nicht gleich noch in dieser Nacht zuschlagen, dann sollten sie da am nächsten Vormittag bei uns im Hause nicht eine leicht in weiblicher Unterwäsche nur gekleidete Frau antreffen, sondern eine Dame, eine voll und ganz und, wie es sich gehört, angezogene Frau und Dame, und sie hatte an alles gedacht, meine Speedy, und das in den zwanzig Minuten, die sie Zeit hatte, den nächtlich überraschenden Anruf bei mir vorzubereiten – oder sie improvisierte dies, während sie mit mir am Telephon sprach und mich willig fand, die mir von ihr gestellten Aufgaben alle zu erfüllen, jedenfalls von mir keinen Widerspruch zu hören bekam. »Zieh meine Pantuschen an«, sagte sie, »die Knöpfschuhe sind dir doch zu klein.« Was stimmte, aber natürlich schade war. Und das sagte ich ihr auch, daß mir ihre Knöpfschuhe lieber wären, und in dem Moment wußte sie wahrscheinlich, daß sie mich hatte, daß ich folgsam und brav ihrem mir auferlegten Beschäftigungsprogramm folgen würde.

      Aber auch damit waren wir noch nicht fertig, war sie mit mir noch nicht fertig. Sie hatte sich noch etwas anderes zu meinem Schutze ausgedacht: sie sagte, ich solle mir einen weiblichen Namen wählen, und das verstand ich nun gar nicht und konnte es auch nicht verstehen, und Speedy wußte natürlich, daß ich mir darauf nun überhaupt keinen Reim mehr würde machen können, und also begründete sie ihr Verlangen: sie wolle mich mit einem weiblichen Namen anreden können, wenn sie nach Hause komme und mir in weiblicher Gestalt begegne – was hatte sie vor? Ich war so irritiert, daß mir natürlich gar kein weiblicher Vorname einfallen wollte, ein Vorname, der ja irgendwie zu mir passen mußte. Und wahrscheinlich hatte sie auch das schon vorbedacht: sie sagte, wenn mir kein Name einfallen würde, dann würde sie mir einen Namen geben, ich solle Victoria de Fries heißen und mich, falls mich denn irgendwer in meinen Frauensachen behellige, als eine Freundin von ihr ausgeben. Victoria de Fries – merkwürdig: warum nicht nur Victoria, warum de Fries, wozu gleich auch noch einen Familiennamen? Und wer sollte mich denn behelligen? Ich verstand nun gar nichts mehr, und Speedy wußte natürlich, daß ich nun gar nichts mehr würde verstehen können, und sie schob schnell einen erklärenden Satz hinterher, so schnell, daß ich meine beiden erstaunten Fragen gar nicht selber stellen konnte, weder die nach dem Familiennamen noch die, wer mich denn wohl behelligen könne. Der Postbote etwa? »Nur zu deiner Sicherheit«, sagte Speedy, und dieser Satz, er war ja sehr nah an der Wahrheit dran, an der von mir natürlich noch nicht mal erahnten, und ich konnte ihn nur auf einen etwaigen Postboten gemünzt verstehen, aber natürlich nicht ganz verstehen, denn schließlich müßte ich die Tür gar nicht aufmachen, wenn der Postbote klingelt, und es war doch gar nicht anzunehmen, daß ich mich das als Frau trauen würde, da jemandem die Tür zu öffnen – merkwürdig, merkwürdig, und natürlich staunte ich Schlechter nicht schlecht, als ich mich nun von meiner Frau mit diesem Namen versehen sah: Victoria de Fries. Wie kam sie nur auf diesen Namen? Ich war so irritiert und durcheinander, daß ich nur diese Frage stellen konnte: »Und warum grad Victoria?« »Victoria de Fries – merk dir das!«, korrigierte sie mich, fast ärgerlich im Ton, und dann sagte sie, recht unvermittelt und so, als würde ihr dies erst in diesem Moment einfallen: »Victoria heißt Sieg.« Gut, wenn Victoria Sieg heißt, dann … – ja, was dann? Dann heißt Victoria Sieg, dann heiße ich also Victoria, aber: »Und de Fries? Was heißt de Fries?« »Irgendwas«, antwortete Speedy, und sie bellte es fast durchs Telephon, und ich dachte wieder mal bloß: der Anschiß lauert überall. Und: verstehe einer diese Frau.

      Und das war’s dann, damit hängte sie auf, und das erste, was ich mich fragte, nachdem Speedy unser Telephongespräch beendet hatte, das war die dumme Frage danach, wer hier denn wohl einen Sieg davongetragen haben könnte – Speedy natürlich und nicht ich, sie sollte Victoria heißen und von mir aus auch Victoria de Fries, und wenn das frühere Fräulein Elisabeth Koehler nicht schon diesen wunderbaren Spitznamen Speedy von mir bekommen hätte, ich hätte sie wohl dann Victoria genannt und damit Sieg, die Siegerin de Fries oder von irgendwas. So aber, mit Speedy als Speedy, war das nun mein Name, mein Frauenname: Victoria de Fries, und ich murmelte es immer wieder vor mich hin, dieses Victoria de Fries, wohl um mich an diesen Namen zu gewöhnen, der so wenig zu mir passen wollte, und ich tat es, während ich tat, was mir geheißen, was mir von Speedy für diesen Abend aufgetragen war, und ich tat es dann noch einmal, als ich dann schon verschönt in der Unterwäsche des schönen Geschlechts vor dem Spiegel, vor Speedys Spiegel, in unserm Schlafzimmer saß und mich zu schminken begann, mich mit dem Schminken abplagte. Ich bin zwar Maler, aber das war nun wirklich erst mal meine Sache nicht: einen Lippenstift zu führen. Nur Übung macht den Meister, die Meisterin, und also übte ich. Üben, üben, üben, das war Speedys Motto gewesen für mich, als es um die Strapse ging und meine Schwierigkeiten mit ihnen, es galt jetzt noch einmal mehr, und das mit dem Schminken, das war doch, im Unterschied zu den Strapsen, wirklich etwas vollkommen Neues für mich, etwas, das ich noch nie zuvor in meinem Leben getan und versucht hatte. Und auch das mit dem Nachthemd war neu für mich, vollkommen neu und dann wunderbar: in unserm Ehebett zu liegen, mit Speedys Nachthemd in unserm Bett zu liegen, das mir erstaunlich gut, sehr viel besser jedenfalls als von mir vermutet, paßte, wenn es auch oben wegen meinem männlich breiten Brustkorb etwas eng und beengend war, endlich als Frau auch im Bett, und ich verschränkte die Arme über dem Kopf, und ich genoß es. Ich war selig. Frau. Frau zu sein. Mich als Frau zu fühlen. Wunderbar. So wunderbar, so erregend auch, daß mich die Angst überkam, Speedys Nachthemd zu beflecken – ein bißchen Angst hatte ich also doch, ein bißchen mit der Angst hatte ich es also doch zu tun in jener Nacht des 27. Februar. Aber was für eine schöne, erregende Angst war dies im Vergleich zu der Angst, die ich eigentlich hätte haben müssen, der Angst um mich und mein Leben. Währenddessen brannte in Berlin der Reichstag, währenddessen jagte der Nazi seine Feinde, wütete die SA, und ich, ich ahnte nichts davon. Ich war mit etwas anderem beschäftigt, voll und ganz beschäftigt, und auch ich begann


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