Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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viele gegeben hatte. Also Vorsicht, die neuen Produktionen lagen auf Eis, die fertigen Filme wurden zurückgehalten, und der große Filmfanatiker Masseck, er hatte nichts mehr zu berichten, zu kolportieren, und er ließ sich als Lokalreporter einsetzen. Es war nicht zu fassen: dieser Mann, der von sich behauptete, es überhaupt nicht nötig zu haben, bloß des Honorars wegen zu schreiben, sondern dies nur zu tun, um seiner fanatischen Filmleidenschaft zu frönen, er ließ sich zu den Eierdieben abkommandieren, den Verkehrsunfällen, den kleinen Zwischenfällen, wie sie in einer Großstadt wie Berlin halt immer vorkommen – er bekam noch nicht mal die größeren Geschichten, die natürlich bei den alteingesessenen Hasen der Lokalredaktion hängenblieben und nicht bei dem jungen Spund Masseck, der sich plötzlich wie ein Anfänger behandelt sah. Speedy regte sich mir gegenüber darüber auf, wie Masseck kaltgestellt worden war, Speedy regte sich darüber auf, weil Masseck sich darüber aufregte, und Masseck regte sich darüber auf, weil er einen dicken roten Filmtheatervorhang vor die nackte Tatsache ziehen wollte, daß er einfach nicht den Schneid aufbrachte, zu kündigen und der BZ am Mittag Lebewohl zu sagen. Und Speedy war so benebelt, so beeindruckt von des armen Massecks Leidensgeschichte, daß sie gar nicht merkte, wie lächerlich das war und wie unangebracht, davon grad mir vorzujammern. Ich hatte wirklich andere Sorgen, ich hatte doch Freunde, und diese Freunde, diese früheren Freunde, sie fielen mir wieder ein, als Speedy um ihren armen Freund Masseck zu klagen begann. Und meine Freunde, die waren doch von einem anderen Kaliber, und auch wenn das politisch nicht mehr meine Freunde waren, solche Leute wie Brecht, Heartfield, Piscator, Freunde waren es doch, Leute, mit denen ich mich verbunden fühlte, deren Schicksal mir nicht gleichgültig war, um die ich mir wegen der Nazis Sorgen zu machen hatte. Und auch für mich war das ja nicht vollkommen klar, und Speedys Jammern um Massecks schweres Schicksal brachte mich erst richtig drauf, daß ich das doch gar nicht abschätzen konnte, was wohl oder übel meine ehemals linke Vergangenheit für den ignoranten Nazi bedeutete und ob er denn meinen Wechsel ins nationale Lager überhaupt mitbekommen hatte – was wußte ich, ob die ihre schwarzen Listen regelmäßig erneuerten, und schwarze Liste, das bedeutete, daß man da wirklich schwarzzusehen hatte und mit einem dicken schwarzen Strich durchgestrichen werden konnte, einfach ausgelöscht. Das dämmerte mir jedenfalls langsam, und ich fühlte mich dann gar nicht mehr so wohl und in meiner schönen weiblichen Unterwäsche von den barbarischen Zeitläuften gestört. Für Speedy aber, die sehr bald überhaupt nicht mehr mitbekam, wie es mir, wie es ihrem Mann in diesen Tagen ging, für Speedy bestand die größte Ungerechtigkeit dieses Machtwechsels darin, daß ihrem armen Masseck in der Lokalredaktion Unrecht geschah, und das Allerverrückteste war dann noch, daß sie dies obendrein noch dem Hause Ullstein anlastete, dem die BZ am Mittag gehörte, und nicht etwa den Nazis und der Unordnung, die sie, die alles neu ordnen wollten, über Deutschland gebracht hatten, und vollends zog es mir die Schuhe, ja, sogar meine geliebten Knöpfschuhe aus, als sie anfing, antisemitisch daherzuquatschen, und Sachen sagte wie, da sähe man doch, wie abgrundtief feige diese Juden wären, und dies bezog dann irgendwann sogar neben dem jüdischen Hause Ullstein die Filmjuden mit ein, die ihre Filme zurückhalten würden – ich konnte es nicht fassen, und es war auch nicht zu fassen, und manchmal glaubte ich, Speedy rede so daher, nur um mich zu provozieren, mich zu ärgern, und einmal kam mir sogar der Gedanke, sie täte dies ganz gezielt, um mich von meinen Sorgen um meine alten Freunde und um mich auch selber abzulenken. Das nennt man wohl Liebe, da, wo Herzlosigkeit waltet, immer noch etwas Gutes, etwas gut Gemeintes wenigstens zu vermuten, zu erhoffen. Wir waren uns dann doch sehr bald sehr fern grad in diesen Tagen, wo ich ihre Nähe so sehr gebraucht hätte.

      Kapitel 49: Nächtliche Schüsse

      Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Höre Schüsse. Eine MG-Salve. Kann dann stundenlang nicht mehr einschlafen. Heute früh erzählt mir mein Wärter, als er mir das Anspitzmesser in die Zelle bringt, es habe da jemand zu fliehen versucht. Natürlich vollkommen vergebens. »Und wie geht es meinem Mithäftling jetzt?« frage ich ihn. »Dementsprechend.« Was das bedeute? »Tot ist tot.« Er würde das aber nicht verstehen von dem, der wäre doch nicht zum erstenmal im Knast gewesen, ein alter Kunde. Und dann lacht er mich an: »Ein richtiger Ganove, nicht so was wie Sie, um den ist’s nicht schade.« Und ich stehe da mit meinem scharfen Anspitzmesser in der Hand und könnte es ihm an die Gurgel drücken, eine Geiselnahme versuchen – versuchen, und am Ende sind wir dann vielleicht wenigstens zu zweit tot. Einen mitnehmen. Einen von ihnen. Aber nicht ihn, nicht diesen Wärter. Nicht den Familienvater. Nicht den, der mir Äpfel von sich zu Hause aus dem Garten mitbringt: »Damit Sie mal ein bißchen Vitamine kriegen, Herr Schlechter.« Ein fieser Hund, den ich hassen kann, wäre mir wohl lieber. Nein, das wäre es nicht.

      Bumm! Einfach totgeschossen. Da weiß man also, was man machen muß, wenn man’s nicht mehr aushält hier: flüchten, und mehr als ein Fluchtversuch wird’s ja nicht werden können und dann: auf der Flucht erschossen. Könnten sie eigentlich auch ohne haben – mich einfach abknallen, wenn mich der Läufer zur Vernehmung holt, und dann hinter einer der vielen Ecken stellen sie ihr MG auf. Oder ein einsamer Pistolenschuß, der macht es auch. In Notwehr, ließe sich immer behaupten. Ich hätte da jemanden angefallen. Warum tue ich’s nicht? Wahrscheinlich wäre da die Aussicht auf einen vorzeitigen, nicht ganz natürlichen Tod größer, denn flüchten, das wird so einfach gar nicht sein, dazu muß man sich schon ganz gut in so einem Gefängnis auskennen und also ein alter, erfahrener Knacki sein. Ich käme doch gar nicht bis zur Mauer. Das wäre doch immerhin eine Leistung, so weit zu kommen, da hätte man sich wirklich einen würdigen Abgang dann verdient. Da dürfte ihnen die Kugel nicht zu schade sein. Denn das müßte ich ja befürchten, falle ich den Läufer von hinten an, auf der Treppe über ihn her: daß der Hund dann noch nicht mal schießt und die herbeieilenden Wachen mich nur zusammenschlagen, mehr nicht. Es gibt ja an den Wänden überall auf den Gängen und der Treppe auch diese Reißleinen, da sind sie sicher schnell zur Stelle. Das könnte man ja mal ausprobieren, was dann passiert, ob sie da dann schon mit gezückter Waffe aufkreuzen. Ich stürze auf der Treppe hin, simuliere einen Sturz, schwanke erst ein bißchen, damit das der Läufer schon sieht und für sich einordnen kann, als harmlos, wenn ich falle, mich einfach fallen lasse. Und natürlich will ich wie jeder Fallende nicht hinfallen, halte mich also irgendwo fest, grad wie’s kommt, und bei mir wäre das dann diese Reißleine, an der ich mich festhalte – nur so zum Test. Aber selbst dazu fehlt mir wohl der Mumm. Man weiß ja nie, wie’s endet und ob’s nicht vielleicht im Ernstfall endet und also doch mir nichts, dir nichts totgeschossen. Da bleibe ich lieber hübsch artig im Gehäuse, in meiner Klosterzelle und lasse mich nicht versuchen. Es gibt ja andere Fluchten noch, Fluchten, in denen ich mehr Übung habe. Fluchten, wo man dann weiterlebt. Weiterleben muß, und genau dort, von wo man so schön abgehauen ist.

      Kapitel 50: Nero

      Cäsaren-Wahnsinn, das hört sich doch schon mal gut an – diese ganz besondere und seltene, selten mögliche Art des Wahnsinns sagte man ihm ja nach. Von einem Reichskanzler-Wahnsinn ist bisher noch nichts bekannt geworden, aber wir haben ja jetzt einen Führer. Und der Führer liebt die Architektur und wäre wohl gern selber Architekt. Nero war da mutiger: er ließ sich als Sänger feiern, trat als Schauspieler auf und nahm an Wagenrennen teil – die armen Sterblichen, die bei diesen Rennen gegen ihn angetreten sind und wahrscheinlich nicht gewinnen durften. Als Sänger und Schauspieler soll er sich geziert und den Befehl ausgegeben haben, die Theater zu verschließen, damit keiner wegrennen kann. Das nenne ich konsequent, und jeder Künstler, wenn er denn ehrlich wäre und die Macht dazu hätte, täte nichts anderes: einsperren die Leute, und dann müssen sie lesen, sich die Bilder anschauen, den Versen lauschen, das Schauspiel miterleben, das doch viel wichtiger ist als ihr blödes Leben – das wäre so ein Kandidat, dieser Nero, ein sehr wohl berechtigter Anwärter auf den Thron, den ich in meinem historischen Roman noch zu vergeben habe. In Neros Zeit, Neros Epoche könnte er spielen. Er soll ja seine eigene Mutti umgebracht haben und auch seine Ehefrau. Um dann eine andere heiraten zu können – auch das ist konsequent und sicher für die meisten Ehemänner nachvollziehbar, nur fehlt es ihnen wiederum an der Macht, die Nero besaß. Ließe sich heutzutage ein solcher Vorfall bei einem Mächtigen des Dritten Reiches, beim Allermächtigsten wenigstens, vertuschen? Vielleicht ist er ja deshalb nicht verheiratet, der Führer. Und am Ende hat er sich umgebracht, der Nero, als seine Garde von ihm


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