Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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nicht. Und dann kroch sie noch höher, die verdammte Kälte. Richtige Hosen, Männerhosen sind wahrlich besser im Winter, an einem 28. Februar. So häßlich Männerhosen sind. Als wehte mir da fortwährend eine Zugluft um den Hintern, so kam es mir vor, als suchte sich der eiseskalte Wind den Weg direkt bis zu meinem Po – diese Frau da im Gebüsch, sie war frigide, haha, ihr Hintern, auf den es bei ihr so entscheidend ankam, frigide und gefühlskalt. Zu diesem öden Witz war ich noch fähig, wenigstens das. Mit andern Worten und mehr berlinerisch ausgedrückt: ich fror mir fast den Arsch ab, und ich stapfte durch den Schnee wie ein Soldat beim Wacheschieben – nein, erotisch war das nicht, das Frauendasein in diesen kalten Stunden, wirklich nicht.

      Und dann der Ärger, der natürlich kommen mußte, der unvermeidlich war, daß Speedy nicht gleich den ersten Bus genommen hatte und auch den zweiten nicht, und dann plötzlich der Gedanke, ich könne ihr damit unrecht tun, der furchtbare Gedanke, Speedy könnte als meine Frau in Berlin hopsgenommen worden sein. Oder bei einer Razzia erwischt, wo sie dann in ihrer Fahndungsliste nachsehen und dort den Namen Schlechter stehen haben, der auch Speedys Name ist – unwahrscheinlich natürlich, und dann hatte Speedy ja auch noch ihren Schweizer Paß mit ihrem Mädchennamen Elisabeth Koehler, und kaltblütig, wie sie doch ist in den Momenten höchster Anspannung, hätte sie den rausgeholt und so getan, als hätte sie ihre Aufenthaltserlaubnis vergessen, auf der der Name Schlechter steht. Unwahrscheinlich also, aber eben nicht ganz auszuschließen, daß Speedy irgend etwas passiert sein könnte, ein Mißgeschick, etwas, das sie hindert, zu mir zu kommen, und das bedeutete für mich, vollkommen aufgeschmissen zu sein.

      Das hätte es bedeutet. Wie sehr ich mich auf sie fixiert hatte, als meine Retterin fixiert hatte, wie unfähig ich war, mir selber zu helfen in der Not, mir wurde es erst dann wirklich klar. Ich hätte nicht gewußt, wohin. Oder noch unwahrscheinlicher: Masseck, der feige Opportunist, hat bei den Polypen Bescheid gesagt, oder gleich bei der SA, daß die Frau von diesem Schlechter bei ihm in der Wohnung hockt und über sie sicher auch an ihren Mann heranzukommen wäre – unwahrscheinlich und ein Gedanke, der Masseck unrecht tat. So war Masseck nicht. Masseck liebte Speedy. Und wahrscheinlich war es genau das, was Speedy abhielt, sich so früh wie nur möglich auf den weiten Weg nach Grünheide Alt-Buchhorst und zu mir zu machen, weil sie sich am Morgen noch einmal lieben wollten, die beiden – böse Ahnung, eine Unterstellung natürlich, aber nicht auszuschließen. Speedy durchaus zuzutrauen.

      Endlich dann um 11 Uhr 34, ich war wieder zur Stelle, nachdem ich mir verzweifelt im Wald die kalten Füße vertreten hatte, entstieg die verzweifelt erwartete Speedy dem Bus. Ich beobachtete es von meinem schon gewohnten Beobachtungsposten im Gebüsch der Bushaltestelle gegenüber aus und wartete dann ab, ob sie denn auch allein aus dem Bus kommt, was der Fall war, um sie dann ansprechen zu können – ich hätte ihr hinterherrufen können, wollte dies jedoch nicht, aus der Furcht heraus natürlich nicht, dadurch die Aufmerksamkeit der Dorfbevölkerung auf uns zu lenken. Ich folgte ihr also durch das kleine Waldstück, durch das dieser schmale Weg von der Bushaltestelle dann zu unserer Petzseestraße führt. Speedy hatte ganz schön einen Schritt drauf, und ich kam ihr nur mit Mühe hinterher – sie hatte es also eilig, nach Hause zu kommen, zu mir, sie hatte vielleicht sogar ein bißchen ein schlechtes Gewissen mir gegenüber, so spät erst zu kommen. Der Schnee schluckte meine Schritte, es war unheimlich still, während ich ihr folgte, sie verfolgte, und als ich’s dann geschafft hatte, nah genug bei ihr hintendran zu sein, sprach ich sie an, von hinten an: »Guten Tag, Frau Schlechter.« Ich nannte sie Frau Schlechter, ich weiß gar nicht, warum und was mich auf diese Idee brachte – ein plötzlicher Einfall, denn natürlich hätte ich sie von der Situation her ebenso gut auch mit Speedy ansprechen können und vielleicht besser sollen, denn natürlich hatte sie mit mir erst in unserm Haus gerechnet und zuckte also erschreckt zusammen. Was ich so gar nicht gewollt, nicht beabsichtigt hatte. Was aber doch wohl signifikant war, bezeichnend für die Zeiten, die nun in Deutschland angebrochen waren, und für mich auch nicht ohne Bedeutung, bedeutete doch dieser Schreck, der sie zusammenfahren ließ, daß auch sie sich in Gefahr wähnte, daß sie wahrscheinlich befürchtete, es könne dies nur jemand von der SA sein, der sie anspricht, der sie anspricht, um sie zu verhaften – sie war so lieb, mir dies später so zu bestätigen, so offen, obwohl es doch all dem widersprach, was sie mir gegenüber dann sehr bald, sehr deutlich als wahrscheinlich beziehungsweise unwahrscheinlich hinstellte: daß uns beziehungsweise, daß mir und damit uns in dieser angespannten politischen Situation Gefahr drohe. Sie habe es aber, so sagte sie mir, im nächsten Moment auch schon für möglich gehalten, es könnte ein Dorfbewohner sein, einer von unsern Nachbarn, der sie so anspricht, der sie anspricht, um sie davor zu warnen, ihr beziehungsweise unser Haus zu betreten, ihm besser gar nicht zu nahe zu kommen, weil dort die SA schon auf sie warte, die mich längst abtransportiert habe – ist sie nicht nett, die nette Schweizerin, die die Deutschen wohl immer noch nicht kennt? Das Denunziantenpack. Leute, die erst glücklich und staatsbürgerlich mit sich zufrieden sind, wenn sie jemand anderen angeschwärzt, der Polizei ans Messer geliefert haben. Aber das wird sie ja nun jetzt endlich doch kapiert haben, was von den Deutschen zu halten ist, nachdem sie mich, ihren Mann, wegen seiner unnationalsozialistischen Lebensweise angezeigt haben.

      Speedy drehte sich um, sie sah mich an, sah mir ins Gesicht, stutzte für einen Moment, dann aber erkannte sie mich doch in meiner Verkleidung. Den Mann in der Frau, die ihr da gegenüberstand im Schnee. Und das brachte Speedy zum Lachen, und es war sicher gut, daß sie lachte und mich doch nicht auslachte, wie ich’s befürchtet hatte, die Frau in ihrer ganzen Unbeholfenheit, die ich sein wollte, die ich vorgab zu sein. Und dann begrüßte sie mich, streckte sie mir ihre schmale Hand entgegen und sagte den Satz, ganz feierlich und ernst: »Auch ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Frau de Fries – das ist doch Ihr Name, Victoria de Fries?« Und da, da erst machte es bei mir Klick, und diese fatale Gedankenverbindung stellte sich her, die zwischen Victoria de Fries und Marius van der Lubbe, dessen Name doch im Radio genannt worden war, als der des Hauptverdächtigen, des eigentlich schon überführten Brandstifters: zwei holländische Namen, und wenn Speedy geglaubt hatte, ihren Schlechter besser nicht nur als Frau zu tarnen, sondern dazu auch noch mit diesem Namen Victoria de Fries zu schützen, dann hätte das ebenso gut beziehungsweise schlecht nach hinten losgehen und mich als Holländerin verdächtig machen können, als Gehilfin des schon geschaßten Holländers Marius van der Lubbe. Natürlich war es falsch und in dieser Situation unseres glücklichen Wiedersehens ganz und gar falsch, ihr damit als erstes zu kommen, mit den beiden Holländern, der zwischen ihnen von einem Polizeigehirn zu ziehenden Verbindung, und Speedy hatte natürlich vollkommen recht, und das mußte doch auch einsehbar für mich sein und war es doch auch, daß es sich dabei um eine Verkettung unglücklicher Umstände handelte und um mehr nicht, daß ihr, als sie mich am Abend zuvor von Masseck aus angerufen hatte, ausgerechnet diese holländisch klingende Victoria de Fries eingefallen war und nicht irgendeine Renate Schmidt Meier Müller Schulze – dieser Marius van der Lubbe, er war doch zu diesem frühen Zeitpunkt noch gar nicht gefaßt, das geschah doch erst eine halbe Stunde später, und in Deutschland kommt es mittlerweile auf jede halbe Stunde an, so rasch ändern sich manchmal die Verhältnisse. Aber es war mir eben doch eingefallen, es war so frisch und so beängstigend in meiner Angst, es mußte einfach heraus und gesagt werden, das mit den Holländern, der holländischen Gefahr – doch natürlich trug es nicht dazu bei, das Ehepaar Schlechter in dieser Situation zusammenzubringen, natürlich trübte es die Wiedersehensfreude sehr. Aber ich bin ja dumm. Dumm und psychologisch ungeschickt. Und also Mann. Also auch dann Mann, wenn ich Frauenkleider trage.

      Speedy stapfte entschlossen durch den Schnee Richtung heimwärts, und mir blieb nur, mit ihr Schritt zu halten zu versuchen und dabei, für den unwahrscheinlichen Fall, es beobachte uns jemand, nicht ganz undamenhaft auszusehen – bemerkenswerterweise stellte sie mir die Frage nicht: was ich denn im Wald gemacht hätte, ich hätte sie doch im Haus erwarten sollen. Mein Verhalten war also so ganz unverständlich nicht für Speedy. Was ich aber nicht verstand, war, warum Speedy unbedingt zum Haus zurückwollte, zu unserem Haus, wo doch die Gefahr für uns schon auf der Lauer liegen konnte – wenigstens hätten wir doch mal beraten können, die Situation, und was wir nun am besten unternehmen, aber sie ließ sich von mir nicht aufhalten, zu unserem Haus zu wollen, da halfen alle meine Versuche nicht, mit ihr da auf unserem Weg schon ins Gespräch zu kommen. Daß wir zu Hause in Ruhe darüber reden würden, das war’s, was sie mehrmals wiederholte und mit dem sie alle meine Befürchtungen abtat,


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