Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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gar nicht mehr versucht, meinem Schicksal zu entgehen. Aber sie verlangte es nicht, das jedenfalls nicht – ich solle mich schnell umziehen, damit wir loskämen und gleich noch den nächsten Bus in die Stadt schaffen würden. Ich zog das Kleid aus, während Speedy die Hose und das Hemd für mich holen ging, und als sie aus der oberen Etage zurückkam, fand sie mich in meinem weiblichen Darunter, meinen Dessous, und beschied mich damit, daß ich die gleich anbehalten könne unter meinen sonstigen Männersachen, und wenn ich ehrlich bin, dann gebe ich zu, daß ich, nachdem ich mir das Kleid ausgezogen hatte, extra etwas damit gezögert hatte, mich auch der schönen Wäsche des schönen Geschlechts zu entledigen, in der Hoffnung, sie möge genau dies von mir verlangen, und ich war natürlich sehr glücklich darüber, daß sie genau dies von mir nun verlangte. Die Wäsche, die weibliche, unter meinen Männersachen anzubehalten, und auch den BH, den ich mir bei ihr im Kleiderschrank ausgeborgt hatte, durfte ich anbehalten, Speedy hatte nichts dagegen einzuwenden, ja, sie lächelte mich aufmunternd an, als ich mir ihre alten Seidenstrümpfe aus den Körbchen ihres Büstenhalters holte, um sie mir dann in die Hosentasche zu stecken, denn vielleicht würde sich ja die Gelegenheit noch ergeben, sie dort wieder hineinzustopfen, um meine weiblichen Formen auch oben herum zu vervollständigen. Nicht, daß ich da irgendwelche konkreten Vorstellungen gehabt hätte, was für eine BH- und Ausstopf-Gelegenheit dies sein könnte. Sie hatte mich, das war’s, ich war schon gedanklich vollkommen in unserer bevorstehenden, gemeinsamen Unternehmung drin, und dann natürlich noch einmal mehr glücklich und überglücklich, als mich Speedy dann auch noch dafür lobte, daß ich auf die Idee gekommen sei, mir einen BH in ihrem Kleiderschrank zu suchen, um mit ihm meine Verweiblichung zu vervollkommnen, und wieder benutzte sie dabei das schöne Wort von der Perfektionierung. Ich sah Speedy Geld aus der Haushaltskasse holen, sah Speedy eine größere Summe in die Tasche stecken, während ich mich äußerlich und in den oberen Kleidungsschichten jedenfalls wieder in einen Mann zurückverwandelte. Fünf Minuten später verließen wir das Haus und waren pünktlich an der Bushaltestelle.

      Kapitel 54: Brandgeruch

      Der Maler in mir, er könnte doch immerhin als Rechtfertigung für meine sensationslüsterne Schaulust herhalten, und Turner hat doch genau das gemalt, den Brand des Parlaments in London, und er wäre das Vorbild gewesen – aber er hätte es für mich doch nicht sein können, wo ich doch nicht so ein Lichtmaler bin, kein Maler optisch faszinierender Effekte, und wahrscheinlich hätte mich dies von meinem Weg abgebracht, mich noch einmal mehr zu einem Epigonen gemacht, zu dem dann von William Turner. Aber ich dachte gar nicht dran, daß ich den brennenden, den qualmenden Reichstag hätte malen, in Essig und Öl verewigen können – die Zeiten sind doch vorbei, wo es jetzt die Fotografie für so was gibt, die den Vorteil hat, das authentisch abzubilden und wiederzugeben, objektiv und nicht durch die künstlerische Brille, die Augen eines Künstlers. Und Feuer in Schwarz/Weiß wie bei den Fotos, das hat dann noch seinen besonderen Reiz, und wer könnte noch so ein Rot zusammenmischen wie das des Feuers, und brennen, brennen muß es dann auch noch auf dem Bild – ich habe so was doch nie probiert und würde mich daran gar nicht wagen. Es überstiege vollkommen meine malerischen Fähigkeiten, denn eines ist ja Feuer nicht: so sachlich, wie es ein Neusachlicher, wie ich es nun mal im Kern bin und bleibe, braucht – ich würde ja auch nie Wasser malen oder mich wirklich mit einem Himmel abplagen wollen und mit Wolken oder gar Sonnenuntergängen. Das E-Werk, wo ich’s doch versucht habe, mit gleich allem, mit Wasser, Wolken und einer Sonne, die abendlich hinter Bergen versinkt, es war doch ein Reinfall. Meine ganze Romantik, sie kann doch nur noch unromantisch daherkommen, neusachlich, und das ist natürlich wiederum auch schade, denn am besten wäre doch die Malerei, die alles kann. Meine kann es nicht.

      Ich wollte ihn nicht malen, den brennenden, den an diesem Tag, folgte ich der Reportage, die ich früh im Radio gehört hatte, nun nur noch qualmenden Reichstag, aber ich wollte ihn gern sehen, ihn gern gesehen haben – einfach so. Aus Neugier, Sensationsgier, Schaulust. Wie alle Welt. Und pyroman sind wir doch alle ein bißchen, das Feuer zieht an. Weil es gefährlich ist. Angstlust. Und natürlich hoffte ich, daß wir bei unserem Weg in die Stadt, bei unseren Wegen durch die Stadt da mal beim Reichstag vorbeikommen würden. Und ich dann da stehenbleiben könnte. Mir das ansehen. Meine Neugier, Sensationsgier, meine Schau- und Angstlust befriedigen. Da kann man lange drüber philosophieren und sich vielleicht philosophierend auch darüber erheben, daß wir Menschlein so sensationsgeil veranlagt sind, aber das ändert doch nischt an der unglaublichen Anziehungskraft, Faszination des Feuers – ob das nun primitiv ist oder nicht, das ist mir doch egal, und dann gibt es da doch noch etwas anderes, das auf mich so faszinierend wirkt: daß so ein geschichtsträchtiges Ereignis, und als weltbewegendes, zumindest Deutschland veränderndes Ereignis würde ich den Reichstagsbrand schon bezeichnen wollen, auch im zeitlichen Abstand noch, wiederum nur so lokalisiert ist, an einem Ort in der Stadt stattfindet, während ansonsten das Alltagsleben einfach weitergeht und sich nicht darum zu kümmern scheint – das habe ich doch bei der Novemberrevolution so beobachten können, beim Spartakus-Aufstand, da war das auch schon so, da wurden im Zeitungsviertel Leute erschossen, während andere auf dem Kudamm im Café saßen, als wäre nichts. Und das ist irre, vollkommen irre. Die meisten lesen’s dann doch erst am nächsten Tag in der Zeitung, was direkt neben ihnen Spannendes passiert ist. Irgendwie geht das Leben immer weiter, und auch Speedy und mein Leben sollten ja an diesem Tag weitergehen, parallel zum aktuellen Zeitgeschehen. Sie wollte das so, und ich, ich hatte mich darauf eingelassen. Weil ich doch wußte, daß es besser so war. Besser für uns, besser für mich. Auch für mich. Aber sehen, schauen, meine Neugier, meine Sensationsgeilheit befriedigen, das wollte ich doch auch gern, und Speedy, Speedy wußte das natürlich ganz genau, daß ihr Mann, der Maler mit dem Malerauge, gern mal schauen würde, daß er richtig Lust hätte zu schauen, wie der Reichstag brennt oder wie er jetzt nach dem Brand ausschaut, verbrannt und angekokelt und vielleicht noch qualmend, Speedy weiß das doch, daß ich mit in diese Kategorie der Schaulustigen gehöre, Speedy kennt mich doch, und soll sie dies ruhig für ein Anzeichen meiner Herkunft aus der primitiven Unterklasse halten, die gute Schweizer Bürgerstochter, die sich selber zu fein dafür wäre, einem solchen Impuls nachzugeben.

      Und Speedy ist ja eine starke Frau, eine Frau, die nicht nur einen klaren Willen hat, eine Frau, die es auch gewohnt ist, ihren Willen durchzusetzen, und wenn sie das nun mal ihrem Mann nicht gestatten will, einen neugierigen, sensationslüsternen Blick auf den Reichstag zu werfen, dann wird sie mit diesem primitiven Hansel von Mann dort auch nicht vorbeigehen oder wenigstens in der Nähe vorbeifahren, damit er schauen und sehen kann, was er so gerne sehen würde – so ist das, und das war mir natürlich vollkommen klar. Deshalb brachte ich dieses Thema, ob wir nicht mal beim Reichstag vorbeischauen könnten, während unserer Fahrt mit der S-Bahn in die Stadt gar nicht zur Sprache. Ich erwähnte den Reichstag gar nicht, den ich so gern in seinem derzeitigen Zustand gesehen hätte, und dies in der Hoffnung, daß Speedy, deren Abneigung gegen Schaulustige ich ja kenne und auch damals schon zur Genüge kannte, erst gar nicht daran denke und so sehr nicht daran denke, daß wir da von ihr unbedacht in diese Gegend geraten und ich auf diese Weise dann doch vielleicht einen Blick auf ihn werfen könne, auf den Reichstag. Aber so unbedarft ist meine Speedy natürlich nicht, daß sie nicht in etwa wüßte, was in ihrem Mann vorgeht, und in Berlin kennt sie sich doch auch genügend gut aus, daß sie da mal nicht eben unbeabsichtigt in die Gegend des Reichstages gerät, wenn sie nicht genau in diese Gegend geraten will, und so wunderte es mich doch, daß sie, nachdem sie mit mir am Bahnhof Friedrichstraße aus der S-Bahn ausgestiegen war, einen so unnötig komplizierten Weg wählte, wenn denn das so stimmte, was sie mir gesagt und angekündigt hatte, daß sie mit mir nach Schöneberg wolle, wo sie ein paar ansprechende Miederwarengeschäfte mit freundlicher Bedienung kenne, die wohl dann dafür dasein sollte, sie bei der Auswahl eines Korsetts für mich zu beraten – um nach Schöneberg zu kommen, wären wir doch einfacher am Zoo ausgestiegen und hätten uns da nicht zu dieser Bushaltestelle beim Deutschen Theater in der Nähe durch die engen und immer eigentlich vollen Straßen hinter der Spree durchschlängeln müssen. Wollte sie etwa zu dem Bus dort, der dann die Wilhelmstraße entlangfährt und mir also von ein paar Stellen aus einen Blick auf den Reichstag zu erhaschen erlauben würde?

      Speedy ist ja nicht einfach nur eine starke Frau, die ihren Willen, ihre Auffassungen durchzusetzen gewohnt ist, Speedy ist ja auch eine Frau und dann Ehefrau, die es durchaus darauf anlegt,


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