Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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nicht. Als ehemaliger Linker und KPD-Sympathisant doch nicht, und nicht nur, weil ich diese Leute doch kannte und wußte, daß es sich bei ihnen um ähnlich rohe Gesellen handelt wie die Nazis. Das waren doch Brüder, die Nazis und die Kommunisten. Pack, bei dem es keinen Pardon gibt. Das müßte ich doch befürchten, als Abtrünniger verfolgt zu werden. Das Proletariat ist nachtragend, und auch meine einstigen Genossen werden ihre Listen geführt haben, wo ganz besonders und dick unterstrichen die Verräter verzeichnet sind. Und den Verräter, den hassen sie doch mehr als ihren wirklichen Feind. Ich kenn das doch, ich habe das doch mitgemacht. Habe doch selber Leute, vollkommen harmlose Hanseln, Künstler, aus dem Bund proletarischer Künstler ausgeschlossen, als ich dessen Sekretär und Schriftführer war, Leute, die auf dem Absprung waren, verständlicherweise die Schnauze voll hatten von dem Parteigebrabbel – von selber gehen, sich von uns wie zivilisierte Menschen verabschieden, nein, das durften sie nicht, das ließ die Parteiraison nicht zu, die heilige proletarische Sache. Sie mußten sich erst von uns Zurückgebliebenen, Zurückbleibenden als Ketzer beschimpfen, als Lakaien der Bourgeoisie brandmarken lassen. Schönes Spiel, Scheißspiel. Und genauso war es mir dann doch auch ergangen, als ich mich auf den Weg nach rechts machte, meine Schriftführertätigkeit einstellen wollte, meine Mitarbeit an der Sache der proletarischen Revolution – was, wenn sie nun siegen würde? Nur das nicht. Ich sah mich befragt, von einem strengen Revolutionstribunal verhört, ich sah den kurzen Prozeß vor mir, den sie mit einem Verräter wie mir veranstalten würden, sah mich standrechtlich erschossen, und für einen kurzen Moment doch wünschte ich mir nichts sehnlicher als den Sieg von Adolf Hitler im Bürgerkrieg.

      Kapitel 52: Vor dem Tribunal

      Genosse Schlechter. Ich bin nicht euer Genosse Schlechter, nicht mehr. Du hast den Ehrentitel eines Genossen verwirkt, wir wissen es, du elende Ratte. Aber dann sprecht mich nicht als Genossen an, der ich längst nicht mehr bin. Einmal Genosse, immer Genosse. Man tritt nicht so einfach aus der Partei aus. Aus dieser nicht. Wir sind doch kein kleinbürgerlicher Kleinkleckerlesverein. Aber ich bin es doch, ein kleinbürgerlicher Klecks, mehr nicht. Du hast immer deine proletarische Herkunft betont. Halbproletarisch. Gibt’s nicht. Entweder oder. Schwarz oder weiß. Schwarz – ich glaube doch jetzt an den Pfaffenrock und nicht mehr an die rote Fahne der Weltrevolution. Religion ist Opium für das Volk. Ich bin ein Verblendeter. Ich bin für eure Sache verloren, Genossen. Aber ich schade ihr doch nicht. Ihr macht euers, ich meines. Du bist ein Volksschädling, du gehörst ausgemerzt. Aber doch erst im März, nicht im Februar schon. Du setzt auf den Sieg der Reaktion? Das Proletariat wird siegen. Das Proletariat kann gar nicht siegen. Siegt es, hört es auf, Proletariat zu sein, und auch in euerm Staat muß doch irgendwer die Arbeit machen. Die Avantgarde schreitet unermüdlich voran. Laßt mich am Wegrand zurück, ich bin nur ein unnützer Künstler. Wir überlegen noch, ob es sich lohnt, einen von uns mit der Maschinenpistole neben dich zu stellen, der aufpaßt, daß du auch das malst, was uns paßt. Nehmt einen Nazi-Maler dafür, die können das besser. Das Proletariat will keine Parasiten mit durchfüttern müssen. Ich male, was ihr wollt, ich bin künstlerisch eh schon am Ende. Dann sparen wir uns die Patrone, Genosse Schlechter. Nennt mich doch nicht immer Genosse. Du hast wohl Angst vor der Reaktion?

      Kapitel 53: Weiter im Text

      Ich hatte den Wecker ja neben mir auf dem Nachttisch stehen, deshalb erinnere ich mich so gut an die Uhrzeit: es war 10 vor 7 in der Früh, als mir erst einfiel, und das, nachdem ich mich fast zwei Stunden mit der Schreckensvision eines Sieges der Linken über Hitler und damit auch über mich abgegeben hatte, daß ich ja mittels des Radios eine Verbindung zur Außenwelt besaß – das Radio, es gehört so sehr Speedy, es wird von Speedy allein an- und auch wieder ausgeschaltet, daß das wirklich so lange dauerte, bis ich darauf kam. Aber wenn es nicht grad diese Schreckensvision gewesen wäre eines Sieges meiner ehemaligen Genossen, auf die ich in meiner politischen Einfalt verfiel, wenn ich dem Nazi, der mir doch mit der Kanzlerschaft ihres Herrn Hitler saturiert erscheinen wollte und vorerst in seinen Ambitionen befriedigt, da noch einen Coup zugetraut hätte, seine Macht zu zementieren oder total zu machen, ich, auch ich wäre wohl früher schon auf das Radio gekommen, denn immerhin, und das wäre ja zu assoziieren gewesen, hatte doch Speedy, und mein Ausgangspunkt war ja Speedy und welche eigentlichen Gründe sie denn haben mochte für ihre Aufträge an mich, über das Radio, ihr Radio, auch von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erfahren – diese Verbindung, Gedankenverbindung wäre doch leicht zu ziehen gewesen, aber ich bin ja wohl dumm und manchmal wirklich schwer von Kapee. Doch diese Verzögerung, diese Langsamkeit meines Denkapparats, sie hatte insofern etwas Gutes, als ich ja bei meinem Erwachen zwei Stunden vorher wohl vergeblich den Radioapparat eingeschaltet hätte – aber was weiß einer wie ich, der nicht arbeiten und also nicht in der Früh aufstehen muß, wann in Deutschland am Morgen das Radioprogramm beginnt. Ich weiß es nicht, und womöglich hätte ich mir die fast zwei Stunden wüster Spekulationen, geplagt von dieser Schreckensvision, ersparen können – von dieser jedenfalls. Der eines dann doch linken Triumphes.

      Ich hatte noch zehn Minuten bis zu den 7-Uhr-Nachrichten, aber ich stand sofort auf und warf mir Speedys Morgenmantel über, ging hinunter in die Küche, wo sie das Radio stehen hat, und schaltete den Apparat ein, schaltete mich direkt in eine dort grad laufende Direktübertragung ein, in eine Reportage vom brennenden Reichstag – im ersten Moment verstand ich natürlich nicht, worum es ging, aber das wurde dann doch sehr schnell klar, daß der Reichstag brannte, immer noch brannte, lichterloh brannte und am Vorabend angezündet worden war. Von wem? Daran gab es dem Reporter zufolge keinen Zweifel: von den Kommunisten, und die Rede war auch davon schon zu diesem Zeitpunkt, daß ein holländischer Kommunist Namens Marius van der Lubbe verhaftet worden und der Brandstiftung bereits überführt sei – ein Holländer? Das war merkwürdig. Ein Kommunist, das war weniger merkwürdig. Jedenfalls daß die Nazis dies behaupteten, es wäre ein Kommunist gewesen. Ein Holländer, so dachte ich, so vermutete ich sofort dann, vielleicht deswegen, damit die Internationale schuld ist, wegen der Komintern, und weil das jedem anständigen Deutschen ja geläufig war, die Rede von den vaterlandslosen Gesellen. Gleich Kommunisten. Gleich Sozialdemokraten erst, gleich Kommunisten nun. Ein Holländer hatte den Reichstag angezündet, ein Kommunist, ein Einzeltäter, ein einzelner, wahrscheinlich durchgeknallter Kommunist, und im ersten Moment, ich gebe es zu, war ich beruhigt: kein Aufstand der Arbeiterparteien, die Revolution war doch nicht ausgebrochen. Im nächsten Moment aber hielt ich’s für möglich, daß genau dies, den Reichstag anzuzünden, als Fanal gedacht sein könnte, als das Zeichen an alle Unterorganisationen der Kommunistischen Partei und vielleicht sogar beider Arbeiterparteien, mit dem Aufstand zu beginnen. Und das bedeutete dann immer noch oder wieder, daß es einen Bürgerkrieg geben würde. Und also kam die Panik zurück, die Schreckensvision, und ich blieb ein Anhänger des Führers, blieb es, bis ich die Nachrichten hörte, und die Nachrichten vermeldeten dann nichts, was auf einen solchen Aufstand hingewiesen hätte. Meine Schlußfolgerung, die sicher die Schlußfolgerung vieler in Deutschland war: die Nazis werden den Reichstag selber angesteckt haben, werden ihn angesteckt haben, um dadurch einen Vorwand zu bekommen, ihrerseits gegen die Linke losschlagen zu können. Und, wenn nicht, wenn sie nicht selber die Brandstifter waren, sondern wirklich dieser eine durchgedrehte Holländer-Kommunist, dann würden sie dies auszunutzen wissen, um genau das zu tun: gegen die Linke losschlagen, den Vernichtungsschlag gegen alles, was irgendwie links ist, führen – gegen alles, und damit war sie wieder da, die Angst vom 30. Januar, die Angst, auch ich könne bei ihnen auf einer Liste stehen – neuerliche Panikattacke. Diesmal aber eine andere. Panische Angst vor den Nazis. Herzrasen. Angstschweiß. Mir zitterten die Hände, zitterten die Knie.

      Und dann sofort auch der Gedanke daran, daß auch Speedy dies wohl für möglich gehalten haben muß, daß ich auf einer solchen Liste stehe, einer Todesliste der Nazis. Das war die Erklärung für ihren abendlichen Anruf, und es paßte zeitlich genau zusammen, das war die Bestätigung meiner Ahnung: es hatte für Speedy andere Gründe gegeben, die sie dazu veranlaßt hatten, mich, genauso wie am 30. Januar, mit meiner Verweiblichung zu beschäftigen, und klar war nun auch, warum dies nicht bis zum nächsten Tag warten konnte: sie wollte mich vom Radio fernhalten. Mich in Sicherheit wiegen. Und auch das ging nun auf, das mit dem Namen und nicht allein nur dem weiblichen Vornamen, und warum sie da von behelligen gesprochen hatte: daß Speedy also


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