Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Ich folgte ihr, und ich erinnere mich nur an die Bewegungen ihrer schlanken Beine in den schwarzen Pumps, an den Saum ihres Pelzmantels, der bei jeder Stufe hin und her wippte, als wolle er sich über mich lustig machen. Und meine Gefühle? Keine Gefühle, ich fühlte mich wie tot, wie der Verurteilte, der die Stufen zum Schafott erklimmt und längst mit seinem Leben abgeschlossen hat. In der dritten Etage hielt sie an und stellte sich vor die große, dunkle Eichentür auf der linken Seite. Ich ging zur Klingel, ich las den Namen Masseck und drückte auf den Klingelknopf, die Klingel gellte laut. Ich hörte Schritte, die sich der Wohnungstür näherten – wer war Masseck? Wer nur war das? Masseck – der Name sagte mir nichts, überhaupt nichts, und dabei hatte mir Speedy doch angekündigt, ich würde ihn kennen, diesen Mann. Diesen Mann, der ihr Liebhaber war. Dann öffnete sich die Tür, langsam, viel zu langsam, als solle ich auch in diesem letzten Moment noch einmal auf die Folter gespannt werden. Sie öffnete sich, die Tür, und hinter ihr wurde ein junger Mann sichtbar, höchstens dreißig Jahre alt, gut aussehend, ja, gut aussehend und nicht nur wesentlich jünger als ich, auch entschieden besser aussehend als ich, und das also war Masseck, und nun erkannte ich ihn auch: das also war Masseck, Richard Masseck, genau – Speedy hatte ihn mir mal auf einer Party vorgestellt, auf einer Party, die aber auch eine Premierenfeier gewesen sein kann, bei Piss, wie Grosz ihn nannte, beim Pisskater Piscator in seinem Theater am Nollendorfplatz, aber so wichtig ist das nicht. Ich kannte ihn also, diesen Richard Masseck, hatte ihn einmal gesehen, nichts davon ahnend, daß es zwischen ihm und Speedy eine nähere Verbindung geben könnte, eine intime, aber ich war ja blind für so was, und Speedy hatte ihn mir ja auch nur ganz kurz vorgestellt, mehr nicht, diesen jungen, auffällig gutaussehenden Mann, und zwar als den Zeitungsschreiber, der so nett gewesen war, ihr ausdrucksstarkes Gesicht in seiner Filmkritik zu erwähnen – BZ am Mittag, genau, und Masseck, Richard Masseck war derjenige, der in diesem billigen Massen- und Revolverblatt die Filmkritiken schrieb, und Speedy kannte ihn deswegen, weil sie ja in ein paar Filmen mitgespielt hatte, in unbedeutenden Nebenrollen, und dies, wie ich annahm, eigentlich nur zum Zeitvertreib und weil sie Besseres doch nicht zu tun hatte und vielleicht auch ein paar Kröten verdienen wollte, auf leichte Weise, und daß sie Masseck, einen Filmkritiker, kannte, es hatte mich doch nicht weiter verwundert, wo es doch diese Verbindung gab, und Speedy, Speedy kannte viele, kannte ganz Berlin.

      Kapitel 31: Ein junger Mann aus gutem Hause

      Richard Masseck also öffnete die Wohnungstür, und er reagierte offensichtlich erstaunt, wenn mich nicht alles täuschte, erstaunt darüber, Speedy nicht allein, sondern in meiner Begleitung zu sehen. Und für einen Moment standen wir beiden Männer uns peinlich berührt gegenüber – Speedy wird die Situation genossen haben, nehme ich mal an. Ich ahnte, daß es das war, was Speedy von mir verlangt hatte, daß ich das jetzt auch Masseck gegenüber direkt verbalisieren, in Worte fassen sollte, diese Übergabe von Speedy an ihn – aber wie hätte ich das formulieren können? Ich bringe Ihnen hier meine Verlobte – etwa so? Oder: Ich habe hier jemanden für Sie, der mit Ihnen die Nacht verbringen, mit Ihnen schlafen will – nein. Sie waren mit Fräulein Koehler verabredet, ich übergebe sie Ihnen hiermit – das vielleicht noch am ehesten. Aber wahrscheinlich hätte ich auch das nicht rausbekommen, noch nicht einmal das. Masseck zum Glück aber, als ein Mann von Welt, ein Mann mit Umgangsformen, beendete die peinliche Situation und erlöste mich aus meiner Not, er bat uns beide herein, und er sagte es piekfein auf Französisch: »Entrez!«, und dies vielleicht, um in diesem Moment ein bißchen Distanz wahren zu können. Nur stürzte er mich damit ins nächste Dilemma, wußte ich doch nicht, ob Speedy denn überhaupt damit einverstanden sein würde, wenn ich, der sie beide doch nur bei ihrem verabredeten Tête-à-tête stören würde, dieser Aufforderung von Masseck Folge leiste. Ich stand also zögerlich und unentschlossen da, nachdem Masseck schon in seine Wohnung zurück und durch den langen Korridor vorausgegangen war, und ich stand so lange da, nicht wissend, wie mich nun verhalten, bis Speedy zu mir sagte: »Nun geh schon rein, du Trottel.«

      Kapitel 32: Zeitungsschreiber Masseck

      Seine Wohnung, sie verblüffte mich dann doch, das muß ich schon sagen, sie paßte bei mir nicht unter das Stichwort BZ am Mittag: billig, primitiv, Massengeschmack, geistige Niveau- und Anspruchslosigkeit, Volksverdummung und dieses Zeug, was man so denkt und annimmt, ohne dieses Blatt auch nur mal eine längere Zeit gelesen zu haben, der typisch elitäre Standpunkt, das kulturbeflissene Vorurteil. Bei mir in einer verqueren Links-Rechts-Mischung: links, weil wir nicht den dummen Proleten die Schuld an ihrer Dummheit geben wollten und doch ja damit nie klarkamen, daß sie nicht klassenbewußt Revolution machten oder wenigstens wählten, sondern sich immer wieder reinlegen ließen, wie blöde Schafe ihren Metzgern auf den Leim gingen – manipuliert also, äußerst geschickt, mit perfidester Raffinesse manipuliert, die Leser solcher Zeitungen also als Opfer, und rechts dann auch bei mir die Betrachtungsweise, die mit arroganter Verachtung auf die Niveaulosigkeit dieser Mietschreiber, dieser Achtgroschenjungs von Ullstein und Konsorten herabblicken zu können glaubte, die Journaille allgemein und an und für sich als Zeichen des Kulturverfalls, das Abendland geht schon zur Mittagszeit unter, in einem Blatt wie der BZ am Mittag, na, dann Gute Nacht, Deutschland – dagegen hat ja sogar der Völkische Beobachter noch Niveau, und das Verrückte war nun, das überraschend Neue für mich auch, daß ein Mann wie Masseck, der sich in seinen Filmkritiken mit drei zusammenhängenden Sätzen begnügte, und dann ging der Daumen eben hoch oder runter, der sich eines Stiles befleißigte, bei dem jedem auch nur einigermaßen sensiblen Menschen das Kotzen kommen mußte, in einer Wohnung saß, die dem vollkommen widersprach: intellektuell, die ganzen Wände voller Bücher, gute Möbel in einer interessanten Mischung aus alt und neu, antike Sachen, die durchaus Wert zu haben schienen, und dazwischen ein paar ultramoderne Stahlrohrtische und Stühle, diese in bestimmten Kreisen berühmte und als gestalterische Meisterleistung anerkannte Tischlampe von diesem Wagenfeld, die mit dem runden weißen Glasschirm, und auch die Bilder, die er an den Wänden zu hängen hatte, verrieten Geschmack – auch wenn das nicht unbedingt mein Geschmack war, aber als bloßen Kitsch waren die nicht abzutun, diese kleinen Landschaften aus dem Umkreis der Düsseldorfer Schule. Und im Korridor hatte er dieses Plakat von Metropolis angepinnt, dieses längliche Format, sicher eines der besten Filmplakate, das es bisher in Deutschland je gegeben hat, modern, wenn auch schon ins Faschistische tendierend, jedoch nichts, was einem biederen Nationalsozialisten gefallen hätte – Goebbels vielleicht noch, nicht aber dem Postkartenmaler Hitler. Und dieses eine Plakat, das war das einzige, was irgendwie darauf hinwies, was Masseck beruflich machte – nicht an diesem Abend natürlich, aber später dann ergab sie sich doch, die Möglichkeit, Masseck mal darauf anzusprechen, daß er so wenig dem Klischee entsprach, dem, wie ich mir einen Journalisten der BZ am Mittag vorgestellt hatte, und dabei kam dann heraus, daß Masseck aus einer gutbürgerlichen Familie stammte, deutsches Bildungsbürgertum, seinem Milieu entfremdet durch eine echte Kinoleidenschaft, und Kino war ja etwas für den Massengeschmack, und es kam heraus, daß er es als eine Herausforderung für sich ansah, das Verschwiemelte der normalen deutschen Kunst- und Literaturkritik, dieses hochtrabende Wortgetöse, mit dem er groß geworden war, zu überwinden und zu den einfachen Aussagesätzen der BZ am Mittag zu kommen – wäre er ein Zyniker gewesen, ich hätte ihn leichter für mich aburteilen können, aber er war’s nicht, er gehörte zu diesen jungen Leuten aus dem Bürgertum, die dieses bürgerlich Verschnarchte in sich überwinden wollten. Auch dieser Speer, den ich durch Jünger via Breker dann mal kurz kennenlernte, gehört zu diesen Leuten, und ohne die würde der ganze schöne Nationalsozialismus wohl gar nicht funktionieren – auch wenn das für Speedy dann natürlich peinlich war, daß ihr Masseck nach der Machtergreifung dann erst richtig Karriere machte, ohne daß er wahrscheinlich jemals ein fanatischer Nazi wurde, mich wunderte es eigentlich nicht. Bei den Russen hätte er das wahrscheinlich auch gemacht, Karriere – etwas tun können, sich entfalten können, der Typ des forschen Aktivisten, der sich von Rücksichten freimachen will, das also war er, Masseck, Richard Masseck. Nicht unsympathisch, aber natürlich mein Feind. In allem.

      Kapitel 33: Mein Feind Masseck

      Das war er doch, mein Feind, und so empfand ich ihn auch, aber eben als netten, durchaus sympathischen Feind, was es nur um so schlimmer machte, weil mich


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