Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Augen davor, reicht die Scheidung nicht ein, und weder ist das hier Rassenschande noch als Prostitution zu werten – so what, wie wir früher zur Systemzeit in unseren Kreisen gesagt hätten und was mein Freund George in New York auch heute noch leichten Herzens sagen kann. Gut, das mag nicht grad nationalsozialistisch sein, aber es ist doch deshalb noch nicht direkt unnationalsozialistisch – vorausgesetzt, wir wüßten überhaupt, was in einer solchen Situation echt nationalsozialistisch gehandelt wäre. Die Steinigung bei Ehebruch, die gibt’s ja in Deutschland nicht, auch im nationalsozialistischen Deutschland nicht – man sollte das zwar vielleicht wieder bei Gelegenheit einführen, aber so weit sind wir doch nicht, und wären wir soweit, ich hätte mit meiner systematisch untreuen Speedy längst das Weite suchen müssen. Apropos Speedy: Speedy wäre natürlich auch noch eine Erklärung für den Stimmungsumschwung meines Herrn Kriminalobersten – ginge es nur gegen mich, die Sache sähe anders aus, ginge es dabei nicht auch um Speedy, sondern um eine häßliche, aufdringliche Weibsperson, bei der der Gedanke, sie könne mannstoll sein, wie die etwas altertümlichen Theologen das nannten, bei jedem Mann Widerwillen und Furcht vor einer Verführung auslöst, die mehr einer Art von Vergewaltigung gliche, es sähe wahrscheinlich wirklich anders aus. Speedy aber sieht doch toll aus, so toll, daß man als Mann das vielleicht ganz gern hätte, wäre sie mannstoll und also nymphoman, um das mal mehr in den Jargon meiner früheren Kreise zu bringen – Speedy ist zwar noch nicht als Zeugin vernommen worden, was mich, ehrlich gesagt, etwas wundert, aber mein plötzlich sehr viel netterer Untersuchungsbeamter hat Speedy natürlich schon gesehen, mehrmals schon, und das gleich nach der ersten Woche, wo sie bei ihm mit ihrem Charme die Liege- und Schreib- beziehungsweise Zeichenerlaubnis durchgedrückt hat. Und sie geht auch unter der Woche und damit an den Tagen, wo wir keinen Sprecher haben, immer mal wieder auf einen Sprung hier beim Gefängnis vorbei, um für ihren Mann eine Kleinigkeit abzugeben, mal ein paar Bonbons oder einen Apfel, damit er ein paar Vitamine bekommt, oder wenn ich eine gewaschene Unterhose brauche, und da läßt sie sich nicht an der Pforte abwimmeln und gibt erst Ruh, wenn sie im Büro des für mich zuständigen Beamten steht. Das ist natürlich eine Strategie von Speedy, menschliche Bande zu knüpfen, und bei Speedy sind das nie allein nur menschliche Bande, sondern immer welche, die einen sexuellen Unterton haben, das kann sie gar nicht anders. Speedy will Männer beeindrucken, und auch der Kriminaler ist ein Mann, und daß sie auch bei ihm nicht ohne Eindruck geblieben ist, dessen ist sie sich doch schon sicher – mir soll das recht sein. Soll der Mann doch schwach werden, dann versteht er’s besser, daß auch andere Männer bei Speedy schwach werden und schon reihenweise schwach geworden sind, und der Allerschwächste vorneweg, das bin doch ich, ihr Mann, ihr Männchen. Bemerkenswert ist auch, daß wir überhaupt diese Sprecher haben, wo wir uns doch absprechen könnten, und natürlich tun wir das auch – warum läßt der Mann das durchgehen, warum nur? Er sollte doch nicht etwa das ganze absurde Verfahren ins Leere laufen lassen wollen?

      Natürlich versuchen wir das, uns abzusprechen, Speedy und ich – ich meine, soweit dies geht und überhaupt möglich ist, wo doch das für mich nicht ab- und voraussehbar ist, womit ich bei der nächsten Vernehmung konfrontiert werde. Also, was die katholische Untermietsproblematik betrifft, haben wir wohl eine Sprachregelung gefunden, an die auch Speedy sich halten kann, wird sie mal als Zeugin geladen – was aber nicht passiert. Bisher jedenfalls noch nicht passiert ist. Seltsamerweise nicht. Wegen ihrem Schweizer Paß? Wozu der noch mal vielleicht gut sein könnte, das hätte ich so niemals gedacht und wohl auch Speedy nicht. Den nicht abzugeben und als meine Frau die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, was ihr ja möglich gewesen wäre, das war wohl wieder dieser Instinkt bei ihr, und das, obwohl sie ihre verdammte Schweiz doch so haßt. Verblüffend aber auch, daß sie uns hier so ungestört und unkontrolliert miteinander reden lassen beim Sprecher – hätte ich mir so nicht vorgestellt, daß das in einem deutschen Gefängnis so lax gehandhabt würde. Eher, daß sie neben jeden Häftling einen Schießhund von Aufpasser stellen, und der hört dann jedes Wort mit und verhindert alles, was nach Absprache klingen mag, nach irgendwelchen Informationen auch, die da zwischen Drinnen und Draußen, Draußen und Drinnen ausgetauscht werden. Aber ist nicht, ist so nicht, und genaugenommen habe ich mir doch auch nie ein Gefängnis-Innenleben vorzustellen versucht. Lag ja vollkommen außerhalb meines Vorstellungsvermögens, und daß das vielleicht doch angezeigt wäre, mich da ein bißchen um Insiderwissen zu bemühen, wäre mir im Traum nicht eingefallen, wo ich doch um die Strafbarkeit meiner unnationalsozialistischen Lebensweise gar nicht wußte, und wenn nur von dem Alptraum geplagt wurde, da mal bei irgendeiner sich bietenden Gelegenheit nationalsozialistisch erschlagen zu werden. Das ist ein großer Raum, wo der Sprecher stattfindet, und wir untersuchten Untersuchungshäftlinge sitzen da an einem ellenlangen Tisch aufgereiht nebeneinander, getrennt durch so kleine, halbhohe Bretterwände und vor uns die, die uns besuchen dürfen – meistens Frauen sind’s, soweit ich das mitbekomme, die wir da vor uns gegenüber zu sitzen haben, und so auch bei mir dann Speedy. Ich war so dumm, mal meinen Herrn Vernehmer darauf anzusprechen, auf diese Situation, und besonders dumm war’s, weil ich mir das vorher überhaupt nicht klargemacht habe, worauf ich eigentlich hinauswill. Er hörte die Beschwerde bei mir raus, nicht allein mit meiner Frau, mit Speedy, sprechen zu können: ob ich etwas gegen diese Massenabfertigung einzuwenden hätte – was sollte ich darauf sagen, und also murmelte ich was davon vor mich hin, daß das schließlich nicht sehr angenehm wäre, diese permanente Unruhe, bei der man sich gar nicht konzentrieren könne und oft auch gar nicht eine wirkliche Verbindung zu seinem Gegenüber finde, es fehle doch die Intimität dazu. Ob ich denn etwa meinen würde, so schoß er gegen mich, mein Kriminaler, sie hätten das Personal, jeden Häftling in einen Extra-Raum zu setzen und einen Wärter dazu – und, wie gesagt, das war furchtbar dumm von mir, denn so, wie es ist, daß da ein, zwei Wärter hinter uns Häftlingen auf und ab marschieren, daß deren Kontrolle, was da von Drinnen nach Draußen und Draußen nach Drinnen gesprochen wird, also nur eine sehr oberflächliche sein kann, wenn überhaupt, das sollte mir doch nur recht sein und billig. Ich kann nur hoffen, daß sein Polizistengehirn von mir nicht auf den Trichter gebracht worden ist, in meinem Falle mal wieder eine Ausnahme zu machen, wo wir dann zwar allein in einem Raum, vor einem Wärter dann aber auch wie auf einem Präsentierteller sitzen würden, und der dann alles mithören könnte, was Speedy und ich so zu besprechen haben. Aber ich war ja wieder mal hilflos, wußte nicht, was sagen, und dann in meiner überbordenden Dummheit nicht aufzuhalten und sagte ihm, daß es mich einfach wundern täte, ich mir das so nicht vorgestellt hätte – darauf er scharf: was ich damit meine? Ja, was meinte ich damit? Ich meine: was sollte ich ihm denn nun sagen, das ich’s meine? Also stammelte ich da etwas und vergaloppierte mich nur noch mehr in meine unsägliche Dummheit hinein, daß da ja dann bei dieser Reglung mit der Massenabfertigung beim Sprecher zwischen Drinnen und Draußen, Draußen und Drinnen ein Informationsfluß möglich wäre – was mache ich mir darum den Kopf, das sollte ich doch wohl besser den Polizistengehirnen überlassen, die geht das was an, mich doch nicht. Er lachte mich aus und sagte, ich könne getrost davon ausgehen, daß die Leitung der Haftanstalt darauf achten würde, daß nur Personen zum Sprecher zugelassen würden, bei denen nicht angenommen werden könne, daß sie den Häftlingen Informationen von ihren sich noch in Freiheit befindlichen Kumpels zukommen lassen. Wen sie da einer Bande zurechnen würden, von der noch nicht alle geschnappt seien, der bekäme doch gar keine Besuchserlaubnis, zugelassen wären außerdem ja nur Familienmitglieder, die in keiner Verbindung zu dem kriminellen Milieu stehen, dem die Untersuchungshäftlinge angehören. Man kenne doch seine Kundschaft – merkwürdiger Ausdruck, das mit der Kundschaft, aber er benutzte ihn nicht zum erstenmal, und er sagte auch mal, als ich mich darauf rausreden wollte, doch noch nie was von einem Straftatbestand der unnationalsozialistischen Lebensweise gehört zu haben, seine Kunden sonst, die wüßten allerdings schon über die Preise Bescheid, und auch das Wort Dauerkunden ließ er dabei fallen. Zu denen gehöre ich nicht, und wahrscheinlich irritiert das auch meinen erfahrenen Kriminalen, daß er nicht weiß, wie mit einem solchen Fall wie meinem umzugehen. Das Fatale ist ja nun, daß in meinem Fall zwar auch nur ein Familienmitglied, meine Ehegattin, also Speedy, zum Sprecher zugelassen ist, von der sicher nicht angenommen werden kann, daß sie einem kriminellen Milieu angehört, daß wir beide, als das Ehepaar Schlechter, also sicher nicht in dieses Raster fallen, aber doch beide zusammen in die mir bisher jedenfalls allein nur vorgeworfene unnationalsozialistische Lebensweise involviert sind. Genaugenommen also beide Täter, weshalb ja immer noch damit zu rechnen ist, daß Speedy auch noch nationalsozialistisch in Untersuchungshaft


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