Speedy – Skizzen. Florian Havemann
nur unter der Auflage ausgehändigt bekommen, daß ich in ihm nichts aus dem Gefängnisleben festhalten dürfe – absurd, ich hätte also, genaugenommen, noch nicht einmal den Schemel abzeichnen dürfen, das Folterinstrument der ersten Woche hier, und diese Auflage war es, die mich sofort daran hat denken lassen, schon in dem Moment, wo er mir das gnädigerweise überreichte, mein Vernehmer, in dieses Skizzenbuch nichts hineinmalen, hineinzeichnen zu wollen, sondern es lediglich als ein Schreibheft zu nutzen. In irgendwelche Erinnerungsbilder flüchten, die märkischen Seen noch einmal heraufzubeschwören, die Kiefern, das wollte ich nicht, und weiter zurückzugehen in meinem optischen Gedächtnis, in die Zeit davor zurück, als der Nazi nur am Rande meines Blickfeldes rumtobte, und all die Szenen noch mal durchzugehen, mein altes Repertoire an Bildthemen, die Nutten, die dunklen Kaschemmen, die Proleten, den Glitzer, den Glanz, das ganze Talmi und das Elend, das wäre mir doch zu blöd vorgekommen, denn das hatte ich doch alles in Grünheide bei Erkner hinter mir lassen wollen. Und Speedy aus dem Gedächtnis zeichnen – nein, das wäre mir zu schmerzlich gewesen. Nur irgendwelche Pornobilder wären da dann noch eine Alternative gewesen, das festzuhalten, was so in meiner schmutzigen Phantasie aufsteigt, die ja nicht untätig ist und in der grauen Zelle nur angeregt wird. Direkt erotisches Zeugs aber, das war natürlich von vornherein ausgeschlossen, das würde doch als Beweismaterial gegen mich verwendet werden können, wo ich doch wegen erotischen Zeugs hier einsitze und auf meine unnationalsozialistische Lebensweise hin untersucht werde. Meine Entscheidung aber, zu schreiben statt zu malen und zu zeichnen, sie hat sicher einen tiefer reichenden Hintergrund, muß ich’s doch für möglich halten, daß ich meinen letzten Pinselstrich, Pinselschlag schon getan habe, daß ich nie wieder in meinem Leben werde malen können – außer ich bekomme noch mal die zweifelhafte Ehre, meinen zukünftigen KZ-Kommandanten als dicken, fetten Ölschinken malen zu dürfen, malen zu müssen. Und das will ich nicht, da säße mir die Angst viel zu sehr im Nacken, daß ich bei meinem Realismus die Eitelkeit eines solchen hohen Herrn verletzen könnte. Und mit harmlosen Bildchen aber will ich mich auch nicht als Maler, als Künstler verabschieden. Das ist für mich eine Sache der Ehre, des bißchens an Ehre, das mir nun übriggeblieben ist. Deshalb der Wechsel zum Schreiben, der Wechsel zu einem neuen künstlerischen Medium, zu einem Medium aber, bei dem ich an mich selbst keine künstlerischen Ansprüche stelle. Das Schreiben, das ist doch was Neues für mich und deshalb wohl auch etwas, das ich immer wieder reflektieren, worüber ich mir klar werden muß – im Unterschied zu meinem bildnerischen Schaffen, wo ich das alles schon x-mal durchgekaut habe, worauf es mir dabei ankommt. Nur weiß ich eben als Maler nicht mehr weiter, sehe ich mich als Maler als gescheitert an. Die Produktion der letzten Jahre: alles vollkommen misslungen, würde ich sagen, und auch deshalb wohl schreibe ich. Die Flucht weg von der Malerei, das wird der noch tiefer liegende Grund für diesen Wechsel zum Schreiben sein.
Kapitel 12: Risiko
Während ich zum Verhör, zur Vernehmung bin, sich das einmal, und sei es aus purer Neugierde, anschauen wollen, was dieser merkwürdige Häftling mit seinen noch nie dagewesenen Sonderkonditionen immer in sein Skizzenbuch reinkritzeln mag, und dann entdecken, daß er gar nicht malt oder zeichnet, daß da in diesem Buch nichts Gezeichnetes zu finden ist, sondern stattdessen Geschriebenes, und dann lesen, lesen, was da geschrieben steht, und danach dann natürlich sofort eilfertig Meldung erstatten. Und danach dann im Auftrag der interessierten Obrigkeit, des Beamten, der meine Untersuchung führt, die Untersuchung gegen mich, hier jeden Tag während meiner Zeit beim Verhör, bei der Vernehmung sozusagen aktuell mitlesen, was hier neu von mir zwischenzeitlich reingeschrieben wurde, und davon dann immer Bericht erstatten – nichts leichter als das für einen neugierigen Wärter, der sich bei seinen Vorgesetzten einkratzen will, und deshalb ist das natürlich der reinste Wahnsinn, was ich hier treibe, das mit diesem Buch hier, und daß ich hier schreibe, statt ordentlich wie ein Maler zu malen, zu zeichnen – schon um nicht meiner Extrawurst verlustig zu gehen, denn auch wenn ich hier im Knast nicht zeichnen, malen will, sondern schreiben, wäre malen und zeichnen zu können schon ein unglaubliches, wahrscheinlich lebensrettendes Privileg. Aber es ist ja nicht nur der Fakt, daß ich schreibe, statt hier ein paar Bildchen reinzuzaubern in dieses dafür vorgesehene Skizzenbuch, es ist ja viel mehr noch, was ich schreibe, das mich in die höchste Gefahr bringt, und ich weiß es, kann aber davon nicht lassen, und manchmal, wenn ich vom Verhör, von der Vernehmung zurückkomme, erfaßt mich Panik, daß in der Zwischenzeit mein Geheimnis entdeckt worden sein könnte, entdeckt worden sein müsse, und ich bin für einen Moment ganz dessen sicher, erwarte die Katastrophe, deren Ausbleiben mich doch wieder völlig leichtfertig fortfahren läßt und weitermachen. Als wünschte ich mir das insgeheim, hier aber richtig in Schwierigkeiten zu kommen, als reichten mir die nicht, in denen ich stecke – ich werde doch nicht etwa von der Sorge angetrieben sein, hier einfach mir nichts, dir nichts eines Tages entlassen zu werden, und das war’s dann, und ich komme um meinen großen Abgang herum, als tragischer Held, als Opfer des Nationalsozialismus. Will ich das denn wirklich provozieren, daß sie mit der richtig großen Keule zuschlagen, die Barbaren? Und das Verrückte ist: diese Fragen, sie nützen nichts, weder werde ich sie mir beantworten, noch würde ich mich davon beeindrucken lassen und aufhalten, fände ich heraus, daß ich hier mit meinem Leben spiele, und statt mich selber umzubringen, nur den andern den Schwarzen Peter zuschieben will, den rohen Gesellen, denen das nichts weiter ausmacht, daß sie mich wie einen Wurm zertreten und auslöschen ein für allemal. Ich bin schwach, sie haben Kraft, sie sind stark, weil mit der nötigen Dummheit gesegnet. Ich bin schwach, weil unnationalsozialistisch in meiner Lebensweise, sie sind stark, weil Nazis, und einige von ihnen, die Besten, die Elite, sie tragen den nationalsozialistischen Totenkopf am Revers – Chapeau, meine Herren, alle Achtung!
Kapitel 13: Secret
Möglicherweise jedoch liegt’s daran, daß ich das sozusagen gewohnt bin, das Versteckspiel, und hier unter anderen Lebensumständen nur einfach weiterspiele und von diesem Kitzel nicht lassen kann, daß das alles doch noch einmal auffliegt, und dann Bumm und die große Explosion, und mich begräbt’s darunter – nun mich, mein Leben, meine Freiheit, die Freiheit, von einem Raum zum anderen zu gehen, wenn’s mir beliebt. Vorher hätte nur meine Ehe eventuell dabei draufgehen können, und möglicherweise wäre es ja doch nur bei einer schweren Ehekrise geblieben und nicht gleich auf eine Scheidung hinausgelaufen, denn das waren ja immer nur bestimmte Zeichnungen, die ich vor Speedy konsequent verborgen hielt. Erotisches Zeug natürlich und Bildchen, die mit ihr zu tun hatten und ihren massenweisen Eskapaden, Zeugnisse meines Voyeurismus, und natürlich wäre ihr das gar nicht recht, wüßte sie um diese Zeichnungen. Ich hab da so eine Mappe, da stecken sie gesammelt drin, und diese Mappe, sie ist gut hinter einem Stapel fertiger Ölbilder versteckt, und würde Speedy da mal rumwühlen in meinem Atelier, sie würde diese Mappe sicher entdecken, aber ich könnte mich zumindest darauf rausreden, daß ich sie dort nicht extra versteckt hätte, daß sie nur dahin geraten wäre und ich sie selber schon mal vergeblich gesucht hätte, und dann käme es nur noch auf die Bilder selber an, für die ich mich rechtfertigen müßte, und da, ich habe mir das natürlich alles zurechtgelegt, würde ich sagen, sie kenne doch viele von meinen Sachen nicht, sie sei doch gar nicht so sehr an meiner Produktion interessiert und wolle gar nicht auf dem laufenden gehalten werden, und damit wär das Ganze schon nicht mehr allein mein, sondern auch ihr Problem. Wenn man gleich mal mit ein paar Vorwürfen kontern kann in einer Ehekrise, ist das ja schon mal nicht schlecht, und dann wäre mit etwas zu kommen, daß sie das doch eigentlich von mir kennen dürfte, die Scham des Künstlers, die nahezu instinktive Abwehr, sich über die Schulter gucken zu lassen, das Unbehagen dabei, etwas zeigen zu sollen, das nicht fertig ist, von dem man selber noch gar nicht weiß, ob’s denn gelungen ist. Ich mochte das schon als Kind nicht, wenn ich malte, zeichnete, und ich würde sagen, daß sich daran bereits zeigte, daß das mehr ist für mich als für andere Kinder, daß sich darin schon der Künstler offenbarte. Denn der Künstler ist ja unzufrieden, unzufrieden mit dem, was er macht, und deshalb macht er ja auch immer weiter und lieber eine Sache noch mal und zeichnet das hundertste Pferd und wie der Indianer im Sattel sitzt. Alle andern, die mal zum Pinsel greifen, zum Stift, die können stolz sein, und die zeigen das dann ja auch, jeden Fitzel, den sie mit ihren kindlichen Patschhänden geschaffen haben, und sie wollen bewundert werden, genauso wie sie mit ihrem Töpfchen kommen, wenn sie die Pipi darein gemacht