Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Maschinchen zu finden, aber George hatte ja auch eine Macke, er wollte technisch immer up to date und eines dagegen nicht sein: ein Künstler, was er aber natürlich doch war und blieb. Bei einem Anspitzer, da müßte ich doch auch viel zu oft für eine neue Spitze sorgen, so schnell wie die kleinen, die da nur zu erreichen sind, wieder von mir runtergezeichnet werden. Ich nehme, und das mag altertümlich sein, ein Messer zum Anspitzen, und ich schabe sie dann immer so dünn an, die lang herausgeschälte Mine, daß sie für eine ganze Weile spitz bleibt, und das mache ich immer gleich mit mehreren, und da heißt es dann aufpassen, daß mir keine der Spitzen beim Anspitzen abbricht, und da habe ich schon meinen Ehrgeiz, daß das nicht passiert, und es ist ja auch ein bißchen wie eine heilige Handlung, so, wie wenn der Priester seine Schalen auf den Altar stellt und den Kelch, und das Eigentliche, das kommt ja auch bei der Messe dann danach erst – als Einstimmung ist das gut, als ein Moment der Konzentration. Aber diesen Moment will man mir hier natürlich nicht zugestehen, eine Messer-Erlaubnis war nicht auch noch zu bekommen, soweit geht’s mit meinen Privilegien nun doch nicht, denn eine Messererlaubnis, das wäre ja so etwas wie eine Sich-selbst-umbring-Erlaubnis, eine Suizid-Genehmigung, und die widerspricht natürlich fundamental der Anstaltsordnung – mit diesem Hinweis enthielt mir der Vernehmer bei der Übergabe des Skizzenbuches und der Bleistifte das selbstmörderische Anspitzmesser vor, denn Selbstmorde und sogar Selbstmordabsichten, die sind hier natürlich nicht erlaubt. Ich konnte mich des zynischen Kommentars nicht enthalten, daß das an einem solchen Ort der Unfreiheit verständlicherweise nur von Staatswegen geschehen dürfe – der Vernehmer fragte, was, was hier nur von Staatswegen geschehen dürfe, und ich antwortete ihm, einen Menschen umzubringen. Und als er mich verdutzt ansah, sagte ich, ich sei natürlich Anhänger der Todesstrafe, aber auch dafür, daß ein Mensch über sich selber und sein verkorkstes Leben die Todesstrafe verhängen dürfe – jetzt eben, wo ich dies schreibe, kommt mir der Gedanke, daß es Speedy vielleicht bei der ganzen Operation mit dem Skizzenbuch und den Bleistiften eigentlich um dieses Messer gegangen sein könnte und damit darum, mir die Möglichkeit zu verschaffen, mich notfalls umbringen zu können. Das wäre zwar ganz lieb, aber natürlich ganz schön naiv von ihr gewesen und in Unkenntnis dessen, was einem hier gleich als Erstes bei der Einlieferung ins Gefängnis widerfährt: man nimmt einem Häftling alles ab, mit dem er sich umbringen könnte, die Hosenträger und sogar die Schnürsenkel, damit er nichts in der Zelle hat, sich zu strangulieren. Und dann folgt noch die Leibesvisitation, der ich doch, wie jeder andere Häftling auch, unterzogen wurde – eine hochnotpeinliche Situation, besonders die Untersuchung des Afters. Keine Ahnung, was man in seinem Hintern verstecken könnte – Schlaftabletten vielleicht zum Für-immer-Einschlafen. Oder Giftampullen. Oder Koks. Das Messer kommt also mit zu den Effekten, es wird mir bei meiner Entlassung, so es denn mal eine Entlassung geben wird, mit meiner Armbanduhr, meinen Hosenträgern, meinem Ledergürtel und den gefährlichen Schnürsenkeln wieder ausgehändigt werden. Ordnung muß sein. Statt des vertrauten Messers also bekam ich von meinem Herrn Vernehmer einen dieser Bleistiftanspitzer, die ich nicht leiden kann und mit dem ich mich nun abzuquälen habe, und er holte ihn mit dem Hinweis aus der Schublade seines Schreibtisches heraus: »Den bekomme ich aber wieder zurück, wenn Sie hier entlassen werden.« Ordnung muß sein – worauf mir ja dann nichts anderes blieb, als etwas süffisant ironisch anzumerken, daß ich mir demnach darauf noch Hoffnungen machen dürfe, auf eine Entlassung. Seine Antwort darauf hatte es in sich: diese Hoffnung, die würde er mir nicht nehmen wollen, und aus der Untersuchungshaft würde ich eines Tages auf alle Fälle entlassen, dann nämlich, wenn die Untersuchung beendet ist und ich meinen Prozeß hinter mir habe.

      Kapitel 10: Camouflage

      Hoffentlich kann hier keiner Französisch, denn hier geht’s ja um die Tarnung, und es wäre die größte Dummheit, mich durch eine sofort zu deutende Kapitelüberschrift selber zu enttarnen. Rom, das ist Tarnung, der historische Roman, den ich hier angeblich schreiben will und schreiben werde, Tarnung. Ich will ja über was anderes schreiben, über mich und Speedy, über uns und diese Straftat, die mir vorgeworfen wird, und wie es sich denn in Wahrheit mit meiner unnationalsozialistischen Lebensweise verhält, mein Leben reflektieren, meine Kunst, mit der ich mich gescheitert sehe, Bilanz ziehen, und weil die ja durchaus wahrscheinlich auch negativ ausfallen kann, gibt es da in meiner Kleinbürgerbrust dieses Einerseits, das mir sagt: laß alle Hoffnung fahren hin, ist doch egal, ob das einer liest, ob sie das in ihre Henkerspfoten kriegen und gegen dich verwenden könnten, du hast keine Zukunft, schließ dein Leben ab, mach reinen Tisch und laß dem Nazi seine Tausend Jahre, soll er sie haben … und es gibt dieses Andererseits, das das alles nicht wahrhaben will, daß ich längst verloren habe und ausgespielt, das sich an Hoffnungen klammert und sich vollkommen gewiß ist: du kommst hier raus, und du trägst auch dieses Buch hier raus, die Tausend Jahre sind übermorgen zu Ende, du überlebst sie, die ganze Bande. Und das Verrückte ist, daß die Gewißheit dieses Andererseits mich dazu veranlaßt, vorsichtig zu sein und das, was ich hier in dieser gefährlichen Situation zusammenschreibe, so gut es eben geht, zu tarnen – ich lasse das Skizzenbuch nie offen liegen, damit niemand von den Wärtern sieht, daß ich in es hineinschreibe, statt zu zeichnen, und dabei weiß ich noch nicht einmal, ob die darüber informiert sind, daß in meinem Sonderfall die Schreiberlaubnis gar keine Schreiberlaubnis bedeutet, sondern die, zeichnen zu dürfen. Ich setze mich auch immer so, daß keiner der Wärter bei seinem Kontrollblick durch den Spion, das Guckloch in der Tür, in das Buch hineinsehen kann – auch wenn das bedeutet, etwas unbequemer auf dem Bett zu sitzen und dies meinem Rücken wiederum gar nicht guttut. Ich entwickele Strategien, wie ich das von mir Geschriebene davor schützen kann, von jemand anderem gelesen zu werden, ich bin richtig erfinderisch darin. Mit Rom zur Zeit des Kaisers Caligula anzufangen, mit einer fiktiven Geschichte also, mit einem historischen Roman, das war schon mal die Grundidee, aber das ist nur einer der Tricks, derer ich mich bediene. Ein anderer ist, daß ich mir keinerlei Mühe beim Schreiben gebe, daß ich mit der schlimmsten Klaue schreibe, nahezu unleserlich für jeden anderen denn mich selbst – dies spekulierend darauf, daß sich dann niemand die Mühe machen wird, das zu entziffern, zu enträtseln, was ich da zusammengeschmiert habe. Aber auch mir macht das unendliche Mühe, noch einmal nachzulesen, was ich vor ein paar Tagen geschrieben habe, und ich lese das auch nicht noch mal und schreibe hier also wie im Blindflug und ohne zurückschauen zu können – es geht immer nur vorwärts, und das ist wahrscheinlich gut so, denn würde ich’s noch mal lesen, ich würde es sicher als vollkommen wertlos, literarisch gesehen als Katastrophe durchstreichen. Das ist ein wichtiger Unterschied des Schreibens zum Malen, Zeichnen, wo das Bild mit einemmal und sofort da ist, wenn man es wieder von der Wand umdreht, aus der Mappe herausholt. Ein einziger Strom von Worten, Gedanken und Vorstellungen, immer nur im Moment erlebt, ohne die Möglichkeit des Rückblicks und damit auch ohne jeden kritischen Blick, und das macht, daß ich mich frei fühle, im Gefängnis frei, weil von dieser ätzenden, zersetzenden Selbstkritik frei, für die ich den letzten, den ganzen Nazi-Jahren bei meinen Bildern ja auch allen Grund und Anlaß hatte. Nichts gelang mir mehr. Und ich schreibe ja hier auch ohne Ziel und drauflos, und mein Schreiben ist davon bestimmt, daß ich doch gar kein Buch schreibe, sondern nur in ein Buch hinein, in das umfunktionierte Skizzenbuch hier. Ich weiß ja nicht wirklich, wie die richtigen Schriftsteller schreiben, ich habe das Brecht doch nie gefragt und auch Jünger nicht, aber ich stelle mir vor, daß sie auf einzelne Blätter schreiben, die sie dann zu Kapiteln zusammenstellen können, wobei sie die dann sicher auch noch hin und her schieben, um zu ihrem Text zu kommen. Was ich hier mache aber, das ist sozusagen Schreiben pur, in seiner radikalen Reinform, als Schreibfluß. Ganz nahe dem Tagebuch also, nur, daß dies tagebuchartige Tagebuch als solches unkenntlich bleibt, und auch das gehört mit zur Tarnung: keine Datumsangaben im Text, die das ganze Ding als Tagebuch kenntlich machen würden und wo dann ein einzelner Eintrag auch das Interesse des Vernehmers zum Beispiel wecken könnte, der ja weiß, was er an diesem Tage mit mir durchgenommen hat, worüber das Verhör ging. Die Kapiteleinteilung, die Kapitelüberschriften, das ist sicher ein Fehler, ohne alle Unterbrechungen und Absätze zu schreiben, das wäre sicher besser, denn dann wäre es für jemanden, der sich nicht durch den ganzen Wust hier durcharbeiten will, noch schwerer, sich zu orientieren, denn auf die Idee, irgendwo mittendrin loslesen zu wollen, auf die dürfte sicher niemand verfallen. Ich brauche die Kapitel aber wegen Rom, und weil das ja hier als Roman daherkommen soll, als historischer von einigem Umfang.


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