Political Scholar. Alfons Söllner

Political Scholar - Alfons Söllner


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Verhältnis zur „Welt“ bezeichnen könnte. Signifikant für unsere Fragestellung – die Formation und Transformation des Denkens von Leo Löwenthal – sind nun besonders die Zielorientierung, die dabei ins Auge gefasst wird, sowie die Mittel und Wege, die dafür eingesetzt werden. Offensichtlich gibt es einen aktuellen Gewährsmann, der in dem gesamten Referat auch als Stichwortgeber präsent ist, und dies ist niemand anderes als Hermann Cohen, der als neukantianischer Lehrer in der Studienzeit Löwenthals eher verdeckt blieb, während er jetzt offen hervorgeholt und als der intellektuelle Repräsentant des Judentums schlechthin gepriesen wird. Besonders seine nachgelassene Schrift „Die Religion der Vernunft aus dem Geist des Judentums“ könnte die „Rettung des Judentums“ befördern, die über die „Wiedergewinnung der Maimonidischen Plattform“ zu laufen habe, so wenig gesichert dies alles auch sei.30

      Was aber ist der Zielpunkt, auf den diese Gedankendynamik ebenso hinausläuft wie das aus der jüdischen Religionsgeschichte herausgezogene Material? Entscheidend ist wiederum das Stichwort des Messianischen, wobei am fragmentarischen Text von 1925 zweierlei auffällt: Einmal ist das Messias-Motiv zwar von Anfang an subkutan präsent, scheint sich aber nur mühsam einer rationalen Geschichtskonstruktion einfügen zu wollen; wenn dies aber zum Ende hin doch gelingt, dann nur mittels einer bemerkenswerten Wende, die den Gedanken der ethischen Universalisierung aufnimmt und radikalisiert – mit der Folge, dass die religiöse Jenseitsorientierung in eine Diesseits-Bindung des Erlösungsgedankens transformiert wird. Dies ist, wenn man so will, der theologische Embryo jener krypto-materialistischen Geschichtsphilosophie, dessen Geburtswehen auch in der späteren Theoriebildung des Instituts für Sozialforschung noch nachwirken werden. Löwenthal findet sie bei Hermann Cohen vorformuliert: „Im Zusammenhang der realhistorischen Systematik wird klar, dass dieser Gedanke des Messianischen, der Gedanke der Erlösung im Diesseits ist. Wieder nach Hermann Cohens Worten: ,Das ewige Leben ist der Glaube des Mythos; die Zeit des Messias ist der geschichtsphilosophische Gedanke der prophetischen Sittlichkeit […] der Messias ist nicht der Erlöser der Menschen im Jenseits, sondern der Erlöser der Menschen im Diesseits‘.“31

      Blickt man von diesem Gedankenknoten aus dem Jahr 1925 auf Löwenthals spätere Artikelserie „Judentum und deutscher Geist“, dann zeigen sich Kontinuitäten und Veränderungen: Zwar hört man nach wie vor einen theologischen Generalbass durchklingen, der allen Teilen der Serie unterlegt ist, auch ist die messianische Finalisierung des Geschichtsverlaufs nach wie vor deutlich präsent, aber insgesamt ist die Perspektive offensiver und mehr „out-going“. 1925 war die Leitfrage der jüdischen Geschichte noch ein „ernsthaftes geschichtsphilosophisches Problem“ und lautete defensiv: „Warum sie alle, hervorragendste Juden eines gemeinsamen Zeitalters, außerhalb des Judentums sich entfaltet haben“ 32. Und auch wenn „aus einer Geschichte der zentralen jüdischen Probleme eine Geschichte der zentralen jüdischen Persönlichkeiten geworden“ sei, dann müsse man „bei ihnen und für uns selbst ihre jüdische Substanz zurückerobern […], um die Kontinuität der jüdischen Problemgeschichte zu bewähren und zu erneuern“.33

      Fünf Jahre später hingegen stellt sich das Tableau sehr viel positiver dar: Selbstbewusst und nicht ohne dramatische Steigerung wird eine Geschichte jüdischer Einzelpersönlichkeiten präsentiert und zu einer imposanten Kollektivbiographie zusammengestellt. Der Exkurs ins Mittelalter entfällt – nicht mehr Maimonides ist der Eckstein, sondern der Horizont ist von vorne die historische Aufklärung und damit die moderne Entwicklung im engeren Sinn. Und in diesem veränderten Kontext wird jetzt der Beitrag der Juden zur deutschen Geistesgeschichte dokumentiert, der durch die Reflexion auf die Differenz einen kritischen Stachel erhält: „Der Gesichtspunkt, von dem aus hier ein Stück jüdische Persönlichkeitsgeschichte getrieben werden soll, ist ein gesellschaftswissenschaftlicher: im Leben führender Juden dieser Epoche spiegelt sich deutlich die Geschichte der aufsteigenden bürgerlichen Gesellschaft, zugleich auch der Aufstieg der von ihr mitgesetzten Widersprüche […].“34 Und genau durch diese kritische Zuspitzung erscheinen die „jüdischen Persönlichkeiten als Mitbeweger und Mitbewegte der bürgerlichen Gesellschaft“.35

      Es ist klar, dass in Sätzen wie diesen bereits das Forschungsprogramm durchschimmert, mit dem Max Horkheimer dem Institut für Sozialforschung wenig später eine neue Ausrichtung geben sollte. Aber nicht dies ist interessant an Löwenthals Essays, sondern die vorausgesetzte Frage, wie eine aus dem Inneren der jüdischen Theologie stammende Form der messianischen Geschichtsspekulation schrittweise transformiert wurde (und so in das spätere Programm Eingang finden konnte). Offenbar war die Geschichtsphilosophie als solche ein günstiges Medium, um die Ablösung vom dogmatisch-theologischen Denken voranzutreiben, und als Geburtshelfer dafür eignete sich das Verständnis des Judentums als „Religion der Vernunft“, für das Hermann Cohen als der aktuelle, Maimonides als der vormoderne Eckstein firmierte. Aus demselben Zusammenhang erklärte sich aber auch die neue und die besondere Brisanz der historischen Aufklärung: Mit ihr war das Verhältnis zwischen theologischer Orthodoxie und wissenschaftlicher Forschung, zwischen Glauben und Wissen zum öffentlichen und politischen Konflikt geworden, sodass die Geschichte exemplarischer jüdischer Persönlichkeiten eine exemplarische Darstellung des Grundproblems dieser Moderne zu geben versprach.

      In der Tat ist die Artikelserie „Judentum und deutscher Geist“ eine kleine, aber feine Skizzensammlung zur Geschichte der jüdischen Intellektuellen in Deutschland. Sprechend ist sowohl die Auswahl der Köpfe als auch die Tendenz, die in ihrer Aneinanderreihung steckt, demonstriert sie doch den Prozess der Säkularisierung nicht primär negativ, als Problem der jüdischen Emanzipation, sondern als Frage nach dem positiven Beitrag der Juden zur Aufklärung. So ist es nur folgerichtig, dass die Darstellung mit Moses Mendelssohn beginnt: Er steht philosophiegeschichtlich für den Übergang von der Leibniz-Wolff’schen Schule zum Kritizismus von Kant, der die radikalste Ausprägung der deutschen Aufklärung verkörpert.36 Während Mendelssohn vor solcher Konsequenz in erkenntnistheoretischer Hinsicht eher zurückschreckte, ging er ihr in anderer Hinsicht sogar voran: Seine Freundschaft mit Lessing beruhte nicht zuletzt auf der „Entdeckung der Kunst als einer besonderen Art unseres Bewusstseins“, was „dem Bürgertum den neuen Ausdruck befreiten Gefühlslebens“ bescherte und von Kant schließlich in der „Kritik der Urteilskraft“ philosophisch ratifiziert wurde.37

      Dass Mendelssohn in der Galerie der „großen Geister“ bereits volle Gleichberechtigung zukam, wird absichtsvoll unterstrichen durch die einfühlsame Skizze eines gegenläufigen Schicksals: Die „Lebensgeschichte“ des Salomon Maimon interessiert Löwenthal als der „dokumentarische Niederschlag eines ostjüdischen Versuches, in die rationale Bildungswelt des deutschen Bürgertums vor 1800 einzudringen“.38 Dieser Versuch, der in Königsberg beginnt und auf dem Weg durch Europa alle Höhen und Tiefen durchläuft – in Berlin wird seine Kant-Schrift hoch gelobt, vom Hamburger Konsistorium wird seine Taufe abgelehnt, in Amsterdam gelingt ihm nicht einmal der Selbstmord –, ist am Ende tragisch gescheitert: „Als Maimon 1800 stirbt, wird er als Ketzer verscharrt.“39 Am signifikantesten an dieser Westwanderung eines Ostjuden ist vielleicht, was Löwenthal zwar nicht verschweigt, aber doch im Hintergrund belässt: Er führt das Scheitern des Salomon Maimon mehr auf seine philosophischen Versäumnisse zurück als auf die offensichtlichen Grenzen des christlich-bürgerlichen Toleranzwillens, der in Deutschland bekanntlich weit hinter den Gleichstellungspostulaten der Französischen Revolution zurückgeblieben war.

      Damit ist das Stichwort gefallen, das auf Heinrich Heine verweist. Und jetzt, bei diesem Paradebeispiel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts steht Löwenthal nicht an, den Stier bei den Hörnern zu packen: „Warum ist Heine Christ geworden?“, lautet sein provozierender Einstieg – provozierend sowohl für die jüdische wie für die christliche Gemeinde; denn was von Heine selber als Antwort auf diese Frage zitiert wird, lässt zweifelsfrei erkennen, dass Heine sich weder im Judentum noch im Christentum zu Hause fühlen konnte, weil er in jedem positiven Glaubensbekenntnis wenn nicht Heuchelei, so doch einen Vorwand für andere Interessen erblickte. Wenn also auch für ihn der „Taufzettel nur das Entréebillet zur europäischen Kultur war“, so steckte in dieser zynischen Formulierung dennoch – und darauf kommt es Löwenthal an – ein politisches Bekenntnis: „Europäische Kultur – das bedeutet für Heine das Europa der französischen Revolution.“40 Aber auch hier bleibt der auf Emanzipation


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