Political Scholar. Alfons Söllner
aber von der Vielfalt der Engelsbilder aus, die Paul Klee im Laufe seines Lebens geschaffen hat, so zeigt das Engelsmotiv im Vergleich zu Benjamin nicht nur eine andere Tendenz, sondern auch ein deutlich anderes Verhältnis zu den christlich-jüdischen Traditionsbeständen.
Von den beinahe 50 Engelsdarstellungen Paul Klees, die eine Kumulation um 1933 und dann noch einmal um 1940 haben40, strahlen zwar etliche eine ebenso düstere Zweideutigkeit aus, wie sie der „Todesengel“, der „Angelus militans“ (beide 1940) oder eben der frühe „Angelus Novus“ zeigen, doch weitaus dominanter und auch häufiger ist der Ausdruck des Witzigen und Ironischen, vielleicht sogar des Komischen und Spöttischen. Das hängt nicht nur mit dem emotionalen Gehalt dieser Darstellungen zusammen, sondern auch mit der Technik, in der die meisten dieser Zeichnungen gearbeitet sind: Viele von ihnen sind in einfachen oder auch ineinander übergehenden Strichen gehalten und ermöglichen so einen raschen und emotionalen Zugang, was durch die knappen und witzigen Titel der Bilder noch befördert wird. Da gibt es den „wachsamen“, den „altklugen“ und den „vergesslichen Engel“, da ziert sich der „Schellen-Engel“ mit dem Glöcklein am Kleidersaum, während man ganz besonders ergriffen wird von dem zarten Wesen mit dem Namen: „es weint“. Klee variiert alle Sorten von Weiblichkeit, zeigt den „bald flüggen“, den „befruchteten“ und den „noch weiblichen Engel“, aber auch das „Engelspaar“, nicht zu vergessen die Serie der „Engel im Werden“: der „Engel-Anwärter“, der „noch tastende“ oder der „zweifelnde Engel“.41
Klees Engelbilder sind vielfältig und einfältig zugleich, sie sind so energisch wie zart, sie bilden einen ganzen Kosmos ab, in dem so gut wie alle menschlichen Stimmungen und Gefühle versammelt sind. Aber das Besondere an ihnen kann man darin vermuten, dass sie zwar in Engelsgestalt daherkommen, d. h. tatsächlich etwas Überirdisches repräsentieren, also „Boten aus einer anderen Welt“ sind, aber sie scheinen nichts „Heiliges“, nichts „Erhabenes“ verkünden zu wollen. Selbst der „heilige Schrecken“, den sie bisweilen auslösen, bewirkt keine Einschüchterung, sondern verliert sich in einem Geheimnis, das eher hell als dunkel ist, jedenfalls irgendwie transparent bleibt, wenn es sich nicht in einer ironischen Brechung auflöst. So sind die „himmlischen Heerscharen“, die Klee – übrigens fast immer als Einzelwesen – in seinen Bildern aufmarschieren lässt, eigentlich nur Botschafter einer freundlichen Menschenkunde, sie zeigen die vielen Gesichter der condition humaine und verzichten absichtsvoll auf den Goldhintergrund der theologischen Tradition und die dazugehörigen Mythologien, um die Freuden wie die Leiden des alltäglichen Lebens erträglich zu machen.
Wenn es bei Paul Klee so etwas gibt wie eine bildkünstlerische „Angelologie“, dann steckt sie in der Form, in der die Engelswelt in die Menschenwelt gleichsam umgemodelt wird: Repräsentiert wird durchaus eine jenseitige Welt, die das Wunderbare, das Heilige, das Messianische zur Geltung bringt, aber weil dem ironischen, dem witzigen oder auch dem rätselhaften Ausdruck der Vortritt gelassen wird, rückt das Überirdische in ein produktives Zwielicht: Ist etwa der Engel, der seine Rolle in der messianischen Geschichtsauffassung zu spielen hat, gar nicht der Überbringer einer bestimmten Botschaft (sei es des Heils oder des Unheils), sondern lediglich Lichtbringer aus irdischer, gemeinmenschlicher Machtvollkommenheit – ein „Aufklärer“, der Licht in eine dunkle Geschichte bringt, während die Botschaft als solche nur vom leibhaftigen Menschen stammen kann, d. h. vom Betrachter oder Interpreten allererst zu stiften ist? Solche Überlegungen sind sicherlich spekulativ, aber sie gewinnen an Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, was sich Paul Klee in Voraussicht seines eigenen Todes vom Engel erhofft haben soll:
„Einst werd ich liegen
im Nirgend
bei einem Engel
irgend“ 42
Der junge Leo Löwenthal – Vom neo-orthodoxen Judentum zur aufgeklärten Geschichtsphilosophie
Leo Löwenthal gehört zu den vom Hitler-Regime vertriebenen Gelehrten, die in Deutschland vergleichsweise spät wiederentdeckt wurden. Zwar erkannte man in den 1970er Jahren die paradigmatische Vorläuferrolle seiner literatursoziologischen Aufsätze aus der Zwischenkriegszeit und fand damit einen wichtigen Mentor für eine „neue“, die immanente Interpretation hinter sich lassende Germanistik. Doch blieb Löwenthal auch dann noch im Schatten, als in den 1980er Jahren seine Gesammelten Schriften herausgegeben und jetzt seine wissenschaftlichen Interessen in ganzer Breite sichtbar wurden. Schuld daran war natürlich die übermächtige Präsenz, die Horkheimer und Adorno, den Heroen der „Frankfurter Schule“, bereits im frühen Nachkriegsdeutschland zugefallen war und die sich im Gefolge der Studentenbewegung noch steigerte.
Eine Möglichkeit, diesem Eindruck entgegenzutreten, bestünde in der Nachzeichnung der Entwicklung, die Leo Löwenthal genommen hat, nachdem Horkheimer und Adorno 1949/50 in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt waren, er selber aber es vorzog, in den USA zu bleiben. Der durchaus eigene Weg, den er dort beschritt, führte über die praktische Anwendung seiner Kompetenzen als Forscher der Massenkommunikation in der „Voice of America“ auf eine Professur an der University of California in Berkeley. Hier stellte er nicht nur eigenständige Überlegungen über den Zusammenhang von Literatur und Gesellschaft an, sondern publizierte in der ganzen Breite über die Geschichte der bürgerlichen Literatur in Deutschland und Europa. Nicht zu vergessen seine subtile Präsenz in der Formierungsphase der amerikanischen Studentenbewegung und deren kritische Begleitung.
Eine andere Möglichkeit, Leo Löwenthal Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, bestünde in der Darstellung der hintergründigen Rolle, die er als verantwortlicher Redakteur der legendären Zeitschrift für Sozialforschung gespielt hat. Dafür könnte seine reiche Korrespondenz als Zeugnis dienen, von der bislang nur einige wenige Proben publiziert wurden.1 Würde man sie in ihrem ganzen Umfang aus den mittlerweile verfügbaren Archiven heben, so hätte man ein Panorama der Wissenschaftsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor Augen, eine dezidiert internationale Gelehrtenkorrespondenz, die gegen die nationalistische Verstümmelung durch das Hitler-Regime geführt wurde und sich in den ausführlichen Besprechungsteilen der Zeitschrift für Sozialforschung niedergeschlagen hat. Deren Impresario war Leo Löwenthal.
Ich möchte in diesem Aufsatz einen dritten Weg gehen und mich ganz auf den jungen Leo Löwenthal konzentrieren, d. h. auf eine Epoche, die zeitlich in etwa mit der Weimarer Republik zusammenfällt und einen jüdischen Intellektuellen im Stadium seiner Formierung zeigt. Zwar kommt es ab Mitte der 1920er Jahre schrittweise zur Integration in das Frankfurter Institut für Sozialforschung, das den 1900 geborenen Löwenthal zweifellos stark geprägt, aber eben auch vereinnahmt hat, doch geht dieser Phase eine intellektuelle Entwicklung voraus, die ebenso eigenwillig wie widersprüchlich verlief. Nimmt man weiter an, dass beides – extrem polare Einflüsse und der Versuch ihrer Synthese – von Anfang an zum Profil des jungen Löwenthal gehörte und sich subkutan auch noch fortsetzte, als er 1930 zur rechten Hand des frisch berufenen Direktors Max Horkheimer wurde, dann zeichnet sich die Möglichkeit ab, mittels einer biographischen Studie aus der Frühgeschichte einem Grundmotiv nachzuspüren, das später in der sog. Frankfurter Schule sowohl nachwirkte als auch verdeckt wurde.
„Revolutionärer Radikalismus und jüdischer Messianismus“
„Ich bin ein Rebell gewesen, und alles, was damals intellektuell oppositionell war, also, wie Benjamin sagt, auf der Seite der Verlierer im Weltprozess, das zog mich magisch an. Ich war Sozialist, Anhänger der Psychoanalyse, Anhänger der Phänomenologie in neukantianischen Kreisen, ich nahm eine Stelle an, in der ich mit Ostjuden zu tun hatte, was zum Beispiel meinem und Adornos Vater äußerst peinlich war […]. Es war also eine geradezu synkretistische Ansammlung in meinem Hirn und in meinem Herzen von Bestrebungen, Richtungen und Philosophien, die im Gegensatz zum Bestehenden standen.“2 Was sich im autobiographischen Gespräch mit Helmut Dubiel in der Erinnerung so zusammengefasst findet, hatte indes einen eindeutigen Ausgangspunkt gehabt, was die Familiengeschichte betrifft: die Rebellion des Gymnasiasten gegen den assimilierten, atheistischen, vom traditionellen Judentum völlig abgewandten Vater.
Es ist die dadurch gegebene Konstellation, der Konflikt zwischen einer dezidiert aufklärerischen,