Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
weinen, mein Schatz«, bat der junge Mann voll Zärtlichkeit. »Wenn ich wiederkomme, bringe ich dir etwas Schönes mit. Was magst du denn? Vielleicht ein hübsches Auto oder einen Teddybären?«
Christian war bereit, seine ganzen Ersparnisse zu opfern. Doch der Kleine ließ sich nicht so einfach trösten. »Mami!«, wiederholte er.
Jetzt wurde nach Uwe gerufen. Ein hübsches blondes Mädchen mit großen blauen Augen sah misstrauisch zum Zaun herüber.
Christian zog es vor, zu seinem Wagen zurückzugehen. Er hätte sich der Heimleiterin vorstellen können und wusste, dass das richtiger gewesen wäre. Doch es fehlte ihm einfach der Mut dazu. Vielleicht war das eine strenge, uneinsichtige Frau, die ihm seine Geschichte nicht glaubte? Dann würde er als Lügner dastehen.
Christian sah an sich hinunter. Nein, sein Aufzug war tatsächlich nicht besonders vertrauenerweckend. Die verwaschenen Jeans, das verblichene T-Shirt und die ausgetretenen Sandalen hätten ebenso gut einem Landstreicher gehören können. In diesem vornehmen Haus würde man kein Verständnis dafür haben, dass ein armer Student, der von staatlichen Zuschüssen lebte, keine großen Sprünge machen konnte.
Noch einmal versuchte Christian, einen Blick des kleinen Uwe zu erhaschen. Doch die übrigen Kinder hatten ihn in die Mitte genommen und liefen mit ihm davon. Bald, tröstete sich der Student in Gedanken, werden wir beisammen sein. Dann werden wir nach Herzenslust spielen und lachen.
Noch nie hatte sich Christian auf etwas so gefreut wie auf diese Zeit, die vor ihm lag. Für Inge wollte er der zärtlichste liebevollste Ehemann sein, damit sie alles Schwere, das hinter ihr lag, vergessen und glücklich sein konnte.
*
Freundlich sah Polizeimeister Kirsch von seinen Unterlagen auf. Er kannte die Kinder, die eben so temperamentvoll ins Revier gestürzt kamen, sehr gut. Nur hatte er sie noch nie so aufgeregt gesehen.
»Wir haben ihn gesehen!«, platzte Pünktchen sofort heraus. Ihr sommersprossiges Gesichtchen war vom raschen Laufen gerötet.
»Wen?«, fragte der Beamte freundlich.
»Den Mann, der das kleine Mädchen aus Bachenau mitgenommen hat«, erklärte Nick wichtig.
»Ihr habt den Mann und das Kind gesehen?« Herr Kirsch zog die buschigen Augenbrauen hoch.
Pünktchen schüttelte den Kopf, dass die langen blonden Haare nur so flogen. »Nein, nur den Kerl. Er wollte sich an Uwe heranmachen.«
»Uwe ist ein lieber kleiner Junge, zweieinhalb Jahre alt«, ergänzte Nick.
»Wir spielten im Park. Und plötzlich stand der Fremde am Zaun.« Pünktchen lief bei der Erinnerung eine Gänsehaut über den Rücken. »Er hat Uwe zu sich gelockt. Bonbons hat er ihm geschenkt. Eine ganze Tüte voll. Und als Uwe weglaufen wollte, hat er ihn festgehalten.«
Polizeimeister Kirsch beugte sich weiter vor. Die Sache mit den Bonbons war tatsächlich sehr verdächtig. Eigentlich hatte er die Hoffnung, den Fall aus Bachenau noch klären zu können, bereits aufgegeben. Sollte er nun doch einen brauchbaren Hinweis bekommen?
»Könnt ihr den Mann beschreiben?« Herr Kirsch sah bei dieser Frage Nick an.
Der große Junge zog die Schultern hoch. »Ich war leider zu dem Zeitpunkt nicht im Park. Als mir Pünktchen von der Sache erzählte, sind wir gleich hierhergelaufen.«
»Das war sehr vernünftig«, lobte der Mann in Uniform. »Oft kann durch solche Beobachtungen ein weiteres Unglück vermieden werden.«
Nick hob stolz den Kopf. Eben noch hatte er ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie von Sophienlust weggelaufen waren, ohne Bescheid zu sagen. Doch nun bestätigte sogar die Polizei, dass dies ganz in Ordnung war. Hätten sie Frau Rennert oder Schwester Regine von Pünktchens Beobachtungen berichtet, hätten sie bestimmt zu hören bekommen, dass sie beide noch zu jung seien, um sich um solche Dinge zu kümmern. Selbst seine Mutti war der Ansicht, dass sie sich aus solchen Dingen heraushalten sollten. Deshalb wollte er ihr auch von dem Ausflug zum Polizeirevier nichts sagen.
Pünktchen holte tief Luft und legte los: »Also, er war groß, fast so groß wie Onkel Alexander. Aber ausgesehen hat er ganz anders.«
»Weißt du noch, wie?« Die Stimme des Beamten klang väterlich.
Pünktchen legte den Kopf etwas schief und schien angestrengt zu überlegen. »Er hatte blonde Locken und … helle Augen. Vielleicht blau. Das konnte ich nicht genau sehen.«
»Sonstige Erkennungszeichen?«, fragte Herr Kirsch routinemäßig.
Pünktchen sah mit großen fragenden Augen auf ihren Freund.
»Na, hatte er eine Brille oder einen Holzfuß?«
»Nein«, entrüstete sich das blonde Mädchen. »Er sah eigentlich ganz nett aus. Er hat mit Uwe gelacht und ihn gestreichelt.«
»Alles nur Getue«, brummte Herr Kirsch finster. »Überlege einmal, was hatte er an?«
»Ach, nichts Besonderes. Alte Jeans und ein T-Shirt. Er sah fast aus wie ein Primaner aus unserer Schule.«
»Aha«, murmelte Polizeimeister Kirsch und machte sich Notizen. »Hatte er ein Auto?«
Pünktchen zog die Stirn in viele Kummerfalten. »Ich weiß nicht.«
»Na, hast du denn nicht nachgesehen?« Nick schüttelte missbilligend den Kopf.
»Daran hab’ ich gar nicht gedacht.«
»Ist doch immer das Wichtigste wegen der Nummer«, murmelte Nick. »Dass ihr Mädchen einfach nicht logisch denken könnt.«
»Vielleicht war es viel richtiger, den kleinen Uwe in Sicherheit zu bringen. Und das hat Pünktchen ja getan«, setzte sich Polizeimeister Kirsch für die Kleine ein.
Nick senkte beschämt den Kopf.
»Uwe hat uns erzählt, dass der Mann wiederkommen würde. Sie müssen aufpassen, Herr Kirsch.«
Der Beamte nickte bedächtig. »Das werde ich selbstverständlich tun. Aber ich muss natürlich auch hier im Revier meine Arbeit erledigen. Deshalb wäre es ganz gut, wenn ihr auch ein bisschen die Augen offenhalten würdet. Wenn der Kerl in der Nähe von Sophienlust auftaucht, ruft ihr mich sofort an.«
»Darauf können Sie sich verlassen«, erklärte Nick. »Diesmal entkommt er uns nicht.«
»Hoffen wir es.« Polizeimeister Kirsch war nicht so zuversichtlich. »Jedenfalls bin ich euch für eure Aufmerksamkeit sehr dankbar.« Er nickte den Kindern freundlich zu. Frau von Schoenecker kann stolz auf die beiden sein, dachte er bei sich.
Auch als sich Nick und Pünktchen bereits verabschiedet hatten, sah der Beamte ihnen noch lange nach. Kinder wie diese, Kinder, die das Herz auf dem rechten Fleck hatten, wünschten sich wohl alle Eltern. Dass sie so geworden waren, daran hatte Sophienlust entscheidenden Anteil. Es war gut, dass es eine Einrichtung wie dieses Kinderheim gab.
Inzwischen hatten sich Nick und Pünktchen draußen auf ihre Fahrräder geschwungen. Kräftig trat der Junge in die Pedale. Pünktchen blieb absichtlich ein wenig zurück. Gekränkt ließ sie den Kopf hängen.
Sobald die beiden die letzten Häuser des Dorfes passiert hatten, verlangsamte Nick sein Tempo, wartete, bis das blonde Mädchen aufgeholt hatte. Ganz selbstverständlich blieb er jetzt an Pünktchens Seite, passte sich ihrem Tempo an. Dennoch sprach das Mädchen kein Wort.
»Was ich vorhin über Mädchen gesagt habe«, begann Nick nun ein bisschen verlegen, »war nicht so gemeint. Überhaupt gilt es nicht für dich. Du hast dich großartig verhalten.«
Nick blinzelte Pünktchen versöhnlich zu, doch sie wich dem Blick aus. »Aber ich habe nicht nachgesehen, ob der junge Mann ein Auto hatte«, gestand sie. Sie war mit sich selbst unzufrieden.
»Du hast nur daran gedacht, Uwe in Sicherheit zu bringen. Und das war ja auch ganz in Ordnung. Ich glaube, ich hätte alles genauso gemacht wie du.«
»Wirklich?«