Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
ein finsteres Gesicht machst. Wenn du lachst, gefällst du mir viel besser.«
»Glaubst du, Herr Kirsch erwischt den Kerl?«
»Dafür werden wir schon sorgen.« Nicks dunkle Stimme klang überzeugend.
»Und wenn er es nun gar nicht war? Wenn er das kleine Mädchen aus Bachenau überhaupt nicht mitgenommen hat?« Je mehr Pünktchen über die ganze Sache nachdachte, umso mehr kam sie zu der Überzeugung, dass der Mann, den sie am Zaun gesehen hatte, gar nicht so böse war. Er hatte so lieb mit Uwe gelacht.
»Das wird sich herausstellen.«
»Und wenn nicht, muss er dann ins Gefängnis?«
»Warum interessiert es dich?«
»Weil ich gar nicht glaube, dass er ein Verbrecher ist. Er hatte so freundliche Augen. Und überhaupt fand ich ihn ganz nett.«
Nick verzog das Gesicht, als habe er Essig getrunken. Er räusperte sich mehrmals. So etwas wie Eifersucht kroch in ihm hoch.
»Natürlich mag ich dich viel lieber«, verbesserte sich das blonde Mädchen rasch.
»Wirklich?« Nick atmete auf. Sein Groll war sofort verflogen.
*
Zum ersten Mal seit langer Zeit war Norbert Hellbach wieder ganz nüchtern. Er hatte in der Halle der Klinik einen großen Rosenstrauß erstanden und ließ sich nun von einer Schwester den Weg zu Inges Krankenzimmer zeigen.
»Ich bin gekommen, um dich abzuholen. Der Arzt rief mich an und sagte mir, dass du heute entlassen wirst.« Mit diesen Worten eilte der Dirigent auf die junge Frau zu, die in einem Liegestuhl auf dem Balkon saß.
Inge fuhr erschrocken hoch. Sie hatte, seit sie in der Klinik lag, täglich an Norbert gedacht, hatte sich gewünscht, dass er sie besuchen möge. Nun war es so weit, und sie hatte eine schreckliche Angst vor dieser Begegnung.
Hastig stand sie auf, als Norbert ihr engegenkam. Sie nahm die Blumen entgegen und verglich dabei seine etwas herrschsüchtige, arrogante Art mit Christians Herzlichkeit. Die kleinen Schlüsselblumen aus seiner Hand hatten sie mehr erfreut als dieser prächtige, kostbare Strauß Rosen.
Norbert streckte die Arme aus, ließ sie aber sofort wieder sinken.
»Bitte, komm zu mir zurück. Wir wollen ganz von vorn beginnen«, flehte er. »Ich habe ein tolles Angebot zu den Salzburger Festspielen. Ich werde Mozart dirigieren. Und zwar so, dass die ganze Welt aufhorchen wird. Sie sollen sich alle wundern, was man aus dieser Musik machen kann.«
Es berührte Inge sonderbar, dass Norbert zuerst von sich sprach. Doch vielleicht war dies bei sensiblen Künstlern immer so. Bisher jedenfalls hatte sie das nicht gestört.
»Können wir Uwe mitnehmen?«, fragte sie leise, kaum hörbar.
»Das Kind? Aber wie kommst du denn auf diese Idee? Ich dachte, sie hätten dich hier in der Klinik auskuriert. Aber kaum sehen wir uns, fängst du schon wieder damit an.«
»Ich kann nicht anders«, antwortete Inge mit verschlossenem Gesicht. »Uwe ist mein Kind. Ich habe die Verpflichtung, gut für ihn zu sorgen.«
Norbert Hellbach verdrehte die Augen. Er hatte in der letzten Zeit so viel getrunken, dass er sich an seine Sorgen gar nicht mehr erinnern konnte.
»Warum müssen wir das alles noch einmal bereden?«, stöhnte er. »Uwe bekommt in Sophienlust alles, was er braucht. Damit hast du deine Pflicht erfüllt. Komm mit mir. Ich werde dir ein herrliches Leben bieten.« Flüchtig erinnerte er sich daran, dass er sich geschworen hatte, nie mehr eine Flasche anzurühren, wenn Inge zu ihm zurückkam. Er würde diesen Schwur halten. »Ich bin gekommen, weil ich dir beweisen will, dass ich dich noch immer liebe. Vielleicht mehr, als je zuvor.«
»Und warum hast du in all den Wochen nie nach mir gesehen?« Inge schluckte die Tränen herunter. Wie gern hätte sie sich in Norberts Arme geschmiegt, um sich an seiner Brust auszuweinen. Denn auch in ihr lebte noch immer die Liebe zu ihm. Er war der einzige Mann, mit dem sie alles teilen wollte, obwohl er sich so schändlich gegen sie benommen hatte. Sie wusste, dass sie ihm alles verzeihen würde. Nur eine Bedingung gab es: Sie wollte ihr Kind zu sich nehmen. Wenn Norbert damit einverstanden war, würde alles gut werden.
»Erinnere mich nicht mehr an diese Zeit.« Der Dirigent hob abwehrend die Hände. »Erst als heute Morgen der Anruf aus der Klinik kam, und gleich darauf der meiner Agentur, fand ich wieder zu mir selbst. Bitte, Inge, beschwöre nicht alles wieder herauf. Ich brauche einen klaren Kopf zum Arbeiten, und ich brauche vor allen Dingen dich.«
»Uwe braucht mich auch«, erinnerte die junge Mutter ihn.
»Dein junger Kavalier wird sich um Uwe kümmern. Schließlich ist er der Vater.«
Inge schüttelte sehr bestimmt den Kopf. »Ich habe lange genug auf Uwe verzichtet, habe meine Sehnsucht nach ihm unterdrückt. Es geht nicht mehr, Norbert. Ich habe mich für mein Kind entschieden.«
Norberts Augen wurden groß und staunend. Es war das erste Mal, dass Inge so konsequent war. Seine nachgiebige, selbstlose kleine Inge, die er so leicht hatte beeinflussen können.
»Dieser Kerl hat dich beeinflusst. Das ist es. Er weiß genau, wie er an dich herankommt. Er braucht nur für das Kind zu sein – und schon fliegst du auf ihn.« Norbert Hellbach wurde rot vor Zorn.
»Das ist nicht wahr! Ich werde nach Sophienlust fahren, werde Uwe abholen und künftig irgendwo allein mit ihm leben. Wir werden sehr bescheiden sein müssen, aber das macht mir nichts aus.«
»Das glaubst du! Aber was meinst du, wie sehr du die Modellkleider vermissen wirst, deinen kostbaren Schmuck, den Luxus deiner Umgebung. Ich habe dich sehr verwöhnt, Inge. Vielleicht ist dir das noch nicht bewusst geworden. Aber du wirst es spätestens dann begreifen, wenn du wirklich alles verloren hast. Doch ich warne dich. Es gibt diesmal kein Zurück!«
»Ich war dir für deine Großzügigkeit immer sehr dankbar. Aber ich kann auch ohne Luxus auskommen. Das weiß ich recht genau.«
»Du rechnest mit Christian Gentsch, nicht wahr?« Der Dirigent vergaß, dass er sich in einem Zimmer der Klinik befand. Er schrie wütend. »Aber er ist ein armer Student, der lange brauchen wird, ehe er es zu etwas gebracht haben wird. Ah, ich weiß schon, das ist dir gleichgültig. Dir ist etwas ganz anderes wichtig. Du liebst ihn!«
Inge blieb ruhig und sachlich. »Das ist nicht wahr«, widersprach sie ernst. »Ich habe es ihm auch gesagt.« Zugleich dachte sie daran, dass Christian noch immer glaubte, ihre Liebe erobern zu können. Doch es würde sich an ihrem Verhalten zu ihm nie etwas ändern. Christian Gentsch war ein sympathischer junger Mann, ein guter Kamerad. Aber den Partner fürs Leben stellte sich Inge ganz anders vor.
»So, ihr habt also darüber geredet. Hinter meinem Rücken!« Norbert war blass geworden. Scharf traten die Backenknochen in seinem schmalen Gesicht hervor.
»Leider wurde er Zeuge des hässlichen Streits zwischen uns. Er hat deine Hartherzigkeit miterlebt und glaubte mich beschützen zu müssen. Deshalb kam er auf die Idee, mich zu heiraten.«
»Heiraten«, wiederholte Norbert dumpf. »Und dass ich etwas dagegen haben könnte, daran habt ihr nicht gedacht. Aber so einfach ist das nicht. Ich gebe dich nicht her, Inge!«
»Und ich verzichte nicht auf mein Kind. Uwe braucht eine Mutter. Er darf nicht im Heim aufwachsen. Wenn du ihn anerkennst, ist alles in Ordnung.« Sanft und bittend klang die Stimme der jungen Frau.
Norbert war jedoch viel zu aufgebracht, um das zu hören. »Ich habe es versucht, aber es ging nicht«, gestand er. »Es wird auch in Zukunft nicht anders sein. Uwe gehört nicht zu uns. Sei doch vernünftig, Inge!« Mit einem langen Schritt trat er zu seiner Frau, schüttelte sie mit hartem Griff hin und her.
Inge wehrte sich nicht. Sie bewegte nur traurig den Kopf. Das war also das Ende. Das Ende einer großen Liebe. Auch wenn sie künftig sehr einsam sein würde, sie konnte nicht zu Norbert zurückkehren. Das Kind musste Vorrang haben. Uwe würde ihr schon die Kraft geben, um das Leben zu meistern.