Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda

Sophienlust Staffel 14 – Familienroman - Elisabeth Swoboda


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gut wie die andere. Und als Krankenpfleger habe ich genauso mit Menschen zu tun wie als Arzt. Es ist kein großer Unterschied.«

      »Und doch würden Sie es eines Tages bereuen. Nein, das dürfte ich nicht annehmen. Uwe und ich werden allein bleiben. Irgendwie werden wir uns schon durchschlagen. Ich habe das Dolmetscherexamen. Vielleicht kann ich zu Hause Übersetzungen anfertigen.«

      »Nein, Inge. Eine Frau wie Sie sollte sich ganz ihrer Familie widmen können. Nur so wird sie froh und glücklich sein. Und meine Pflicht ist es, dafür zu sorgen.«

      »Es besteht Ihrerseits keinerlei Verpflichtung«, widersprach die junge Frau sofort.

      »Nicht rechtlich, aber moralisch. Außerdem würde ich das alles nicht als Pflicht, sondern als Vergnügen auffassen. Sie haben mir schon im ersten Augenblick gefallen, Inge. Ich bin mit der Wahl, die das Schicksal für uns getroffen hat, durchaus einverstanden.«

      »Aber ich bin verheiratet.« Inges Einwand war schwach und kraftlos.

      »Niemand kann von Ihnen verlangen, dass Sie diese Ehe fortführen. Sie ist menschenunwürdig.«

      »Aber Norbert liebt mich. Er braucht mich.«

      »Und Uwe? Braucht er Sie nicht auch? Er ist ein Kind, noch zu klein, um sich in dieser Welt selbst zurechtzufinden. Er hat ein Recht auf Mutterliebe, und die wollen Sie ihm ja auch geben, Inge. Sonst wäre doch alles nicht so weit gekommen. Wissen Sie, ich bin Ihrem Mann sehr dankbar dafür, dass er mich gerufen hat.«

      Die Schwester, die eine Vase für die Schlüsselblumen besorgt hatte, kam zurück. »Frau Hellbach braucht noch viel Ruhe«, mahnte sie leise. »Würden Sie sich bitte verabschieden?«

      »Schon?« Christian zog die Augenbrauen hoch. Für ihn war die Zeit in Sekundenschnelle vergangen. »Werden Sie über das, was ich gesagt habe, nachdenken?«, flüsterte er. »Ich komme morgen wieder und freue mich schon darauf.«

      »Ich auch«, gab Inge wahrheitsgemäß zurück. Es bedeutete für sie eine große Erleichterung, mit jemandem über alles, besonders aber über das Kind, sprechen zu können.

      »Ich habe Sie sehr, sehr gern, kleine Mutti!« Blitzschnell beugte sich Christian hinab und hauchte einen zarten, freundschaftlichen Kuss auf Inges Wange. Dann beeilte er sich, das Krankenzimmer zu verlassen, denn noch stand die strenge Schwester wartend an der Tür. Christian Gentsch war so von Herzen froh, dass er sie am liebsten übermütig im Kreis herumgewirbelt hätte. Er wollte singen, tanzen, pfeifen. Doch in den nüchternen Gängen der Klinik ging das natürlich nicht.

      So beschränkte er sich darauf, so rasch wie möglich ins Freie zu kommen. Dort breitete er die Arme aus, als wollte er die ganze Welt umarmen.

      *

      Hart trat Christian Gentsch auf die Bremse. Er stellte sein kleines Gefährt in einem Seitenweg ab und blinzelte immer wieder verblüfft hinüber zu dem großen schlossartigen Gebäude, das mitten in einem gepflegten Park lag. Groß und deutlich stand »Kinderheim Sophienlust« auf dem lustigen holzgeschnitzten Schild neben dem hohen schmiedeeisernen Parktor.

      Ein Kinderheim hatte sich Christian viel bescheidener, viel weniger vornehm vorgestellt. Wie versnobt mochte wohl die Verwaltung dieses eindrucksvollen Hauses sein? Christian war sehr zuversichtlich hierhergekommen. Doch nun wurde ihm bewusst, dass sein Anliegen recht merkwürdig war. Er wollte den kleinen Uwe kennenlernen, wollte sich als dessen Vater vorstellen. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er dazu keinerlei Legitimation besaß. Man würde ihm den Zutritt verwehren, würde ihm wie einem Bettler die Tür weisen.

      Christian steckte die Hände in die Taschen seiner engen Jeans und schlenderte leise pfeifend über die Straße. Durch den Gitterzaun sah er auf die weiten Rasenflächen von Sophienlust. Die Fontäne eines Springbrunnens glitzerte im Sonnenlicht. Frohes Kinderlachen schallte vom Pavillon herüber. Dort rannte eine Schar kleiner Kinder munter durcheinander.

      Die Augenschlitze des jungen Mannes verengten sich. War Uwe unter den Kleinen, die dort übermütig Fangen spielten? Unwillkürlich ging der junge Mann näher, blieb aber immer außerhalb des Zaunes. Schließlich konnte er die fröhliche Schar aus nächster Nähe beobachten.

      Christian zog ein Foto aus der Brieftasche, das er heimlich behalten hatte. Er verglich das Kind darauf mit einem kleinen dunkelblonden Jungen, der ihm sofort aufgefallen war. Das frische, pausbäckige Gesichtchen war von zerzausten Locken umrahmt, die dunklen Augen sprühten vor Lebensfreude. Immer wieder lachte das Kind silberhell auf. Es wirkte ungemein reizvoll. Aus kurzen himmelblauen Höschen schauten ein paar sonnenbraune stramme Beinchen.

      Christian hielt den Atem an. Das war sein Sohn! Es gab keinen Zweifel. Das Kind auf dem Foto und der kleine Wirbelwind, der eben über den Rasen purzelte, waren identisch.

      Mit brennenden Augen starrte der junge Mann hinüber. Noch vor einigen Tagen hatte er keine Ahnung von der Existenz des Kleinen gehabt. Doch nun regte sich so etwas wie väterlicher Stolz in ihm. Irgendwie fühlte er sich mit dem Jungen auf eigenartige Weise verbunden. Er wurde nicht müde, die spielenden Kinder zu beobachten. Ganz besondere Aufmerksamkeit schenkte er natürlich dem kleinen Uwe. Keine Bewegung, keine Äußerung des drolligen Kleinen entging ihm. Und je länger er am Zaun stand, umso vertrauter wurde ihm das Kind. Eigentlich hatte er es bereits richtig gern. So gern fast wie Uwes Mutti, Inge Hellbach.

      Wenn Christian an die junge Frau dachte, wurde ihm ganz warm ums Herz. Ein ganzes Leben lang wollte er sie nach Kräften verwöhnen und beschützen. Auf ungewöhnliche Weise war ihre kleine Familie entstanden, doch sie selbst sollte künftig umso glücklicher sein.

      »Uwe«, rief Christian leise, als das Kind nahe dem Zaun vorüberrannte.

      Der Kleine blieb stehen, schaute neugierig herüber. Seine dunklen Augen musterten den Fremden ohne Furcht.

      »Komm einmal zu mir«, lockte Christian und machte eine ulkige Grimasse.

      Uwe lachte so fröhlich, wie es nur ein Kleinkind tun kann. Unbefangen trippelte er näher.

      »Magst du Bonbons?« Christian streckte die Tüte, die er vorsorglich eingesteckt hatte, durch den Zaun.

      »Hm!« Uwes kugelrunde Kinderaugen leuchteten begehrlich auf. Mit beiden Händchen griff er in die Tüte, stopfte sich die Taschen seiner Hose voll.

      »Hier, nimm, das ist für deine Kameraden.« Christian drückte dem Kind die Tüte in den Arm.

      Jetzt hatte es der Kleine sehr eilig, zu seinen Spielgefährten zurückzukommen. Christian hielt ihn jedoch an der Kleidung fest. »Moment, Uwe. Ich möchte mich gern ein bisschen mit dir unterhalten.« Etwas unsicher sah der junge Mann zum Herrenhaus hinüber. Dort schien man seine Anwesenheit noch nicht bemerkt zu haben. Auch die spielenden Kinder, die zwischen den alten Bäumen umhertollten, schenkten ihm keinerlei Aufmerksamkeit.

      »Wer bist du?«, erkundigte sich der Kleine mit schiefgelegtem Köpfchen.

      »Jemand, der dich sehr gern hat. Dich und deine Mutti.« Christian hätte seinen kleinen Sohn am liebsten in die Arme geschlossen. Doch durch das Gitter ging das natürlich nicht. Außerdem wollte er das Kind nicht erschrecken.

      »Mami?« Uwe verzog das Mündchen. Hier in Sophienlust vermied man es eifrig, von seiner Mutti zu sprechen. Trotzdem hatte Uwe sie natürlich nicht vergessen. Doch die vielen lustigen Spielkameraden, die es hier gab, lenkten ihn ab. »Wo ist Mami?«, fragte er weinerlich.

      »Sie ist krank«, berichtete Christian, der in die Knie gegangen war. Offen und frei schaute er dem Kind in die Augen. Er wollte ihm ein guter Vater sein, ein treuer Kamerad. »Aber wenn sie wieder gesund ist, bringe ich sie mit. Das verspreche ich dir, Uwe. Und dann holen wir dich ab.«

      »Mami!« Das Kleinkind streckte sehnsüchtig die Arme aus. Wenn es hier in Sophienlust auch vorbildlich versorgt wurde, so blieb doch immer die Sehnsucht nach zwei liebevoll streichelnden Händen, nach jener Zärtlichkeit, die nur eine Mutter schenken kann.

      »Du darfst wieder zu ihr, Uwe. Dafür sorge ich. Und dann wird man euch nie mehr trennen. Du gehörst zu uns.«

      Der Zweijährige


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