1919 - Das Jahr der Frauen. Unda Hörner
konnten.
1893 ging Anita Augspurg nach Zürich. Unter den Frauen im Hörsaal der juristischen Fakultät der Universität war damals auch Rosa Luxemburg. Sehr wahrscheinlich ist, dass sich die Kommilitoninnen Anita und Rosa persönlich begegnet sind. Fest steht, dass beide Frauen zu den Mitbegründerinnen des ›Internationalen Studentinnenvereins‹ gehörten. Gesprächsthemen hätten sie jedenfalls genug gehabt, etwa, wie wichtig ein aufgeklärtes Elternhaus mit einem Familienoberhaupt ist, welches der Tochter keine Steine in den Weg legt. Wie Luxemburgs Vater war auch Augspurg senior ein freiheitsliebender Geist und politisch engagiert, während der Märzrevolution von 1848 hatte er in Festungshaft gesessen. Der Tochter eines solchen Mannes liegt politisches Handeln geradezu im Blut. 1897 und nur wenige Monate vor Rosa Luxemburg schloss Anita Augspurg ihr Studium mit einer Doktorarbeit ab, über Die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England. Damit war Augspurg die erste promovierte Juristin des Deutschen Kaiserreichs.
1896, auf dem ›Internationalen Frauenkongress‹ in Berlin, beeindruckte Anita Augspurg eine andere glühende Frauenrechtlerin, Lida Gustava Heymann. »Die ersten Worte, die ich von Anita Augspurg vernahm, lauteten ›Wo ist das Recht der Frau?‹ […]. Am Rednerpult stand ein Mensch in an griechische Art erinnerndem Gewände [sic] aus braunem Sammet. Schon ergrauendes kurzes Haar umrahmte eine hohe Stirn, unter der zwei klare Augen blitzten.« Fortan setzen sich die beiden Frauen gemeinsam für die Legalität von Prostitution und das Recht auf Abtreibung ein. Sie fochten die Grundlagen des Bürgerlichen Gesetzbuchs an, die für Frauen ganz und gar nicht akzeptabel seien, weil diese durch eine Hochzeit in den Status Minderjähriger versetzt wurden. Sie brachten Petitionen zum neuen Ehe- und Familienrecht ein, und die Herren Abgeordneten machten sich lustig über die vermessenen Änderungsforderungen. Hohe Wellen schlug 1905 Anita Augspurgs offener Brief, worin sie alle Frauen zum Boykott der Ehe unter dem geltenden patriarchalen Eherecht aufrief und die freie Ehe für alle propagierte.
Während des Krieges war Anita Augspurg wegen pazifistischer Umtriebe das Rederecht entzogen worden. Kein Wunder, sie war 1915 Mitinitiatorin der ›Internationalen Frauenfriedenskonferenz‹ in Den Haag und der ›Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit‹ und gründete als solche Frauenausschüsse, die für dauernden Frieden eintraten. So viel pazifistisches Engagement mitten im Krieg wurde sogar dem ›Bund deutscher Frauenvereine‹ unheimlich, und Augspurg wurde kurzerhand aus der Vereinigung ausgeschlossen.
Aber jetzt erst recht! 1919 beginnt Anita Augspurg mit der Herausgabe einer Monatsschrift, die im Namen des radikalen Flügels der Frauenbewegung den emanzipatorischen Fortschritt befeuert, Die Frau im Staat. Darin kann sie endlich ungestraft offen pazifistische Positionen formulieren: »In geometrischer Progression haben sich die politischen Morde gehäuft. Immer sind es dieselben Methoden. Erst wird eine beispiellose Hetze durch Wort und Schrift gegen bestimmte unbequeme Personen eingeleitet, und dann finden sich, wie von ohngefähr Unverantwortliche, die auf irgend einen höheren Befehl den Mordstahl führen.« Die Autorin des Artikels heißt Anilid – Anita und Lida in einem einzigen Kunstnamen verschmolzen. Ganz oben auf der Liste der Macherinnen von Frau im Staat, dem Blatt, für das Käthe Kollwitz Illustrationen beisteuert, steht die Aussöhnung der erbitterten ›Erzfeinde‹ Deutschland und Frankreich: Nur auf diesen beiden tragenden Säulen kann die Architektur eines friedlichen Europa gelingen.
Keine Frage, dass Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann im Januar 1919 auch die ›Erklärung in Sachen Liebknecht-Luxemburg‹ unterschreiben, wozu die ›Liga zur Förderung der Humanität‹ über tausend einflussreiche Persönlichkeiten aufgefordert hat. Die Unterzeichnenden erheben Widerspruch gegen den Ungeist brutaler Gewalt, der in allen Schichten Berlins um sich greift. Das sind Hunderte KPD-nahe Politiker, Wissenschaftler und Künstler, darunter der Arzt Magnus Hirschfeld, Maximilian Harden, Walther Rathenau, Albert Einstein, Minna Cauer und Käthe Kollwitz. Warum, stellen sie in diesem Pamphlet unisono die Frage, hat die SPD die Ermordung der beiden prominenten Spartakisten sehenden Auges nicht zu verhindern gewusst?
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