Systemische Beratung bei Autismus. Maik Teriete

Systemische Beratung bei Autismus - Maik Teriete


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zu sprechen, macht allerdings schon deutlich, dass sich auf diesem Spektrum sehr diverse Menschen finden lassen, die ganz unterschiedliche »Besonderheiten« mit sich bringen.

      Aufgrund ihrer hohen Intelligenz und der im Laufe des Lebens wachsenden Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen, sind Menschen mit dem »Asperger-Syndrom«, vor allem im Bereich der sprachlichen Entwicklung, durchaus lern- und anpassungsfähig (Vogeley, 2016). Sie wissen um ihre Besonderheiten und sind oftmals zu bewundernswerten Leistungen in der Lage. Menschen mit »Frühkindlichem Autismus« verfügen hingegen in der Regel nicht über entsprechende Fähigkeiten. Ihre Entwicklung verläuft anders – vor allem in Bezug auf das selbstbestimmte Erlernen von Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Herausforderungen.

      Wie »schwer« die entsprechenden Menschen beeinträchtigt sind, muss je nach Blickwinkel unterschiedlich beantwortet werden.

      Zu berücksichtigen bei der Beurteilung des Schweregrades sind auch die vorherrschenden Vorstellungen darüber, welchen Einfluss die Diagnose auf das weitere Leben hat. Wird dieser als gering eingeschätzt, wird eine Person vermutlich angeben, dass sie »leicht betroffen« ist. Geht die Diagnosestellung mit erheblichen (einschränkenden) Auswirkungen einher – z. B. Schwierigkeiten beim Finden einer Anstellung oder Bedarf an intensiver Unterstützung aus dem Umfeld – könnte dies die Einschätzung »schwer betroffen« zur Folge haben

      Allein anhand der Frage nach dem Vorliegen einer »geistiger Behinderung« oder einer »normalen bis überdurchschnittlichen Intelligenz« lässt sich die Einschätzung bezüglich der »Schwere« der Beeinträchtigung durch die Diagnose Autismus also nicht treffen (image Abb. 2.1).

      Abb. 2.1: Grundbereiche Autismus plus Wahrnehmung/Stress

      Diagnosestellung

      Der Impuls zu einer diagnostischen Abklärung kann erfahrungsgemäß unterschiedliche Gründe haben. Eltern von Kindern mit Verdacht auf Autismus entscheiden sich oftmals zu diesem Schritt, weil sie entsprechende Hinweise aus ihrem Umfeld bekommen haben, sie selber Auffälligkeiten im Verhalten des Kindes beobachten oder weil sie einen Antrag auf Unterstützung stellen wollen und die diagnostische Abklärung hierfür Grundlage ist. Meist schwingt die Hoffnung auf Antworten mit – Antworten auf Fragen zu den spezifischen Herausforderungen in ihrem Alltag.

      Auch bei erwachsenen Menschen, die bei sich selbst eine Autismus-Diagnose vermuten, ist die Hoffnung auf Einsicht und Klärung eigener Problemstellungen oftmals ausschlaggebend für die Abklärung. Einige lehnen eine diagnostische Abklärung aber auch bewusst ab, z. B. aus Sorge vor etwaigen Nachteilen, die ihnen daraus entstehen könnten oder aber, weil sie keine Einschränkungen im Alltag erleben bzw. keine Unterstützung wünschen.

      Grundsätzlich ist zu bemerken, dass nicht alle Personen, die nach Maßstab der gängigen diagnostischen Kriterien Teil des Spektrums wären, auch tatsächlich eine Diagnose erhalten. Neben dem genannten vorsätzlichen Verzicht einer Abklärung, kommt es gerade bei Kindern und Jugendlichen immer wieder vor, dass die Diagnostik ohne entsprechende Expertise erfolgt oder uneindeutig bleibt.

      Je nach Verfügbarkeit entsprechender Einrichtungen bzw. Kapazitäten dieser kann der Prozess der diagnostischen Abklärung schnell gehen (direkte Terminvergabe bei der ersten Kontaktaufnahme) oder aber mit längeren Wartezeiten bzw. Kontakt mit verschiedenen Stellen verbunden sein.

      Besonderheiten im Bereich Autismus

      Bereich »Kontakt«

      • Gestaltung von Blickkontakt

      • Erkennen und Einsatz nonverbaler Verhaltensweisen

      • Beziehungsaufnahme zu Gleichaltrigen

      • Spontanes Teilen von Freude, Interessen oder Tätigkeiten mit anderen

      Das soziale Miteinander kann Menschen mit Autismus überfordern. Die »ungeschriebenen Regeln« des zwischenmenschlichen Kontaktes sind für sie nicht klar und werden entsprechend auch nicht beachtet. Soziale Konzepte wie beispielsweise »Höflichkeit« sind nicht ohne Weiteres bekannt. Ihnen fehlt die Fähigkeit, in diesen Bereichen »intuitiv« richtig zu handeln.

      Es wäre jedoch falsch, auf Grundlage dessen anzunehmen, dass Menschen mit Autismus keinerlei Kontakt wünschen oder Kontakt grundsätzlich nicht ertragen können. Vielen von ihnen fehlen vielmehr die passenden Konzepte, wie man in Kontakt treten kann oder wie z. B. Freundschaften »funktionieren«.

      Besondere Schwerpunkt im Bereich »Kontakt«: Verstehen sozialer Regeln

      Das intuitive Nachvollziehen bestimmter Regeln, die wichtig sind für das soziale Miteinander, ist für Menschen mit Autismus oft nicht möglich. Sie müssen diese Regeln unter Umständen mehrmals erklärt bekommen, bis sie sie kennen und entsprechend auch ihr Verhalten darauf abstimmen können.

      Bereich »Kommunikation«

      • Verzögerte und ausbleibende Sprachentwicklung

      • Sprachlicher Kontakt zum gegenseitigen Kommunikationsaustausch mit anderen Personen

      • Stereotyper und repetitiver Gebrauch der Sprache

      • Fehlen von entwicklungsgemäßen Rollen- und Imitationsspielen

      Einige Menschen mit Autismus entwickeln keine verbale Sprache. Einige von ihnen können jedoch mit Unterstützung erlernen, Kommunikationshilfen einzusetzen, um so auf eigene Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Andere wiederum entwickeln eine stilistisch sehr anspruchsvolle verbale Sprache und können sich sehr genau ausdrücken. Gerade bei Menschen mit Asperger-Syndrom fällt allerdings auf, dass bestimmte Besonderheiten in der Sprache fehlen, was sich durch die Autismus-Störung erklären lässt (Bölte, 2015).

      Bei diesen Menschen können Probleme in der Kommunikation auftreten, wenn es z. B. um das Thema »Small-Talk« geht: Bei einem Gespräch mit Mitschülern auf dem Schulhof berichtet ein Mensch mit Autismus beispielsweise sehr ausführlich und detailreich von Themen, die ihn selbst interessieren. Ist jedoch erforderlich, dass er sich auf die Themen der anderen einlässt, fällt ihm das voraussichtlich schwer.

      Besonderer Schwerpunkt im Bereich »Kommunikation«: Motivation in Bezug auf Kommunikation

      Die Motivation, sich verbal zu äußern, ist bei Menschen mit Autismus unterschiedlich stark ausgeprägt. Geht es um für sie interessante Themen, sind sie mitunter überdurchschnittlich motiviert. Für sie uninteressante Themen werden häufig aktiv abgelehnt.

      Schwer beeinträchtige Menschen mit Autismus müssen darüber hinaus zunächst den »Sinn« bzw. die Vorteile von Kommunikation konkret erleben, damit sie eine Motivation entwickeln, sich mitzuteilen (image Kap. 4.1, Kommunikationsförderung durch »PECS«).

      Bereich »Handlung/Interessen«

      • Interessen können in Inhalt und Intensität ungewöhnlich sein

      • Festhalten an Gewohntem oder Ritualen

      • Stereotype und repetitive Manierismen zeigen sich z. B. in schnellen Bewegungen von Fingern oder Händen oder im Schaukeln des Körpers

      • Ständige Beschäftigung mit Teilen und Objekten

      Ihr Verhalten flexibel an die jeweilige Situation anzupassen, gelingt Menschen mit Autismus in der Regel nicht. Konkret kann dies bei spontanen Planänderungen zum Problem werden. Der Wunsch nach Kontinuität


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