Systemische Beratung bei Autismus. Maik Teriete
und Aufregung.
Besondere Schwerpunkte im Bereich »Handlung/Interessen«:
Handlungsplanung
Mit einer autistischen Wahrnehmung ist die Selbstorganisation eine große Herausforderung. Meist sind hierfür notwendige Fähigkeiten, wie selbst einschätzen zu können, mit welchen Anforderungen eine bestimmte Handlung einhergeht, nicht vorhanden. Auch die Frage danach, in welcher Reihenfolge oder an welchem Ort bestimmte Handlungen ausgeführt werden sollen, ist häufig unklar (
Impulskontrolle
Für viele Menschen mit Autismus ist es nur sehr bedingt möglich, ihre Impulse zu regulieren und es kann oftmals zu stark enthemmten Verhaltensweisen kommen.
Ursache-Wirkungszusammenhänge erkennen
Menschen im Autismus-Spektrum sind oft nicht in der Lage, die Auswirkungen ihrer eigenen Handlungen auf andere richtig einzuschätzen. Hierdurch führt ihr Handeln fast automatisch zu weiteren Auffälligkeiten und Störungen.
Schwierigkeiten im Bereich Verhaltens- und Problemlösestrategien
Selbst wenn sich Probleme häufen und der Druck bezüglich dieser Probleme steigt, sind Menschen mit Autismus meist nicht in der Lage, eigenständig Lösungen für diese Situationen zu finden. Sie können ihre Verhaltensmuster nicht ohne Weiteres ändern, was im Hinblick auf eine Veränderung dieser Probleme allerdings oftmals erforderlich wäre.
Bereich »Wahrnehmung/Stress«
• Probleme in der Selbstregulation bewirkt erhöhte körperliche Anspannung
• Schwierigkeiten bei Lösungsfindung
• Ständiges Grübeln
• Probleme bei Wahrnehmung sensorischer Reize
Die diversen Anforderungen des Alltags zu bewältigen, ist für Menschen mit Autismus nicht immer einfach. Aufgrund ihrer Wahrnehmungsbesonderheiten stellen vermeintlich »normale« Situationen sie vor ungewöhnliche Herausforderungen. So können oftmals eigentlich irrelevante Reize, wie beispielsweise das tickende Geräusch einer Uhr in einem Therapieraum oder die Geräusche der Toilettenspülung aus der Nachbarwohnung, eben nicht als »wenig bedeutsam« oder vielleicht sogar »hinderlich« herausgefiltert werden. Dieses »Nicht-relativieren-Können« bei äußeren Einflüssen erschwert den Alltag der Betroffenen oft stark. Reize, die für andere Menschen kaum wahrnehmbar sind, können Menschen mit Autismus extrem beschäftigen und weitere, teilweise erhebliche Beeinträchtigungen oder Probleme nach sich ziehen.
Eigene Beschreibungen von Menschen mit Autismus helfen zunehmend dabei, die Bedeutsamkeit von Themen wie »Ursachen von Stress« und »Umgang mit Stress« im Bereich Autismus zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Christine Preißmann schreibt hierzu: »Menschen mit Autismus fühlen sich in allen Lebensbereichen ganz erheblichem Stress ausgesetzt. Lange Zeit wurde das nicht als Problem erkannt, und erst allmählich beginnt man, sich im Zusammenhang mit Autismus auch mit den Themen Stress und Entspannung zu beschäftigen« (Preißmann, 2015, S. 105).
Auch Vogeley betont die Wichtigkeit dieses Punktes. In einer Bedarfserhebung bezüglich der Ziele einer autismusspezifischen Hilfe wurde von den Betroffenen oft das Thema »Umgang mit Stress« benannt. »Interessanterweise gaben die Befragten als das am häufigsten genannte Ziel an, dass sie sich Hilfen im Umgang mit Stress wünschen (67 %)« (Vogeley, 2016, S. 181).
Hilfe im Bereich »Stress« bieten Strategien, die durch Reizreduktion oder Hemmung der Reizintensität zu Entlastung führen bzw. eindeutige sensorische Rückmeldungen ermöglichen. Die bekannte amerikanische Autorin und Viehzucht-Expertin Temple Grandin, bei der das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, baute sich beispielsweise zu einem solchen Zweck eine Art »Ganzkörper-Presse« aus gepolsterten körperlangen Platten. Mit Hilfe dieser Apparatur verschafft sie sich durch pneumatisch erzeugten Druck auf ihren Körper Momente der Entspannung.
Leicht umsetzbare und oft nützliche Hilfestellungen für Menschen im Autismus-Spektrum zur Unterstützung körperlicher Entspannung:
• Massagen (Finger, Hände, Ganzkörper)
• elektrische Massagestäbe, die selber bedient werden
• Schlafen in einem Schlafsack
• Ruhemomente (oder auch Schlafen) in einer Hängematte
• schwere Decken zum Schlafen
• aufblasbare oder mit Sand gefüllte Westen
• mit Quarzsand gefüllte Manschetten am Handgelenk für eindeutige körperliche Impulse
• Schulmaterialien wie Stifte mit Sandpapier umhüllen, ebenfalls um eine klarere sensorische Rückmeldung zu erhalten
In den letzten Jahren wurden zum Thema Entspannung erfreulicherweise einige konkrete Hilfsangebote für Menschen mit Autismus entwickelt. Annelies Spek (Hogrefe, 2012) beschreibt z. B. in ihrem Buch »Achtsamkeit für Menschen mit Autismus« ein Training, das speziell für diese Gruppe von Menschen entwickelt wurde.
2.2 Was bewirkt Autismus bei Familien?
Die Tante einer erwachsenen Frau mit Autismus bringt ihrer Nichte, die nur ein paar Häuser weiter lebt, spontan etwas von der übriggebliebenen Weihnachtsgans, um ihr eine Freude zu bereiten. Die Nichte weist ihre Tante gleich an der Wohnungstür ab und beschimpft diese. Sie wirft ihr vor, dass dies eine sehr schlechte Idee sei und sie die Gans nicht haben wolle. Die Tante ist über diese Situation sehr betrübt und fühlt sich verletzt.
Ähnlich wie bei den betroffenen Menschen mit Autismus selbst, sind auch die Auswirkungen von Autismus auf das Familienleben vielfältig.
Es lohnt sich in diesem Zusammenhang den Begriff der »Resilienz« genauer zu betrachten. Der Begriff Resilienz bezieht sich ursprünglich eigentlich »explizit nicht auf Therapeuten oder therapeutisches Vorgehen, sondern auf Menschen in ihrem natürlichen Umfeld, die aus widrigen Lebensumständen etwas Gutes machen – in den meisten Fällen übrigens ohne Therapie« (Welter-Enderlin & Hildenbrand, 2006, S. 10). Grundsätzlich geht es um die Frage, wie Entwicklung und Wachstum trotz erschwerter Bedingungen oder widriger Umstände möglich ist bzw. wie oder was man daraus eventuell sogar lernen kann (Welter-Enderlin & Hildebrand, 2006).
Retzlaff beschreibt »Resilienz« folgendermaßen: »Aus systemischer Perspektive kann Resilienz als das Potenzial von Familien als Organisationseinheit verstanden werden, Belastungen abzupuffern, sowie als Ergebnis gelungener Adaptionsprozesse an eine widrige Lebenssituation« (2016, S. 111).
Zum Thema Familienresilienz schreibt er:
»Das Familien-Resilienzmodell greift Konzepte und Ergebnisse der individuellen Resilienzforschung, der Familien-Stresstheorie und des Familien-Kompetenzen-Modells auf (Beavers & Hampson 1993, Patterson 2002 a, Walsh 1998). […] Zu den Schlüsselprozessen der Resilienz zählen Familienprozesse, die familiäre Kommunikation, die Aufgaben- und Rollenverteilung, der Umgang mit Grenzen und Konflikten und die Aktivierung von sozialer Unterstützung.« (Retzlaff, 2016, 93; Hervorh. i. O.)
Es gibt also eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren, die eine Rolle dabei spielen können, wie Belastungen in Familien mit Kindern mit Behinderungen erlebt und »durchlebt« werden. Mögliche spezifische Belastungen sollen im Folgenden beschrieben werden.
Diagnose
Für einige Eltern kann die Diagnose »Autismus« durchaus eine Erleichterung darstellen, nämlich dann, wenn sie hierdurch endlich eine Erklärung dafür erhalten, warum beispielsweise ein wechselseitiger Kontakt mit ihrem