Die große Hitze. Jörg Mauthe
natürlich Graf Oxenstjerna gemeint; der Kanzler Gustav Adolfs war bekanntlich …«
»Komisch«, sagte der Unterrichtsminister, »bei uns im Burgenland singt man das anders. So: ›. . . san die Türken kumma, ham die Fenster zerschoss’n, ham Blei draus goss’n … ‹«
»Interessant. Die Frau Wissenschaftsminister sollte das erforschen lassen«, sagte der Kanzler, der den Unterrichtsminister nicht leiden konnte, weil er in ihm einen Konkurrenten witterte – fälschlicherweise, denn der Unterrichtsminister wollte gar nicht Kanzler werden, sondern so bald wie möglich wieder hinaus aus den pompösen Räumen am Minoritenplatz und zurück in die rauchigen Wirtshäuser des Burgenlandes und ihre vom Rotwein erhitzten Streitereien, die so schnell vom Deutschen ins Ungarische oder Kroatische oder einen der unergründlichen sonstigen Dialekte dieses Landes wechselten. Nur der erhebende Gedanke, daß durch seine Person endlich auch einmal das so lange vernachlässigte östlichste Bundesland über gesamtösterreichische Kulturbelange entscheidend mitreden konnte, hielt den tüchtigen und redlichen Mann vorderhand noch in Wien fest.
»Liebe Frau Minister«, sagte der Kanzler, »… das ist ja sehr interessant, diese Schwedengeschicht’, aber ich möcht’ dich doch höflich bitten: Verschieb deine Reise, gelt ja? Wir müssen dem Volk schließlich Vorbild sein, du verstehst – wenn wir alle Dienstreisen in kühlere Gegenden machen täten, während unsere Arbeiter und Angestellten in der Hitz’ daheimbleiben müssen …«
Dr. Tuzzi: Mit Befriedigung nahm das Kabinett den vom Wissenschaftsministerium vorgelegten Bericht über die Vertiefung der kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und dem skandinavischen wie südosteuropäischen Raum zur Kenntnis.
Wieder einmal unergiebig, dieser Ministerrat, dachte er, man wundert sich manchmal, daß das Staatswerkel überhaupt weiterrennt; aber vermutlich ist es meistens ziemlich Wurscht, was die Regierenden machen, solange in allen Sektionen Leute wie ich sitzen, die geduldig dafür sorgen, daß der alltägliche Kleinkram durch bürokratische Abstraktion emporgeläutert wird zur Haus-, Hof- und Staatsarchivgültigkeit, bis er sich vor den gestrengen Augen der Geschichte sehen lassen kann oder diesen wenigstens nicht auffällt.
Jedoch irrte der Legationsrat mit diesen am Rande des geradezu Aufsässigen hinschwebenden Gedanken, denn das Ministerratsprotokoll begann sich plötzlich in unerwarteten Zickzackwendungen zum Bedeutenden, ja geradezu Dramatischen hin zu entwickeln.
Zunächst brachte der Unterrichtsminister die letzten Wetterberichte zur Kenntnis (aus unerforschlichen Gründen untersteht nämlich die bundeseigene Meteorologische Zentralanstalt dem Unterrichtsministerium, das diese wichtige Schlüsselposition natürlich eifersüchtig gegen Kompetenzübergriffe aus anderen Ressorts hütet). Der Minister ließ die erfreuliche Nachricht verlauten, daß es seinen Wetterwissenschaftlern gelungen sei, die ohnehin schon hohe Erfolgsrate ihrer Prognosen – sie hatte bis vor dem Eintritt der Großen Hitze immerhin bei 50 Prozent gelegen! – entscheidend zu steigern. Nach Auskunft der Bundesmeteorologen sei mit nunmehr 9o(!)prozentiger Sicherheit zu erwarten, daß das heiße Wetter weiterhin anhalten werde.
Diese Mitteilung rief leider nicht den verdienten Beifall hervor, sondern Empörung. Die hitzebleichen Gesichter der Kabinettsmitglieder liefen zornrot an, der Schweiß begann heftiger zu quellen, und die ohnehin schon gereizte Stimmung entlud sich grollend. Die Wissenschaftsministerin schien geneigt, die Wettervorhersage ihres Kollegen als persönlichen Affront zu betrachten, und ließ ein micky-mausartiges Quieken hören. Ihre Kollegin vom Gesundheits- und Umweltschutzministerium – eine Frau, die nicht nur in der Ministerrunde, sondern auch in der Bevölkerung hohe Popularität genoß, weil sie im unpassendsten Augenblick verläßlich etwas Falsches zu äußern pflegte – fragte schrill, was man wohl glaube, daß sie den mächtigen Initiatoren der »Bürgerinitiative zur Erhaltung des Donauwassers« sagen solle. Und die Staatssekretärin für Familienfragen sah endlich die Chance, auch einmal den Mund aufmachen zu können, und rief, sie pfeife auf eine solche Prognosenverbesserung, und früher wäre das ja doch besser eingerichtet gewesen, und da hätte man doch, wenn die Meteorologen für den nächsten Tag Sonne voraussagten, wenigstens zu fünfzig Prozent Regen und Kälte erwarten dürfen, und das Volk wäre ganz zufrieden gewesen, zu wissen, daß das Erscheinen des Doktor Kletter in der abendlichen Fernseh-Wettervorhersage stets Regen bedeutete und der Auftritt des Doktor Reutter immer Schönwetter, unabhängig von allen Tiefs über Südrußland und allen Hochs über dem Atlantik. Und das Kabinett möge gefälligst begreifen, daß der Geburtenrückgang ein beängstigender sei, weil die Hitze auf die Zeugungsbereitschaft vor allem der männlichen Bevölkerung außerordentlich nachhaltig einwirke (»Hört, hört!« rief die Gesundheitsministerin, während die Frau Wissenschaftsminister höhnisch lächelte), und wenn das nicht aufhöre, würde nicht nur sie selbst, sondern auch der Herr Unterrichtsminister bald in Pension gehen können. Aber anstatt endlich Wasser herbeizuschaffen, denn ohne Wasser sei ein ordentliches und geregeltes Liebes- und Eheleben wie auch eine anständige Kinderaufzucht nicht möglich, anstatt dessen verschärfe man die ohnehin schon unerträglichen Wasserrationalisierungsvorschriften noch mehr, und zum Schluß bezeichne man das ganze Hitzemalheur womöglich noch als großen Erfolg der Regierung, und ob die Anwesenden wirklich glaubten, daß die Wähler so blöd sein würden, das auch noch zu fressen?
Diese in gellendem Ton vorgetragene Philippika eines Regierungsmitgliedes, das im Kabinett noch niemals zuvor auch nur ein Wort geäußert hatte, erzielte umso nachhaltigeren Eindruck, als die mitgeteilten Tatbestände ihrem Wesen nach ziemlich richtig getroffen waren. Die anhaltende Wasserknappheit mit allen ihren Folgen – mangelnde Sauberkeit, austrocknende Landschaften, sinkende Industrieproduktion undsoweiter – versetzte, wie die Minister sehr wohl wußten, das Volk allmählich wirklich in Erregung; daß diese Erregung nicht bereits in Demonstrationen oder gar Tätlichkeiten umschlug, war eigentlich wiederum nur der Hitze zu verdanken, die auch ihre Ursache war.
»… wer is denn fürs Wasser eigentlich zuständig?« fragte der Kanzler, der als routinierter Taktiker den Zeitpunkt gekommen sah, Verantwortungen zu delegieren beziehungsweise einen Sündenbock zu finden.
Es entstand Unsicherheit. Einige Augenpaare wanderten zum Bauten-, andere zum Handelsminister, und auch die Gesundheitsministerin, der die Umweltschutzagenden zustanden, wurde von diesen und jenen nachdenklich gemustert. Doch vermochten diese drei Ressortleiter, indem sie gemeinsam ihre Blicke fest auf das langsam fahl werdende Antlitz des Landwirtschaftsministers richteten, die allgemeine Aufmerksamkeit auf diesen unglücklichen Mann umzulenken. Der Verteidigungsminister, froh, einmal nicht als das schwarze Schaf des Kabinetts dazustehen3, sagte schließlich laut in die verhängnisvolle Stille hinein: »Schlußendlich ist ja wohl der Kollege von der Landwirtschaft zuständig. Wasser, net wahr – es fließt ja doch durch die Landschaft, im allgemeinen.«
Der Landwirtschaftsminister, nicht eben ein überaus schneller Denker (langsam senkt sich der Keim in die Erde, in Ruhe reift die Frucht, ehe Ernte gehalten wird!), suchte krampfhaft nach einer passenden Antwort, doch schnitt ihm der Kanzler das Wort sozusagen schon im Munde ab:
»Natürlich. Also, Herr Kollege, sei so gut und tu was, ja?«
»Aber was?« fragte hilflos der Minister. »Bitte, was?«
»Zum Kuckuck«, sagte der Kanzler, »bin ich Landwirtschaftsminister? Oder bist du es?«
»Aber ich … ich kann’s doch net regnen lassen, Himmelherrgott noch amal!«
Die Wissenschaftsministerin gackerte höhnisch, und der Verteidigungsminister sah aus wie ein Frankenstein-Monster, das sich ausnahmsweise wohlfühlt. Dann trat eine Pause ein.
»Erstens«, sagte nach dieser Pause der Kanzler, »wollen wir, bitte schön, die Formen wahren. Wir sind ja hier schließlich nicht im Kuhstall.«
Die Minister zogen die Köpfe ein, denn jetzt setzte der Kanzler, ein Meister des psychologischen Kleinkriegs, seine berühmte und gefürchtete Terrorwelle in Bewegung. Hilflos und leichenblaß starrte der Landwirtschaftsminister auf das Bild des jungen Kaisers Franz Joseph, der ihn über den Kanzler hinweg mit großer Güte anblickte.
»Zweitens ersuche ich dich höflich, lieber Freund«, fuhr der Kanzler fort, »uns spätestens am übernächsten Montag