Leana. Conny Lüscher

Leana - Conny Lüscher


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waren sehr groß und tiefblau.

      Ich werde den Doktor fragen, dachte sie und ihre Arbeit in der Tierarztpraxis und ihr normales Leben schienen auf einmal Lichtjahre entfernt.

      „Mu…muumusst k k keiiine Angst haben“, sagte Felix und tätschelte dem Tier wie zur Bestätigung den breiten Kopf. Es schloss erschöpft die Augen. Leana packte den Jungen und zog ihn herunter.

      „Oh Gott Felix!“, stöhnte sie. Mit einem Taschentuch versuchte sie das Blut aus seinem Gesicht zu wischen.

      „Niiiicht schliiiimm!“, beschwichtigte Felix, aber er hielt still.

      Nina rappelte sich mit einem angewiderten Blick auf den toten Vogel auf. Sie selbst sah nach diesem Kampf aus wie ein zerzauster schwarzer Federball. Sie blickte auf ihre Hände.

      „Scheiße“, brüllte sie, „fast alle meine Nägel sind abgebrochen!“ Anklagend streckte sie ihnen die Hände hin.

      Sie starrten sie fassungslos an.

      „Diese Kunstnägel haben ein Vermögen gekostet, wisst ihr das nicht? Mistvieh, elendes!“ Sie verpasste dem toten Vogel einen kräftigen Tritt.

      Felix und Leana brachen beide in Gelächter aus. Sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen. Nina blickte sie irritiert an, doch dann grinste sie.

      „Du hättest dich sehen sollen, wie du von hinten ausgesehen hast, als du auf deinen Stöckeln losgerast bist!“, kicherte Leana.

      „Wie eine Fu fu fufuuurie“, Felix hatte vor lauter lachen jetzt auch noch den Schluckauf.

      „Ha! Und du erst, du Zwerg! Hast dich wohl für unbesiegbar gehalten mit deinem lächerlichen Schulranzen!“, schrie Nina und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht.

      Hinter ihnen erklang ein seltsamer Ton. Es war ein leises, knurrendes Jammern. Sie verstummten und drehten sich um. Das Tier lag immer noch eingeklemmt zwischen den Felsen und blickte sie auffordernd an.

      „E eees ist eingeklemmt“, rief Felix und rannte los.

      „Warte doch du Idiot!“, schrie Nina. Sie lief hinterher. „Willst du gefressen werden?“

      Felix war schon bei dem Tier. Er lehnte sich mit dem Rücken an den großen Felsen und versuchte mit beiden Füßen den Brocken, der es gefangen hielt, zur Seite zu drücken. Er war zu schwer. Das Tier jaulte auf.

      „Geh mal zur Seite Junge.“ Alexander war wie ein Schatten zwischen ihnen aufgetaucht. Verblüfft starrten sie ihn an. Er war groß und kräftig. Er trug abgewetzte Kleider, seinen speckigen Rucksack hatte er achtlos neben den toten Vogel geworfen. Mit aller Kraft drückte er den großen Stein zur Seite und das Tier sprang mit einem Fauchen hervor. Es klang nicht sonderlich gefährlich, eher nach Erleichterung und ein wenig schmerzvoll. Alexander sprang vom Felsen und beobachtete hingerissen, wie es auf der Seite liegend seine zitternde Flanke leckte.

      „Ein Seidenwer“, murmelte er. „Die sind äußerst selten. Fast ausgestorben. Sie jagen sie wegen ihres wunderbaren Fells.“

      „Was?“, kiekste Nina.

      Sie war wie die anderen völlig perplex. Wo war dieser Kerl plötzlich hergekommen und was zum Teufel faselte er da?

      „Seidenwer, was soll das denn sein?!“

      Alexander sah sie lächelnd an. „Sie sind normalerweise sehr scheu und äußerst aggressiv, wenn man ihnen zu nahe kommt. Aber für euch scheint nichts unmöglich zu sein.“ Er betrachtete sie alle mit demselben faszinierten Blick wie das Tier zu seinen Füßen.

      „Hast du den Vogel getötet?“, fragte Leana.

      „Und wer bist du und was mich eigentlich noch mehr interessiert: Wo zum Kuckuck sind wir hier eigentlich?“ Nina fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und zerzauste sie noch mehr.

      Alexander sah sie an, als ob er eben aus einem Traum erwacht wäre. Sein Gesicht verdüsterte sich. Keine Zeit! Es blieb einfach keine Zeit! Er hörte in der Ferne schon das Geräusch des heranrasenden Wagens.

      „Ich kann euch jetzt nicht alles erklären, ihr müsst hier schnellstens weg. Ihr seid in Eden und …“

      „EDEN!“, schrie Nina. „Willst du mich verarschen? Wenn das der Garten Eden ist, dann will ich lieber in die Hölle!“

      „Nun lass ihn doch ausreden!“, beschwichtigte Leana.

      Alexander blickte sie an. Er versuchte seine Gedanken zu verbergen. Sie war so schön, so lebendig! Ihre rotblonden Locken glänzten sogar in diesem trüben Licht und ihre Augen waren grün! Er hatte noch niemals solch grüne Augen gesehen. Er räusperte sich.

      „Du wolltest es doch wissen? Unsere Welt heißt Eden. Ich weiß nicht, welche Bedeutung dieses Wort bei euch hat. Ich weiß nur, dass ihr irgendwie aus einer anderen Welt hierhergekommen seid und sie alle hinter euch her sind. Ihr müsst schnellstens verschwinden!“

      Felix sah ihn mit großen Augen an. „W w weeer sssuucht uns denn? Wir ha haaaben doch niiichts gemacht?“

      Man konnte sehen, dass er das für eine völlig abwegige Idee hielt.

      „Nein“, erwiderte Alexander, „ihr habt nichts getan. Aber ihr seid so voller Leben und und …“, er rang nach Worten. Wie sollte er ihnen in so kurzer Zeit begreiflich machen, was das hier bedeutete, „… und ich glaube, dass ihr besondere Kräfte besitzt. Für den Orden seid ihr wertvoller als alles, was es hier gibt.“

      „Wenn das nicht so idiotisch klingen würde, wäre ich jetzt äußerst geschmeichelt“, sagte Nina sarkastisch.

      „Ich weiß, ihr versteht das alles nicht, aber glaubt mir, ich will nur euer Leben retten. Hört zu. Auch die Ordensbrüder haben heute Nacht eure Ankunft gesehen. Sie sind schon ganz nah. Es gibt nur einen Ort, wo ihr euch in Sicherheit bringen könnt. Hier.“ Er zog eine zerfledderte Landkarte aus seinem Rucksack und breitete sie auf dem Boden aus.

      „Ihr lauft jetzt dort hinunter bis zum Fluss. Dem folgt ihr flussaufwärts bis zu dieser Stadt.“ Er tippte mit dem Finger auf die Karte. „Im Zentrum findet ihr das Haus der Alten und dort fragt nach Sina. Sie kommt, wie ihr, aus einer anderen Welt und ich glaube, sie kann sehen. Sie wird euch helfen. Aber ihr müsst sehr vorsichtig sein!“

      Panik schlich sich in seine Stimme.

      „Versteckt euch vor allen Menschen die ein graues Band um den Hals tragen, sie sind sehr gefährlich. Aber auch denen, die kein Band tragen, dürft ihr nicht trauen. Die meisten Menschen hier würden für sehr wenig sehr viel Grauenhaftes tun, um ihre eigene Haut zu retten.“

      Er sah sich unruhig um.

      „Ich kann sie hören, ihr müsst weg, schnell!“

      „Wie lange brauchen wir denn, bis wir diese Stadt erreicht haben?“ Leana hatte die Karte studiert. Es war unmöglich, die Entfernung abzuschätzen.

      „Vielleicht zwei bis drei Tage“, sagte Alexander.

      „DREI Tage!“, schrie Nina. „Das soll wohl ein Witz sein?!“

      Felix, der sich seit ihrer Ankunft tapfer gehalten hatte, schluchzte leise. Tränen schimmerten in seinen Augen.

      „I i ich muuuss do d doch zu Mama!“, wimmerte er, „s s siiiiie ma macht ssssiiich immer Soooorgen!“

      Alexander legte ihm tröstend eine Hand auf die schmale Schulter. Ein wunderbares warmes Gefühl durchströmte ihn und erfüllte ihn mit Kraft. Oh ja, sie hatten wirklich Macht. Der Vater würde alles tun, um diese jungen Menschen in seine Gewalt zu bekommen.

      „Und wenn wir zu der Stelle zurückgehen, wo wir aufgewacht sind? Vielleicht … ach ich weiß doch auch nicht?“ Leana sah Alexander bekümmert an.

      „Nein, das wird euch nichts nützen. Ihr müsst Sina finden, sie ist die Einzige, die die Wege zwischen den Welten kennt!“ Er griff in seinen Rucksack und drückte ihr energisch eine zerbeulte Schachtel in die Hand. Kekse!

      „Das


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