Ein Thron aus Knochen und Schatten. Laura Labas

Ein Thron aus Knochen und Schatten - Laura Labas


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      »Lass uns erst etwas Distanz schaffen, bevor wir wieder angegriffen werden«, schlug ich vor. Nickend stimmte er mir zu und steckte den Brief ein, damit wir die Halle gemeinsam verlassen konnten.

      Draußen regnete es nach wie vor, aber es störte mich weniger, da wir die erste Aufgabe vor den anderen erledigt hatten. Euphorie mischte sich mit Adrenalin.

      Wir beschlossen, uns wieder auf eines der Dächer zurückzuziehen, von dem aus wir den Eingang zur Halle im Auge behalten konnten. Sobald wir uns sicher waren, nicht sofort entdeckt werden zu können, steckten wir die Köpfe zusammen und lasen den Inhalt des Briefs.

      Über Wasser Laufend

      »Das ist jetzt wohl etwas einfacher«, grinste Hadley und packte den Brief wieder in die Innentasche seines Mantels.

      »Ach ja?«

      »Komm schon, Aly, wir haben nur einen Fluss in Ascia und es gibt nur eine Brücke, die wichtig genug ist. Wo läuft man sonst über Wasser?«

      »Ich glaube, was das Rätselraten angeht, bist du eindeutig besser als ich.«

      Eine Bewegung vor dem Halleneingang lenkte mich ab. Anscheinend hatten Phi und Ian gegen die Dämonen gesiegt, denn sie schlichen zurück in die Nacht. Würden wir erneut den gleichen Ort aufsuchen oder bekamen sie eine andere Anweisung?

      Ohne weitere Zeit zu verschwenden, machten wir uns auf den Weg zur größten Brücke in Ascia. Immer auf der Hut vor dem gegnerischen Team, das sich gar nicht so weit von uns entfernt befinden konnte. Vorausgesetzt, sie hatten dasselbe Ziel bekommen wie wir.

      Um die Brücke, die sich über den kleinen Fore River spannte, zu erreichen, mussten wir zurück auf den Boden. Ein paar Passanten schlenderten an uns vorbei, warfen uns argwöhnische Blicke zu, verschwanden aber wieder um die nächste Ecke.

      Eine Hand um meinen Dolch gelegt und meine Muskeln vollkommen angespannt näherte ich mich von links. Der Regen hatte den Fluss anschwellen lassen, der laut neben uns toste. Die Strömung war stark, aber nicht lebensgefährlich. Zumindest wirkte sie von Weitem so und für jeden, der schwimmen konnte, sollte es kein Problem sein, sich daraus zu befreien. Also für jeden außer mir.

      »Siehst du was Verdächtiges?«, fragte ich Hadley über das Rauschen hinweg. Er schlich neben mir her und wirkte genauso auf der Hut wie ich, als wir uns langsam dem Beginn der steinernen Brücke näherten. Sie war rund sechs Meter breit und zwanzig Meter lang. Das Licht der Gaslampen an den Brückenenden reichte nicht mehr bis zur Mitte, sodass wir uns persönlich davon überzeugen mussten, dass sich dort nichts von Wert befand.

      »Nichts«, murmelte der Jäger, der ebenfalls seine Waffe gezogen hatte. Der Dolch hatte eine etwas längere und breitere Klinge als mein Waidblatt und wirkte dadurch fast schon wie ein Kurzschwert. Die Art, die Noah gerne benutzte. Das Heft war schwarz und schmucklos.

      Blinzelnd gingen wir weiter und ließen unsere Augen sich an die neue Dunkelheit gewöhnen.

      Dann entließen wir gleichzeitig ein Geräusch der Überraschung. In der Mitte waren wieder zwei Punkte und auch zwei Briefumschläge zu sehen. Ich griff nach dem unter dem roten Punkt und betete, dass der Inhalt trotz der Nässe zu lesen wäre. Ich las die verschwommenen Wörter:

      Im Tempel des Erzdämons

      Grinsend sahen wir uns an, da wir beide wussten, dass der Tempel des Aeshma höchstwahrscheinlich das letzte Ziel sein würde und so wie es aussah, würden wir die Ersten dort sein. Doch dann wurden wir gleich von vier Schattendämonen überrascht, die sich uns von beiden Seiten näherten, aber nicht angriffen. Stattdessen bewarfen sie uns mit einem dicken, schweren Fischernetz, während ich noch überlegte, wen ich als Erstes mit meinem Waidblatt attackieren sollte. Hadley und ich konnten das Netz nicht abwehren. Je mehr wir zappelten, desto stärker verhedderten wir uns. Als ob das noch nicht schlimm genug wäre, packte man uns und warf uns über die Brücke ins eiskalte, stürmische Gewässer.

       Das war’s dann wohl.

      Kapitel Zehn

      Als mich das Wasser umhüllte, war ich davon überzeugt zu sterben. Selbst wenn ich schwimmen könnte, das Netz drückte mich nieder, während Hadley den Platz ausfüllte, der mir möglicherweise zum Manövrieren geblieben wäre.

      Wäre ich nicht so angsterfüllt gewesen, hätte ich sämtliche Flüche in Richtung der Schattendämonen ausgestoßen. Wie konnten sie so mit unseren Leben spielen?

      Kurzzeitig befand ich mich mit dem Gesicht über der Oberfläche, sodass ich einmal tief Luft holen konnte, bevor ich wieder unter Wasser gezogen wurde.

      Wie durch ein Wunder hatte ich mein Waidblatt auch noch nach dem Aufprall festgehalten, versuchte aber jetzt, da ich für den Moment immerhin nicht ertrinken würde, Hadley damit nicht aus Versehen zu verletzen. Prustend kam ich für einen weiteren Augenblick an die Oberfläche, ehe ich wieder heruntergerissen wurde. Es gab keine Zeit, mich mit Hadley abzustimmen und einen Plan zu schmieden. Es war ein Spiel auf Leben und Tod. Also verließ ich mich ganz auf meine Instinkte.

      Zwischen den Intervallen, in denen ich Luft holen konnte und in denen ich unter Wasser war, schnitt ich durch die festen Seile. Panik saß mir im Nacken. Ich konnte nicht schwimmen, wodurch ich immer seltener an die Oberfläche kam und die Luft immer knapper wurde. Wenn wir hier nicht bald herauskämen, wäre es das mit uns gewesen …

      Hadley versuchte zwar auch durch das feste Netz zu schneiden, allerdings verlor er andauernd eines seiner Messer, von denen er scheinbar einen endlosen Vorrat besaß. Trotzdem schaffte er es als Erster, ein Loch in das Netz zu schneiden, durch das er mich zog, bevor das Seil sich wieder um mich schließen und mich auf den Grund ziehen konnte. Hadley übernahm die Führung und ließ zu, dass ich mich an seinen Schultern festhielt, ehe er mir an die Oberfläche half.

      Unsere Zusammenarbeit brachte uns schließlich ans Ufer am anderen Ende der Stadt. Der Regen prasselte weiter auf uns ein, aber da wir ohnehin klitschnass waren, machte es keinen Unterschied mehr.

      Wir erlaubten uns ein paar Minuten, um zu Atem zu kommen und zu realisieren, dass wir diesen wahnsinnigen Test tatsächlich überlebt hatten. Nicht nur bestanden, nein, überlebt!

      »Sie sind verrückt«, spuckte ich zitternd aus. Ich konnte nicht glauben, dass sie derart mit unseren Leben gespielt hatten.

      »Es ist nicht umsonst ein Test«, erinnerte mich Hadley milde lächelnd, aber auch in seinem Gesicht erkannte ich die Erleichterung darüber, dass wir es geschafft hatten.

      »Bist du bereit?«, fragte ich ihn, mich noch immer an meinen Oberschenkeln aufstützend.

      »Wir müssen den ganzen Weg zurücksprinten, um noch eine minimale Chance zu haben«, sprach er meine Gedanken aus. »Vorausgesetzt, die anderen wurden nicht auch ins Wasser geworfen.«

      »Irgendwie glaube ich, dass ihre Aufgabe eine andere ist. Noah weiß, dass ich nicht schwimmen kann. Er wird auch die Schwächen der anderen ausnutzen«, überlegte ich laut, bevor ich mich wieder auf unsere Situation konzentrierte. »Bereit?«

      Er nickte.

      Ich nickte.

      Wir rannten los, als wäre uns der Teufel höchstpersönlich auf den Fersen, und ließen uns von nichts und niemandem aufhalten. Besonders als wir das Stadtzentrum erreichten, wurden wir von mehreren Dämonen und Menschen schief angeguckt, doch da sie sich nicht allzu lange bei dem Wetter draußen aufhalten wollten, versperrten sie uns nicht den Weg. Weder um uns zu fragen, was wir vorhatten, noch um uns zu ärgern, einfach weil es in der Natur von Dämonen lag.

      Als wir den südlichen Teil erreicht hatten, war ich so erschöpft wie bei meinem ersten richtigen Trainingstag im Camp. Erst hatte mich Gareth an die Grenzen meiner Erschöpfung gebracht und dann hatte ich noch mit den anderen trainieren müssen. Heute war ich dankbar, dass er mich so hart vorangetrieben hatte. Ohne ihn würde es mir wie Hadley ergehen, der sich


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