SNOW BONE. Guido Grandt

SNOW BONE - Guido Grandt


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erste Monster, mit dem du das Publikum erschrecken musst,

      bist du selbst.«

      

       Wes Craven (US-amerikanischer Filmregisseur, Drehbuchautor, Produzent)

      »Die größte Angst ist die Angst vor der Angst.«

       Volksmund

      TEIL 1: FLASHBACKS

       The hotel is ours!

      Sein Schädel war kurz vorm Zerbersten, so als bestünde er aus klirrendem Eis. Finsteres, grausiges Kreischen aus halb verdorrten Kehlen hallte durch jede seiner Gehirnwindungen. Die Augen dampften, als wären sie von einem glühenden Schürhaken verbrannt worden. In seine Nasenlöcher krochen lange, dunkle Schatten wie Leichenwürmer, deren dünne, fast durchsichtige Hautmuskelschläuche unabhängige Bewegungen vollführten. Der Mund war ausgetrocknet und schien voller Sand. Aus dem Magen stieg faulig süßer Gestank von verwesendem Fleisch auf. Es kam ihm so vor, als würden seine Eingeweide nur noch aus erhitztem Wachs bestehen, das langsam zerfloss. Sein ganzer Körper war ein einziges, tiefes, dunkles Grab.

      Jesus Maria, bitte nicht …

      Doch hier gab es keinen Platz mehr für ein Bittgebet, denn niemand würde ihn erhören.

      Hier an diesem verfluchten Ort waren Gott, sein Sohn und alle anderen Heiligen tot!

      TOT!

      T O T!

      Um sich innerlich gegen das unsägliche Grauen zu stählen, das ihn unweigerlich erwartete, biss er die Zähne so fest zusammen, dass sie wie ungeölte Türangeln knirschten. Solange, bis sie schließlich aus dem blutig roten Zahnfleisch herausbrachen, als wären sie faulendes Korn in zerfallenden Hülsen.

      Irgendwo aus der Finsternis, tiefer und schwärzer als das All, drang noch immer dieses entsetzliche Stöhnen, gefolgt von einem irren Lachen, das ihm einen Schauder unsäglichen Schreckens über den Rücken jagte.

      Inmitten des schreienden Bewusstseins und des fiebernden Stumpfsinns tauchten jetzt die monströsen Missgestalten auf und näherten sich ihm mit seltsam grotesken Bewegungen.

      Langsam … aber stetig … Meter für Meter. Solange, bis sie direkt vor ihm standen und ihn mit ihren verkrüppelten Gliedmaßen berührten.

      Urplötzlich, als würden tausend Sonnen auf einmal explodieren, bohrte sich die grausame Erkenntnis tief in sein Gehirn. Jenseits aller menschlichen Begriffe und viel zu grässlich für einen gesunden Verstand. So unfassbar, dass ihm die Klauen des nackten Wahnsinns jeden weiteren Gedanken einzeln aus dem Hirn rissen …

      1-1

      Es war nicht so, dass die bekannte Welt von einem Moment zum anderen aus den Fugen geriet. Es fing eigentlich alles ganz harmlos an …

      Die Sierra Nevada, der längste und höchste Gebirgszug in den Vereinigten Staaten, erstreckte sich sechshundertfünfzig Kilometer parallel zur Pazifikküste. Genauer gesagt vom Fredonyer Pass im Norden bis zu den Tehachapi Mountains im Süden. Das Hochgebirge bildete außerdem die Grenze zwischen Kalifornien und Nevada. Sein höchster Punkt war der Mount Whitney im südlichen Teil, dessen Gipfel über viertausendvierhundert Meter in den Himmel ragte. Während im Westen die Berggruppe sanft anstieg, fiel sie im Osten mit einem der steilsten Felsabbrüche zum Great Basin, dem Großen Becken ab. Außerdem bildete die Sierra Nevada eine gewaltige Wetterscheide, die den vom Pazifik kommenden Winden nahezu sämtliche Feuchtigkeit nahm. Aus diesem Grund war das Wetter hier auch von extremen Unterschieden bestimmt. Es reichte vom Wüstenklima wie im Death Valley bis zur arktischen Witterung auf den Berggipfeln.

      An diesem schicksalhaften Januartag war der perlgraue Himmel dicht mit schwangeren Wolken verhangen. Nur ab und zu blitzte durch die spärlichen Lücken eine blasse Sonne hindurch. Ein eisiger Wind fuhr durch die Wipfel der kegelförmigen Tannen und der weit ausladenden Kiefern und seufzte sein Lied von der Einsamkeit in den Zweigen. Die Reinheit der beißenden Kälte war nahezu berauschend.

      Die menschlichen Eindringlinge waren es, die diese Urwüchsigkeit der Wildnis störten und ihre Bewohner aufschreckten. Gedrungene Pfeifhasen versteckten sich irgendwo in den Geröllhalden, während sich die scheuen Rotluchse im Dickicht verkrochen. Flinke Belding-Ziesel huschten die von Eis und Schnee bedeckten Baumstämme hoch, und über ihnen hüpften mausgraue Kiefernhäher aufgeregt von Ast zu Ast.

      Bei den Störenfrieden, die in diese atemberaubende Natur eindrangen, handelte es sich um fünf Wanderer. Zwei Männer und drei Frauen. Mit langen Skistöcken stapften sie lautstark durch den Schnee, der allmählich immer tiefer wurde. Immer weiter mussten sie die Knie hochziehen, um zwischen dem dichten Bergwald voranzukommen. Aufgrund des zusätzlichen Gewichts durch die Trekkingrucksäcke auf ihren Rücken wurde dies jedoch zunehmend schwerer und anstrengender und ihre Bewegungen langsamer und zäher. Fast so, als kämpften sie sich vergebens in einem Sumpf vorwärts, nur, dass dieser Morast aus Schnee und Eis bestand.

      Die Gesichter unter den Kapuzen der dick gefütterten Parkas waren von der Kälte und den Strapazen gerötet. Atemwolken standen vor ihren verzerrten Lippen, als stießen sie hektisch tief eingezogenen Zigarettenqualm aus.

      Die alten Jagdwege waren kaum mehr als schneebedeckte, schwer begehbare Pässe. Die wenigen Saumpfade, die die Holzfäller benutzten, die ohnehin nicht weit und manchmal sogar im Kreis führten, waren ebenfalls zugeschneit.

      Je höher und näher die Wanderer der Baumgrenze kamen, umso spärlicher wurde die Vegetation. Die Tannen und Kiefern sahen immer verkrüppelter und kleiner aus und waren nicht mehr sehr viel höher als fünfzig Zentimeter. Wären da nicht die majestätischen Berge gewesen, die sich ringsherum erhoben, hätte man denken können, die Welt sei zu einem Mikrokosmos zusammengeschrumpft.

      Immer weiter trieb der steife Wind eine breite und dunkle Schlechtwetterfront an die hoch aufragenden Gipfel heran, bis die schwachen Sonnenstrahlen schließlich vollends erstarben. Die geschlossene Wolkendecke, die nun bleiern am Firmament hing, war mehr als beunruhigend.

      Ned Harlan, der Vorderste der kleinen Gruppe, blieb jetzt unvermittelt stehen und richtete seinen Blick gen Himmel.

      »Sieht nach noch mehr Schnee aus«, stellte er schwer atmend und beunruhigt fest.

      Die übrigen Wanderer, Neds Verlobte Laura Kelly, Tobey Arness und seine Freundin Veronica Cassavates sowie die alleinstehende Britt Eklund, scharten sich nervös um ihn. Auch sie sahen besorgt zu der bedrohlich wirkende Wolkenwand hinauf.

      »Nicht mal ohne Neuschnee werden wir es bis zum Parkplatz schaffen, bevor es dunkel wird.« Tobey, der mit seiner Körpergröße von über zwei Metern die anderen weit überragte, sprach jetzt das aus, was insgeheim alle dachten. »Noch dazu haben wir keine Ahnung, wohin der Weg führt, dem wir nun schon seit Stunden folgen«.

      Damit hatte er ebenfalls recht. Vor zwei Tagen und bei strahlendem Sonnenschein hatten die fünf Freunde ihre Fahrzeuge – Tobeys antiken, neu aufgemotzten 1980 Chevrolet Camaro Z28 und Neds Cadillac ATS Limousine – tief unten im Tal abgestellt. Britts Ford Mustang stand in der heimischen Garage, weil sie mit Tobey und Veronica mitgefahren war.

      Vom Parkplatz aus waren sie zu Fuß aufgebrochen, um dem dreitägigen Rundwanderweg zu folgen, der sie in eine Höhe von über dreitausend Metern hinaufführen würde. Die ersten beiden Nächte hatten sie in Schutzhütten verbracht. Eine dritte Übernachtung in der Wildnis war allerdings nicht geplant, weil sie noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück im Tal sein wollten. Doch dann hatten sie die Orientierung verloren. Genauer gesagt, hatten sie ein vollkommen verschneites Schild des ausgewiesenen Wanderwegs übersehen. Deshalb folgten sie nun einem anderen Pfad, ohne zu wissen, wohin dieser eigentlich führte.

      Laura Kelly griff in die Tasche ihrer Winterjacke und holte ihr Smartphone heraus, nur um kurz darauf festzustellen, dass es hier oben gar kein Funknetz und damit auch keinen Empfang gab. Mit einem tiefen Seufzer


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