SNOW BONE. Guido Grandt

SNOW BONE - Guido Grandt


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und fast am Ende ihrer Kräfte folgten die fünf Menschen dem zugeschneiten Weg die kleine Anhöhe hinauf. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, sodass sie aufgrund der Dunkelheit und des dichten Schneefalls kaum noch etwas sehen konnten. Wie Blinde, vorsichtig nach einem sicheren Untergrund tastend, setzten sie einen Schritt vor den anderen.

      Vom Heulen und Tosen der Elemente begleitet, schälte sich schließlich irgendwann der riesige, lang gestreckte und rechtwinklige Umriss des Hotels aus dem gespenstischen Zwielicht heraus. Wie eine Trotzburg ragte das vierstöckige Gebäude im Neokolonialstil mit den beiden turmartigen Seitenflügeln, dem schrägen Schindeldach und der breiten Fensterfront aus dem finsteren Bergwald vor ihnen auf.

      Schlagartig senkte sich eine unnatürliche Stille über die Ankömmlinge. Weder das Heulen des Sturmwindes noch das Rascheln der zerzausten Baumwipfel oder das Knirschen des Schnees unter ihren Schuhsohlen war zu hören. Es schien beinahe so, als hätte die Welt jäh ihren Atem angehalten.

      Von den mächtigen Mauern, die die Menschen wie Zwerge wirken ließen, ging eine düstere, alles beherrschende Macht aus, einem Gifthauch gleich.

      Das jedenfalls glaubte Britt Eklund zu spüren, die von den fünf Freunden am emphatischsten war. Beim ersten Anblick des Snow Hill, der sie wie einen Schlag in die Magengrube traf, vermischten sich in ihrem Denken Empfindungen, Ängste und Visionen. Sie war auf einmal fest davon überzeugt, dass die kathedralenartigen Fenster mit einem geradezu irren Blick auf sie herabstarrten, während dahinter seltsam groteske Schatten wie auf einem Hexensabbat tanzten, so als buhlten sie um die Gunst des Teufels. Die verschlungenen Korridore hinter der säulenbewehrten Fassade schienen langen, steinernen Schlünden zu gleichen, bereit alles Lebende zu verzehren. Sämtliche Maschinen und Geräte in den einzelnen Räumen pochten und summten so unregelmäßig wie der Herzschlag eines Sterbenden. Etwas Finsteres, unaussprechlich Scheußliches, Abstoßendes, Groteskes und Fremdes, lag hinter diesen Mauern.

      Hinter diesen toten Mauern, vor denen die Menschen fast zwergenhaft erschienen. Etwas Unheimliches und Düsteres, geboren aus den Abgründen zwischen den Welten, deren eisige Ströme Britt Eklund bis ins Mark erschaudern ließen. Auf ihrem Rücken unter dem Schneeparka breitete sich eine Gänsehaut aus und ihre Nackenhaare richteten sich auf.

      Dieses Hotel ist in Wirklichkeit eine Leichenhalle!

      Britt wusste nicht, wie es ihren Freunden gerade erging, ob sie ähnlich dachten oder empfanden wie sie. Vielleicht bildete sie sich das alles ja auch nur ein, genarrt von unheilvollen Ängsten und Spukbildern, die sie seit ihrer Kindheit unregelmäßig heimsuchten.

      Wie dem auch sei, ihnen blieb so oder so nichts anderes übrig, als im Snow Hill Hotel Schutz vor der eisigen Nacht und dem wütenden Schneesturm zu suchen.

      Ein lautes Klopfen riss die Schauspielerin aus ihren düsteren Gedanken. Wie verrückt hämmerte Tobey gegen die doppelte und vielfach verstärkte aus Ornamentglas bestehende Eingangstür, die einem großen Tor ähnelte, um drinnen gehört zu werden. Vorausgesetzt, es gab überhaupt jemanden, der darauf aufmerksam werden konnte, weil das Hotel nämlich seltsam verlassen aussah.

      Mit dem Mut der Verzweiflung hämmerte nun auch Ned mit seinen Handschuhen gegen die Pforte.

      Es klingt so, als würde man freiwillig um Einlass in die Hölle bitten!, schoss es Britt jäh durch den Kopf.

      Poch, poch, poch.

      Die drei Frauen traten nun ebenfalls an die Tür heran und hoben ihre eisigkalten, behandschuhten Hände.

      POCH, POCH, POCH.

      Dann endlich öffnete sich die schwere Tür einen schmalen Spalt breit. Gerade so weit, als würde das Snow Hill Hotel seinen geifernden Schlund aufreißen, um jeden einzelnen der Neuankömmlinge zu verschlingen.

      1-2

      Caleb Philbin war ein attraktiver, schlanker, fast drahtiger Mann Mitte vierzig. Das Auffälligste in seinem Dreitagebart-Gesicht mit der schmalen Nase, dem perfekt geschnittenen Mund und dem kantigen Kinn, waren die stechend blauen Augen. Diese kontrastierten extrem mit dem kurzen, pechschwarzen Haar, in dem sich bereits einzelne silberne Strähnen befanden. Hätte er anstatt eines karierten Baumwollhemdes und einer Latzhose, deren verstellbare Träger über den Schultern verliefen, einen noblen Anzug getragen, hätte man ihn allein wegen seiner Erscheinung und Ausstrahlung für den Empfangschef des Hotels halten können.

      Tatsächlich aber war Caleb Philbin lediglich der Facility Manager, oder anders ausgedrückt, der Hausmeister, der zusammen mit seiner Frau Hillary in einem eigenen Quartier im Personal- und Verwaltungstrakt wohnte. Während der Wintermonate, in denen das Snow Hill Hotel vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten war, musste er das Gebäude in Gang halten. Von November bis zur neuen Saison, die Anfang Mai begann, war das Hotel für Gäste geschlossen. Aufgrund der Lage in über dreitausend Metern Höhe war es nämlich erst dann wieder möglich, das Berg-Resort mit dem Auto anzufahren.

      Das alles hatte Philbin den halb erfrorenen, vollkommen erschöpften und unerwarteten Gästen erzählt, nachdem er sie eingelassen hatte. Es war unmöglich, dass sie bei diesem Schneesturm zu ihren Fahrzeugen ins Tal hinab kommen würden. Deshalb gebot ihm seine humanitäre Hilfspflicht, die Schutzsuchenden so lange zu beherbergen, bis genau das wieder möglich war.

      Ohne zu zögern, händigte er ihnen deshalb gerade verschiedene Schlüsselkarten aus. Jeweils ein Doppelzimmer für Ned Harlan und Laura Kelly sowie für Tobey Arness und Veronica Cassavates. Die alleinstehende Britt Eklund bekam ein Einzelzimmer. Alle drei Räume lagen direkt nebeneinander in der ersten Etage.

      Nach einer heißen Dusche und in trockenen Kleidern, die die Bergwanderer in ihren Rucksäcken mitgeführt hatten, führte Caleb Philbin sie durch das Hotel, damit sie sich einigermaßen orientieren konnten, solange sie notgedrungen hier ausharren mussten.

      Sobald Besucher das Hotel durch die vordere Haupttür betraten, standen sie in der eindrucksvollen und quadratisch angelegten Lobby. Links vom Eingang gab es eine kleine Einkaufspassage, die aus exklusiven Läden bestand, die jetzt natürlich allesamt geschlossenen waren: Tiffany, Louis Vuitton, Swarovski und Prada. Auf der anderen Seite der Passage war der Bereich für die Portiers.

      Auffällig im Foyer war die wellenförmig verlaufende Lichtwand, deren strahlendes digitales Design Muster aus Kreisen und abstrakt pulsierenden Lichtwolken bildete. Etwas so Modernes und Surreales hätte man, zumindest der klassischen Außenfassade nach, hier drinnen nicht erwartet.

      Nicht ohne Stolz verriet der Hausmeister, dass die jeweiligen Programme je nach Tages- oder Jahreszeit geändert wurden und somit eine festliche und feierliche Stimmung erzeugt werden konnte. Nachdem er dieses Meisterwerk aus Design und Technik kurz vorgeführt hatte, schaltete er die Lichtwand allerdings wieder aus.

      Auf derselben Seite befand sich auch eine gut bestückte Bar in modernem Dekor. Davor gab es eine mondäne Lounge mit einem Kamin, in dem jetzt Holzscheite brannten, die im näheren Umkreis eine wohlige Wärme verbreiteten. Hier konnten sich die Hotelgäste zwanglos aufhalten. Die Loungesofas, Bänke, Clubsessel, Hocker und Sitzwürfel waren im traditionellen englischen Stil gehalten, schwarzes, robustes Leder mit Knöpfen- und Nietenverzierungen sowie große Sitzflächen mit hochwertiger Polsterung. Dazwischen standen niedrige Tische, deren Platten aus Melaminharz bestanden. Überall an den hohen Decken hingen gigantische LED-Kronleuchter in Tropfenform aus Kristall und poliertem Stahl. Die weichen, kurzflorigen Barockteppichböden mit den dezenten Blätterrankenmustern schufen augenblicklich eine heimische Atmosphäre.

      Das gesamte Ambiente der Lobby war ein gelungener Mix aus konservativ, gediegen und modern.

      Linkerhand der Eingangshalle befanden sich die Besuchertoiletten, der Informationsschalter, der Koffer- und Gepäckraum samt den Garderoben, den Aufzügen und der breiten Treppe, die hinauf zu den Zimmern führte. Von dort aus führte dann ein Korridor zum Fitnessraum, der Sauna und dem Schwimmbad. Sogar eine kleine Privatkapelle schloss sich daran an, was für ein Hotel höchst ungewöhnlich war. Doch darüber schwieg sich Caleb aus und auch kein anderer fragte nach.

      Rechterhand lag


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