SNOW BONE. Guido Grandt

SNOW BONE - Guido Grandt


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Es ist doch kalt genug da draußen, da brauchen Sie doch gar kein Kühlhaus.« Laura redete so schnell, als müsste sie auf der Arbeit ihrem Boss ein wichtiges Telefonat mit einem Kunden wiedergeben. Ganz nach dem Motto time is money.

      »Sie haben recht. Das wäre natürlich eine Lösung.« Calebs finsterer Blick verriet jedoch etwas ganz anderes. »Aber da wir im November die Vorräte zuerst aus dem Neben- und nicht aus dem Hauptkühlraum genommen haben, fiel uns zunächst gar nicht auf, dass dieser defekt war. Deshalb sind sämtliche eingefrorene Lebensmittel dort aufgetaut und verdorben.«

      »Dann gibt’s halt nur Zwieback und Wasser«, meinte Ned sarkastisch.

      Bevor ihm jemand über den Mund fahren konnte, sagte Caleb: »Tatsächlich haben wir Toast, Zwieback, Knäckebrot, Cornflakes, Haferflocken, Nudeln und Reis, Gemüse in Dosen, Dauerwurst, Trockenmilch, Öl, Eier und Kartoffeln bevorratet. Genauso wie Mineralwasser und verschiedene Säfte, ganz abgesehen von alkoholischen Getränken. Auch eine geringe Menge an eingefrorenem Fleisch und Fisch, der im gekühlten Vorratsraum lagert. Aber das alles reicht – ich wiederhole mich – lediglich für zwei Personen bis zum Frühjahr.«

      »Und jetzt kommen auf einmal noch fünf weitere Mitesser dazu, mit denen Sie nicht rechnen konnten«, stellte Britt mit dunkler Vorahnung in der Stimme fest. »Dann können wir nur beten, dass der Schneesturm bald vorüber ist, denn ansonsten würden wir verhungern.«

      Tobey räusperte sich. »Du hast vergessen, was Caleb vorhin gesagt hat. Selbst, wenn sich das Wetter bessert, ist es fast unmöglich, wieder ins Tal hinunter zu kommen. Weder zu Fuß noch mit einem Wagen oder Schneemobil und schon gar nicht mit einem Hubschrauber. Wir sitzen hier oben jetzt offenbar fest wie in einer Mausefalle.« Der schlaksige Mann konnte sich ein grimmiges Lächeln nicht verkneifen. Es lag einfach in seinem Naturell, Problemen mit Humor zu begegnen, auch wenn es an dieser Stelle so deplatziert war, wie ein Rülpser in einem Beichtstuhl.

      »Willst du damit etwa ernsthaft behaupten, dass wir hier jetzt wochenlang ohne ausreichende Vorräte eingesperrt sind?«, empörte sich Ned. »So was gab es nicht mal in Shining

      Hillary erhob sich so abrupt, dass der Stuhl mit der hohen Lehne hinter ihr beinahe auf den Boden kippte, hätte Caleb ihn nicht vorher aufgefangen. Mit hektischen Bewegungen und hochrotem Gesicht räumte sie die leeren Teller, Schüsseln und Schalen auf den Rollwagen und fuhr ihn dann wortlos und mit verkniffenem Gesichtsausdruck aus dem Speisesaal.

      Auch Caleb war wütend. Auf seiner Stirn pochte eine Zornesader. Der Bankangestellte dachte offenbar wirklich nur an sich und sein Essen. Die anderen waren ihm anscheinend vollkommen gleichgültig.

      Für einen Moment war Caleb versucht, dem Dicken klarzumachen, wer hier das Hausrecht hatte und dass er ihn jederzeit wieder an die Luft setzen konnte, wenn er wollte, doch er hielt sich zurück.

      »Dann sollten wir schleunigst anfangen, den Proviant einzuteilen«, schlug Tobey so gut gelaunt vor, als würden sie zusammen bei einem gemütlichen, unbeschwerten Barbecue sitzen. Er, der ewige Student, war in seinem Leben noch nie vor größere Schwierigkeiten gestellt worden, außer jenen, zuerst das Jura- und dann auch noch das Betriebswirtschaftsstudium zu schmeißen, um sich danach in Literatur zu versuchen.

      »Zwei Drittel für mich, ein Drittel für den Rest des Teams!« Harlan lachte über seinen eigenen Witz, als hätte er den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen. Gleichzeitig schien er den steigenden Unmut des Hausmeisters zu ignorieren. Trotz dessen Gastfreundschaft, die ihm, seiner Verlobten und den anderen drei Freunden das Leben gerettet hatte.

      Nun war es Caleb, der sich von seinem Platz erhob. Langsam und bedächtig, wie ein Prediger im Todestrakt eines Gefängnisses. Fast verächtlich blickten seine stechend blauen Augen auf Harlan herunter.

      »Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass Sie mich oder meine Frau absichtlich provozieren wollen. Oder irre ich mich da?«

      Offensichtlich war der Dicke mit dieser direkten Ansprache überfordert. Unsicher kratzte er sich an seinem Doppelkinn, sah in die Runde und dann wieder auf den Hausmeister.

      »Nun ja, Philbin. Sie sollten nicht immer alles auf die sprichwörtliche Goldwaage legen. Vielleicht hat Sie die Einsamkeit in diesen verfluchten Bergen ja etwas übersensibel gemacht …«

      Calebs geballte Faust krachte so unvermittelt und hart auf die Tischplatte, dass die Gläser klirrten. Wie unter einem Peitschenschlag zuckten die anderen zusammen.

      »Sie hören mir jetzt mal genau zu, Harlan«, sagte er kalt. Aus seiner Stimme war nun jede Freundlichkeit gewichen. »Entweder Sie reißen sich zusammen oder …«

      »Oder was?«, fragte der Bankangestellte schnippisch, der sich jetzt mühsam in die Höhe stemmte. Mit dem feisten Gesicht, in dem sich aufkommende Wut spiegelte, sah er fast lächerlich aus. Da er einen ganzen Kopf kleiner war als sein Gegenüber, musste er sogar zu ihm aufschauen.

      »… oder Sie fliegen schneller wieder hier raus, als Sie reingekommen sind!«, kündigte Caleb an. »Kapieren Sie das?«

      »Hohoho, ein einfacher Hausmeister will einem hoch qualifizierten Finanzdienstleister drohen! Soweit sind wir also schon. Mit Ihren Minderwertigkeitskomplexen sollten Sie mal lieber schnell einen Psycho-Doc aufsuchen, mein Lieber.«

      Das plötzlich einsetzende Schweigen hing jetzt wie ein Damoklesschwert über dem Tisch. Abgesehen von den Graupelschauern, die unablässig gegen die Fenster trommelten, war nur noch das Ticken der goldverzierten Uhr auf der Besteckkommode im Hintergrund zu hören.

      In den folgenden Sekunden, die sich dem Empfinden nach wie Stunden hinzogen, waren sich alle, selbst Ned sicher, dass Philbin ausrasten würde.

      Fünf Augenpaare klebten wie nasse, ausgespuckte Kaugummis an seiner großen, drahtigen Gestalt.

      Doch Caleb reagierte vollkommen anders als erwartet. Die geballten Fäuste entkrampften sich und ein flüchtiges Lächeln stahl sich in sein markantes Gesicht.

      »Ich bin mir sicher, dass wir noch richtig Spaß miteinander haben werden, Harlan.«

      Mit diesen Worten wandte sich der Hausmeister vom Tisch ab und verließ mit großen Schritten den Speisesaal. An seinen Schläfen pochte es. Mühsam schluckte er die Wut hinunter. Mit diesem aufgeblasenen Finanzaffen würde er sich später beschäftigen. Jetzt hatte er, besser gesagt, hatten sie, ein viel größeres Problem, das jegliche persönlichen Empfindlichkeiten in den Hintergrund drängte.

      Als er die halb erfrorenen Bergwanderer ins Snow Hill Hotel gelassen hatte, hatte die angeborene Hilfsbereitschaft den inneren Zweifeln überwogen. In diesen Sekunden hatte er sich keine Gedanken über die Konsequenzen seines Handelns gemacht. Doch angesichts der bitteren und unumstößlichen Tatsache, dass mit dem schon für Hillary und ihn begrenzten Proviant nun sieben Mäuler zu stopfen waren, sah das Ganze schon anders aus.

      Tobey Arness hatte recht. Er musste sofort damit anfangen, eine genaue Bestandsaufnahme des Nahrungsmittelvorrats zu machen, um diesen für die nächsten Tage, vielleicht sogar für Wochen, einzuteilen.

       Der Himmel steh uns bei!

      Als Caleb die Treppe ins Untergeschoss zu den Kühlräumen nahm, tobte draußen der Sturm heftiger als zuvor und trieb immer neuen Schnee aus Nordwest heran. Irgendwie klang das stetige Heulen des Windes, der das Hotel zum Knarren, Ächzen und Seufzen brachte, wie ein gehässiges Lachen aus der Hölle.

      1-3

      Einen langen Moment sah Tobey in ihre glänzenden, dunklen Augen, in denen jetzt unverhülltes Verlangen stand. Mehr noch: Das tiefe Bedürfnis, es mit ihm zu dieser Mitternachtsstunde im Bett des Hotelzimmers zu treiben, bis sprichwörtlich ihr Blut kochte.

      Mit einem zärtlichen Kuss verschloss er ihr den Mund. Veronicas zarter Duft nach Seife und frisch gewaschener Haut turnte ihn noch mehr an.

      »Mädchen wie dich sollte der Teufel holen, weißt du das?« Tobeys Stimme war


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