SNOW BONE. Guido Grandt

SNOW BONE - Guido Grandt


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die Besucher die Eingangshalle bis zum gegenüberliegenden Ende durchschritten hatten, gelangten sie in einen breiten Korridor. Von dort aus zweigten auf der einen Seite ein riesiger Konferenzsaal und ein Bankettraum ab. Auf der anderen gab es ein Café, ein Bistro, das Hotelrestaurant, die Cocktailbar und den Speisesaal.

      Die einhundertfünfzig Einzel- und Doppelzimmer lagen in der zweiten, dritten und vierten Etage. Dazu gab es noch je zwanzig Suiten im West- und Ostflügel und die Präsidentensuite in der Mitte des vierten Stocks. Alle Räume konnten entweder über breite, mit Teppichen ausgelegte Treppen oder mit den Aufzügen erreicht werden.

      Im Untergeschoss war der Versorgungs- und Personaltrakt untergebracht … Hauptküche, Kühlräume, Vorratslager und die Rampen zur Anlieferung. Ebenso der Bereich für das Hotelpersonal samt Zimmerservice mit Gemeinschafts-, Wohn- Schlaf- und Waschräumen, einer eigenen Kantine und einem kleinen Einkaufsladen. Außerdem gab es noch eine Werkstatt, einen Technikraum, eine Wäscherei, eine Erste-Hilfe-Station sowie die Quartiere für den Manager und den Hausmeister. In der Haupt-Saison beschäftigte das Snow Hill Hotel ganztägig insgesamt hundertzwanzig Mitarbeiter. Dazu kamen noch eine Unzahl von Aushilfskräften, die nicht fest angestellt waren.

      Vor dem Hotel führte eine gewundene Serpentinenauffahrt zu den Parkplätzen, den Taxi- und Bushaltestellen sowie zu den Sport- und Kinderspielplätzen hinauf. Dahinter befanden sich die Garagen und die Geräteschuppen. Neben dem Westflügel begann direkt der Bergwald. Am Ostflügel schloss sich die überdachte Aussichtsterrasse an, die in den Öffnungszeiten immer voll bestuhlt war.

      Die Freunde waren beeindruckt von den Ausmaßen des Ressorts. Britt war die Einzige, die die düstere Atmosphäre innerhalb der Mauern zu spüren schien. Vor allem im Untergeschoss verschlug es ihr beinahe den Atem. Ihre Handflächen wurden feucht vor Schweiß und das bleierne Gefühl im Magen wurde plötzlich zentnerschwer. Allerdings hielten diese Sinneseindrücke und Empfindungen nur für wenige Momente an, dann lösten sie sich wieder wie Morgennebel im ersten Sonnenlicht auf.

      Nach der Führung suchte der Hausmeister mit den Neuankömmlingen den Speisesaal auf, indem normalerweise das Frühstück, der Lunch und das Dinner serviert wurde. Dort setzten sie sich um einen großen Tisch herum, umgeben von Dutzenden anderen Tischen, die alle leer und mit durchsichtigen Schutzfolien bedeckt waren. Ihrer jedoch war bereits komplett mit einer weißleinenen Tischdecke, Tellern, Besteck und Gläsern eingedeckt gewesen.

      Normalerweise hatte man von hier aus durch die hohen Fenster einen fabelhaften Ausblick nach Osten auf die schneebedeckten Gipfel der umliegenden Berge, erklärte Philbin. Jetzt waren sie jedoch fast gänzlich zugeschneit. In den noch freien, oberen Dritteln der Scheiben wirbelten große, schwere Flocken im steifen Wind.

      Am anderen Ende des Speisesaals kam nun eine zierliche, attraktive Frau, Anfang vierzig, die das lange schwarze Haar zu einem Zopf gebunden hatte, durch eine Doppeltür herein. Bekleidet war sie mit einem dicken Pullover, einer Küchenschürze und einer ausgebleichten Jeans. Ihre schräg stehenden Augen, die über einer etwas zu breiten Nase saßen, schimmerten in einem verwaschenen Grau. Der Mund war elegant geschwungen.

      Hillary Philbin war Caleb Ehefrau. Etwas reserviert erklärte sie den Neuankömmlingen, dass sie gerade in der Küche eine Kleinigkeit zu Essen für sie vorbereitete. Als Britt und Veronica ihre Hilfe anboten – Laura schwieg eisern – lehnte sie dankend ab. Gleich darauf ging Hillary wieder hinaus und fuhr mit dem Lift ins Untergeschoss.

      »Sie sind wirklich fünf Monate ganz allein mit Ihrer Frau hier oben, Caleb?«, fragte Britt mit rauchiger Stimme, die gut in einen Nachtclub gepasst hätte.

      Der Hausmeister nickte. »Die Saison dauert immer von Mai bis Oktober. Die Handwerker und Monteure benötigen danach noch ungefähr zwei Wochen, um kleinere Schäden auszubessern, die während des Betriebs entstanden sind. In dieser Zeit macht das Personal Inventur und packt alles zusammen. Pünktlich zur letzten Oktoberwoche verlassen dann alle das Haus. Natürlich auch der Direktor. In den Wintermonaten bin ich vor allem dafür zuständig, die Heizung in Gang zu halten, denn ansonsten würde der Frost schwere Schäden anrichten, was natürlich eine Wertminderung für das Gebäude bedeuten würde. Außerdem fallen immer wieder verschiedene, zumeist kleinere Reparaturen an, die ich durchführen muss. Mein Job ist es, das Hotel unversehrt zu erhalten.«

      Britt war sichtlich beeindruckt. Sie hieß nicht nur annähernd so wie die schwedische Schauspielerin, die im Nachnamen jedoch ein u statt ein a trug, sondern sah auch ähnlich aus: Langes weizenblondes Haar, das weit über ihre zierlichen Schultern fiel, große, veilchenblaue Augen, eine Stupsnase, Grübchen und ein Schmollmund, der sofort die Fantasie jedes Mannes anregte. Genauso wie ihre atemberaubende schlanke Modelfigur von einem Meter fünfundsiebzig mit üppigem Busen, schmalen Hüften und einem kleinen knackigen Hintern. Der dezente Strickpullover, den sie trug, betonte ihre weiblichen Reize nur noch mehr. Britt war tatsächlich eine richtige Schönheit.

      Aber nicht nur ihrem fabelhaften Aussehen hatte sie eine, wenn auch bislang nur mäßige, Schauspielkarriere in zweitklassigen Filmen zu verdanken, sondern auch ihrem Köpfchen und ihrer schnellen Auffassungsgabe.

      »Das ist ja hier wie in dem Horrorroman Shining von Stephen King«, nuschelte Tobey Arness in seiner ihm angeborenen Art und Weise. Die blauen Augen hinter der runden John-Lennon-Brille funkelten keck. Er war siebenundzwanzig Jahre alt, hoch aufgeschossen, schlaksig und dürr, mit langen Gliedern, die zumeist ungelenk an seinem Körper herabbaumelten. Das widerborstige dunkelblonde Haar, gleichfarben wie sein dichter Vollbart, fiel ihm weit über den Nacken. Verblasste Narben auf der Stirn zeugten von Windpocken-Pusteln, die er als Kind immer wieder offengekratzt hatte. Die Segelohren standen im starken Gegensatz zu seiner dünnen Nase und dem schmalen Mund.

      »Shining habe ich schon ein halbes Dutzend Mal gelesen«, entgegnete Caleb leicht belustigt. »Ich kenne fast jeden Satz daraus auswendig. Ein unglaublich fesselndes Buch, in das ich mich hier natürlich sehr gut hineinversetzen kann. Hillary hingegen will es nicht mal anfassen. Gerade so, als hätte sie Angst davor, Geister heraufzubeschwören, die uns in der Einsamkeit heimsuchen könnten.«

      »Also ich kann diesem Schinken nichts abgewinnen«, meinte Ned Harlan spitz. Der beleibte, stets glattrasierte Mann war von Beruf Bankangestellter, wie er gleich nach der Begrüßung stolz verkündet hatte. Obwohl er erst dreißig Lenze zählte, wirkte er seinem ganzen Wesen nach jedoch eher wie fünfzig. Sein glanzloses, brünettes und mit Gel zurückgekämmtes Haar lag wie ein Kranz um den runden Schädel. Die kakaobraunen Augen über der krummen Nase waren unter Schlupflidern halb verborgen. Im Gegensatz zu Tobey, der mit einem dicken Winterpullover und einer schäbigen Jeans bekleidet war, trug er einen schwarzen Armani-Anzug und darunter ein blütenweißes Hemd mit Manschettenknöpfen. Auch wenn er auf die ansonsten obligatorische Krawatte verzichtet hatte, war sein Outfit so fehl am Platz wie ein Sträflingsanzug beim Präsidenten, doch genau das hatte er in seinem Rucksack mitgeführt. Der Grund war, dass er geplant hatte, seiner Verlobten bei diesem Ausflug einen Heiratsantrag zu machen. Dazu musste ein Mann von Welt, als solchen er sich zählte, auch richtig gekleidet sein, ganz egal, ob er sich in der Wüste oder auf einem Schneegipfel befand. Das jedenfalls war seine Einstellung.

      »Das Einzige, mit dem ich mich in Shining anfreunden kann, ist der Hausmeister, der langsam verrückt wird. Hoffentlich sind Sie nicht auch so ein abgedrehter Kerl, Philbin!« Ned lachte meckernd und schlug sich auf seine dicken Oberschenkel. Dabei entblößte sein kleiner Mund unregelmäßige Haifischzähne.

      »Noch habe ich mich im Griff«, gab Caleb lakonisch zurück. »Aber wer weiß, was die kommenden Tage noch so alles bringen werden.«

      Laura Kelly, Harlans fünf Jahre ältere Verlobte, die dem Job einer Vorstandssekretärin in einem IT-Unternehmen nachging, nestelte erschrocken am Kragen ihres einfarbigen Kleides, das genauso deplatziert war, wie Neds Anzug. Ihre Unterarme, die zu einem Drittel aus den Ärmeln herausragten, waren mit einem dichten, rötlichen Flaum bedeckt, der aussah wie der Pelz eines Fuchses.

      »Glauben Sie denn wirklich, dass wir noch tagelang hier oben festsitzen werden?«

      Nachdenklich musterte Philbin die Frau, die genauso altmodisch und arrogant wirkte, wie Harlan. Laura war nicht besonders


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