SNOW BONE. Guido Grandt

SNOW BONE - Guido Grandt


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Eklund sorgenvoll. Wie eine Tarantel kroch Angst in ihr hoch. Die Aussicht, hier draußen in der Wildnis in einem Schneesturm festzustecken, erschreckte sie bis ins Mark. Letzten Endes waren sie nämlich nicht im Geringsten darauf vorbereitet, ohne Schutzhütte im Freien zu übernachten. Bei diesen eisigen Temperaturen würde das ganz gewiss ihren sicheren Tod bedeuten.

      In Hollywood wirst du dann nirgendwo mehr für die Hauptrolle eines zweitklassigen Filmes vorsprechen müssen! Dafür gibst du aber garantiert eine gute Eisleiche ab …

      »Vorhin habe ich das halbverschneite Hinweisschild eines Hotels gesehen«, meldete sich Veronica zu Wort. »Vielleicht ist es ja hier irgendwo in der Nähe.«

      »Du hast recht. Ich konnte den Namen Snow Hill Hotel entziffern«, erinnerte sich jetzt auch Tobey.

      Hoffnung keimte in den Freunden auf, die sich von der Westküste am Pazifischen Ozean aufgemacht hatten, um das große Abenteuer in den Bergen zu suchen. Alle fünf wohnten und arbeiteten in San Francisco, in dem es selbst im Winter noch milde Temperaturen gab. Dabei war der Trip in die Sierra Nevada keineswegs einer bloßen Schnapsidee entsprungen, sondern schon seit Monaten geplant gewesen.

      Wie eine Ballerina, wenn auch nicht ganz so elegant, sondern eher staksig, was seiner Körperlänge geschuldet war, drehte sich Tobey im Kreis. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er das Terrain ab. Ihnen gegenüber ragte ein noch höherer Berg auf, als der auf dem sie sich momentan befanden. Die schlanke Silhouette seiner gezackten Spitze schien die tief hängenden, bleigrauen Wolken fast zu berühren. Unter ihm breitete sich eine Schlucht aus, deren Grund mit einer Eisschicht bedeckt war. Die Berghänge wirkten schwindelerregend steil.

      Als Tobey, schon halb entmutigt, seinen Blick in die andere Richtung schweifen ließ, machte sein Herz plötzlich einen Satz, denn etwas weiter oben entdeckte er tatsächlich das Hotel. Es war in einen Steilhang eingebettet und stand genau dort, wo sich der Tannen- und Kiefernwald ein wenig lichtete. Um es zu erreichen, mussten sie nicht einmal in die Schlucht hinab und auf der anderen Seite wieder hinaufsteigen. Ein solches Unterfangen wäre angesichts des zu erwartenden Unwetters, der fortgeschrittenen Uhrzeit und ihrer körperlichen Verfassung ohnehin unmöglich gewesen. Stattdessen mussten sie lediglich dem Weg, den sie bislang beschritten hatten, einfach nur weiter folgen. Irgendwo gab es bestimmt eine Abzweigung zu dem etwas höher gelegenen Berg-Resort.

      Tobeys Einschätzung nach, lag dieses nicht mehr als fünf Kilometer von ihrem Standort entfernt. Der Parkplatz im Tal hingegen, auf dem ihre Fahrzeuge standen, war mindestens doppelt so weit weg.

      Als er die Freunde auf seine Entdeckung aufmerksam machte, sah er sofort Erleichterung in ihren missmutigen Mienen. Halb steif vor Kälte, weil der Frost ihnen durch Mark und Bein ging, aber mit neuem Mut, machten sie sich erneut auf, durch die eiserstarrte Wildnis zu stapfen. Der Wind drehte nun auf Nordost. Die Landschaft glänzte in einem harten, tiefgrauen Licht, das skurrile Schatten von den Bergen und der Vegetation warf.

      Ned, der mit Tobey vorausging, ließ immer wieder mal den Besserwisser raushängen. So wie es eben seine Art war.

      »Schau dir mal diese Natur an«, sagte er theatralisch. »Die Berge kümmern sich nicht um uns. Sie sind weder gut noch schlecht; sie ragen seit Jahrmillionen in den Himmel und werden auch noch weiter dort stehen, wenn wir längst schon Staub und Asche sind. Für sie sind wir sprichwörtlich nichts.«

      »Ich wusste gar nicht, dass du Philosoph bist.« Das war der einzige Kommentar, den Ned von seinem Freund erhielt.

      Der Geruch des Waldes, den der Wind zu ihnen hinübertrug, war absolut überwältigend. Über ihnen war jetzt der stille Ruf eines Kiefernhähers zu vernehmen. Je mehr das Tageslicht jedoch wich, umso eisiger wurden die Temperaturen, die schon jetzt weit unter null lagen. Die schneidige Luft drang ihnen durch die dicke Winterkleidung bis in die Knochen. Langsam fingen die Fingerspitzen in ihren Handschuhen und die Zehen in den robusten Trekkingstiefeln an, vor Kälte taub zu werden.

      »Weißt du eigentlich, dass die Sierra Nevada zu den Regionen mit dem höchsten Schneefall gehört?«, regte Ned ein neues Gespräch an.

      Tobey schüttelte nur den Kopf, ohne etwas zu sagen, aus Angst, seine Zähne würden anfangen zu klappern.

      »1991 fielen bei Tamarack, einem kleinen Kaff in der Nähe der Mammoth Lakes, innerhalb eines Monats, fast zehn Meter Neuschnee. Im Winter 1906/07 sogar über zweiundzwanzig Meter. Unfassbar, was?«

      »Davon hast du bei der Planung unseres Trips aber kein Wort gesagt.«

      »Na ja, ich habe das auch erst kurz vor der Abreise gelesen und wollte niemanden beunruhigen.«

      Als ob Ned Harlans Worte vom Wettergott erhört worden wären, wirbelten auf einmal die ersten Flocken vom grauen Himmel.

      Tobey, der mit seinem fröhlichen Gemüt seltener fluchte als der Papst im Petersdom, zerdrückte nun leise eine Verwünschung zwischen seinen Zähnen. Es war ja schließlich nicht mehr weit bis zum Hotel, in dem sie bestimmt Unterschlupf finden würden. Vorausgesetzt, sie verpassten die richtige Abzweigung nicht.

      Die drei Frauen hinter ihm keuchten vor Anstrengung, als sie ihre Schritte beschleunigten. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück und zeigte ihnen sein obligatorisches Sonnyboy-Lächeln. Das sollte Zuversicht signalisieren, obwohl die Lage, in der sie sich gerade gezwungenermaßen befanden, alles andere als hoffnungsvoll war. Denn jetzt fiel der Schnee unablässig. Zehn, fünfzehn Zentimeter und mehr. Dicke Flocken sammelten sich in den Falten ihrer Kleidung.

      Wie ein Blizzard zog die Kaltfront über die einsamen Bergwanderer her. Das Vorankommen wurde immer beschwerlicher. Sobald sie nur einen halben Meter vom Weg abkamen, den sie mehr erahnen als sehen konnten, traten sie mit ihren Stiefelsohlen auf loses Geröll, das tückisch unter der weißen Decke versteckt lauerte. Dadurch stieg die Gefahr, auf der Seite zum steilen Gefälle hin, abzustürzen. Immer wieder lösten sie kleinere Schneerutsche aus, von denen manche schließlich zu ausgedehnten Lawinen anwuchsen, die mit Tosen und Krachen in die von Wildbächen gegrabene Talschlucht donnerten.

      Britt Eklund, die Letzte in der Gruppe, spürte unweigerlich, wie erneut Panik in ihr hochstieg.

      Schneestürme kommen lautlos und machen blind.

      Irgendwo hatte sie das einmal gelesen. Tatsächlich verwandelte sich die Welt um sie herum immer mehr in ein Gemälde aus Schnee, Nebel und Fels. Einen Moment lang glaubte sie wirklich, erblindet zu sein, denn Himmel und Erde, oben und unten, waren auf einmal vollkommen gleich. Die Sicht betrug jetzt kaum mehr als einen halben Meter. Vor ihr verschwammen die Konturen von Veronica und Laura, die hinter ihren Partnern hergingen, zu undeutlichen Schemen. Mehr als einmal rutschte einer von ihnen aus, aber zum Glück, ohne sich dabei die Knochen zu brechen.

      Alles glitzerte in einem taubengrauen Licht unter einer garstigen, stahlharten Eis- und Schneeschicht. Minuten später nahm der Sturm an Heftigkeit zu und drosch wie ein Bombenhagel auf die einsamen Ausflügler ein. Blitze zerrissen das Zwielicht und elektrisierten die heulende Luft. Krachender und grollender Donner ließ die Bergwände erzittern, wie ein vielstimmiger nervenzehrender Chor. Der eisige Dunst des unerbittlichen Windes trieb Eissplitter vor sich her und schüttelte die Baumwipfel durch, als bestünden sie lediglich aus Gummi.

      Es wirkte so, als würde in diesem Abschnitt der Sierra Nevada gerade die Welt untergehen.

      Die Apokalypse, schoss es Tobey unwillkürlich durch den Kopf. Aufgrund seiner puritanischen Eltern war er mit einem fest verankerten Gottesglauben aufgewachsen, deshalb war der Tag des Jüngsten Gerichts für ihn nicht nur eine hohle Phrase.

      Längst war bei den Freunden jegliches Zeitgefühl abhandengekommen. Schon seit einer halben Ewigkeit schienen sie sich durch die immer höher auftürmenden Schneewehen zu kämpfen.

      Die Berge hörten einfach nicht auf, vor Elektrizität zu beben, und weiß glühende Blitze krachten von einem nun tiefschwarzen Himmel. Die Flocken fielen mittlerweile so dicht, dass man die eigene Hand vor Augen kaum noch sehen konnte. Alles um sie herum versank unter einem weißen Schleier.

      Wie durch Watte hindurch drang plötzlich ein freudiger Ruf an Britts Gehör, die sich immer noch am Ende


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