Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher
nicht verheimlichte, haßten sie; für den König dagegen waren sie jederzeit bereit sich a,ufzuopfern. Ferdinand verkehrte mit ihnen wie mit seinesgleichen, ließ sich von ihnen an seiner großen Nase zupfen, suchte ihre derben Späße noch zu überbieten. Tanzte, wenn er guter Laune war, auf offener Straße vor ihnen ihren Nationaltanz, die Tarantella. Verkaufte ihnen die Ausbeute der königlichen Seen von Patria und Fusaro in eigener Person, um Kupfermünzen feilschend wie ein Händler von Beruf.
Ungläubig schüttelte Nelson den Kopf, da Emma ihm das alles erzählte. Aber die eigene Beobachtung belehrte ihn bald über die Wahrheit.
Er fühlte sich fast persönlich beleidigt. Ihm, dem konservativen Offizier, war der König nicht nur nach konstitutioneller Theorie, sondern in tatsächlichem Ernst das Haupt des Staates. Darum verdammte er die französische Revolution, die das Königtum abgeschafft hatte, war glühender Anhänger Pitts und Burkes, leidenschaftlicher Gegner von Fox, der dem gewaltsamen Vorgehen der Girondisten eine Art Berechtigung zuerkannt hatte.
Nun aber dieser Ferdinand von Neapel! Eine Märtyrerin schien ihm Maria Carolina, da sie diesen Gatten ohne Klage ertrug.
Wehmütig lächelte Emma. Wie schlicht und unerfahren er war! Wußte er nicht, daß die Lust an der Herrschaft stärker war als das Leid eines wunden Herzens? Auch sie ertrug Sir William ...
Josiah wich bei diesen kleinen Ausflügen nicht von Emmas Seite. Die ritterliche Art nachahmend, in der die Kavaliere des Hofes nach spanischer Etikette mit ihren Damen verkehrten, benutzte er jeden Anlaß, ihr kleine Dienste zu leisten. Er litt nicht, daß ein anderer ihr den Schlag des Wagens öffnete, wachte eifersüchtig darüber, daß sie sich beim Aussteigen auf seinen Arm stützte. Ihre kleine Handtasche, ihren Sonnenschirm, ihren Schleier zu tragen, machte ihn glücklich. Wenn sie abends auf der Chiaja, dem Sammelpunkt der vornehmen Welt, in mitten der beiden langen Wagenreihen über das weiche Lavapflaster pfeilschnell dahinglitten, umbraust von dem Getümmel des Volkes, saß er Emma gegenüber, regungslos, ohne Sinn für das bunte Leben umher. Seine Augen ließen nicht von ihr; nur auf ihre Stimme schien er zu lauschen, wenn sie Nelson über die Begegnenden Auskunft gab. Und als sie einmal, von einer langen Ausfahrt ermüdet, seinen zaghaft gebotenen Arm nahm, um auf ihn gestützt über die steilen Treppen des Palazzo zu ihrem Zimmer emporzusteigen, ging er neben ihr, blaß, mit angehaltenem Atem, als fürchte er, durch eine ungeschickte Bewegung die Berührung ihrer Hand zu verlieren.
Nelson freute sich über den mildernden Einfluß, den Emmas Weiblichkeit auf den heißblütigen, durch den Seedienst etwas verwilderten Knaben ausübte. Ihm selbst war es in seiner Jugend nicht so gut geworden, und dem mangelnden Umgang mit gebildeten Frauen schrieb er die rohen Sitten vieler seiner Flottenkameraden zu.
Tom aber ...
War er eifersüchtig, daß er nächst den Eltern nicht mehr der einzige war, an dem Josiah hing? In abergläubischer Wachsamkeit folgten seine düsteren Augen allen seinen Bewegungen ...
***
Sir William benutzte die Anwesenheit des ,Agamemnon' in Neapel, um eines jener großen Feste zu geben, durch die dank Emmas Schönheit und Kunst die englische Gesandtschaft zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens geworden war. Einladungen an den Hof, die Mitglieder der Diplomatie, die Spitzen der Behörden, die vornehmsten Vertreter der Bildung ergingen und wurden angenommen, nachdem Maria Carolina in einer besonderen Audienz Sir William ihr Erscheinen zugesagt hatte.
Für den folgenden Tag lud auch Nelson, um die ihm allgemein erwiesene Gastfreundschaft zu erwidern, zu einem Fest an Bord ein. Die Einrichtungen des Kriegsschiffes sollten gezeigt werden, die Matrosen heitere Spiele vorführen, ein Ball das Fest enden.
Während der Vorbereitungen sah Emma Nelson nur wenig. Dagegen war Josiah fast immer um sie. Sie hatte ihn sich von seinem Vater ausgeliehen, wie sie scherzend sagte. Für eine kleine Überraschung am Abend des Festes.
Oft hatte Nelson sie um einige jener Attitüden gebeten, die sie erfunden hatte, und deren Ruhm auch in die Einsamkeit seines Schiffslebens gedrungen war. Immer aber hatte sie sich ihm bisher entzogen. Voll Zweifels, wie sein strenger Sinn diese Kunst aufnehmen würde, die aus der klassischen Schönheit ihres Körpers hervorgegangen war. Wenn er sie leichtfertig, frivol fand ...
Dennoch war ein geheimes Verlangen in ihr, sich ihm zu zeigen, wie sie war. Mit ihrer Schönheit, ihren Fehlern, Tugenden, Neigungen. Wenn er sie ganz kannte ...
Sie wagte den Gedanken nicht zu Ende zu denken. Wunderte sich gleich darauf über sich selbst. Was war in diesen kurzen Wochen denn geschehen, daß sie so ängstlich nach fremder Meinung fragte?
An Sir Williams Seite empfing sie am Abend des Festes das Königspaar, bat Maria Carolina um die Erlaubnis, sich für kurze Zeit entfernen zu dürfen, und gab Josiah das verabredete Zeichen.
Brennend vor Erwartung stürzte er fort, um sich mit Hilfe von Emmas Diener Vincenzo in das Gewand des Askanius zu kleiden, das sie für ihn hatte an fertigen lassen. Den Sohn des Äneas sollte er darstellen, der Königin von Karthago die Schicksale seines Vaters erzählend.
Sie hatte sich die Gruppe ausgedacht als Schlußstück einer Bilderreihe, die sie zum ersten Male während Goethes Besuch in Neapel dargestellt hatte. Eine Huldigung für Nelson sollte darin liegen, die den anderen entgehen würde. War er nicht einmal dazugekommen, wie sie sich von Josiah des Vaters frühere Fahrten berichten ließ? Er würde die Beziehung verstehen.
Hastig kleidete sie sich in das Gewand der Dido und eilte dann ins Nebenzimmer, um den letzten prüfenden Blick auf die Einrichtung zu werfen, die sie für die Attitüden ersonnen hatte. Hier hingen die langen, seidenen Schleier, in die sie sich hüllte, um aus dem schmiegsamen Stoff durch schnelle Bewegungen sich wechselnde Drapierungen zu schaffen. In ihnen erschienen ihre verschiedenen Stellungen wie lebende Bildwerke in leuchtendem Marmorrahmen. Auf kleinen Tischen lagen Kohlenbecken, Räucherpfannen, Tamburins, die ihr Vincenzo in eine Grotte zu reichen hatte, in die Emma durch einen verdeckten Gang gelangte, um vor den Zuschauern zu erscheinen. Ein Diener, in eine altrömische Toga gekleidet, öffnete und schloß vom Saale aus den purpurnen Vorhang.
Alles war in Ordnung. Hinter dem Vorhang vernahm Emma bereits die Stimme der Königin, die mit Nelson und Sir William sprach. Nun kam Vincenzo, um Emma die Schleier überzuwerfen.
„Und Mr. Nisbet?“ fragte sie ungeduldig. „Ist er bereit?“
Vincenzo zuckte verlegen die Achseln.
„Ich hatte ihn bereits angekleidet, als Mr. Kidd, der Hochbootsmann, eintrat. Er sprach mit Mr.Nisbet. Englisch, Exzellenza. Ich verstand es nicht recht. Aber es schien mir, als ob er Mr. Nisbet hindern wollte ... “
Er brach ab. Gefolgt von Tom stürmte Josiah herein.
„Er will nicht, daß ich spiele!“ rief der Knabe zornig. „Wie ein Kind behandelt er mich! Als wenn er mein Vormund wäre!“
„Ich verstehe nicht, Mr. Kidd,“ sagte Emma gereizt. „Haben Sie einen Grund, warum Josiah nicht mit mir auftreten soll?“
Er war sehr blaß.
„Mein Grund, Mylady, ist, daß Lady Nelson mir ihren Sohn anvertraut hat! Und ...“ Er stockte einen Augenblick, um dann entschlossen fortzufahren. In der heimatlichen Mundart der Leute vom Deegolf, die Josiah nicht verstand. „Unter den Angeworbenen auf dem ,Agamemnon‘ ist einer, der als junger Mensch Soldat unter dem großen Preußenkönig war. Der erzählte, daß der König als Kronprinz mit seinem Vater eine Reise nach Dresden machte. Da habe der König von Polen ihm ein schönes Weib gezeigt. Der Vater habe dem Sohne seinen Hut vors Gesicht gehalten, sei mit dem Knaben auf der Stelle nach Hause zurückgereist. Aber es sei schon zu spät gewesen. Heimlich habe der Sohn die Frau nachkommen lassen, habe sich an ihr zu ewigem Verderben gesehen. Zeit seines Lebens sei er ein unglücklicher Mensch gewesen.“
Dunkel schoß ihr der Zorn ins Gesicht.
„Ich kenne das Märchen!“ unterbrach sie ihn. „Was soll es hier?“
Er sah sie mit einem langen Blicke an.
„Die Leute hier haben mir gesagt ...