Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher

Lord Nelsons letzte Liebe - Heinrich Vollrat Schumacher


Скачать книгу
Wünsche Gehör zu finden. Auf ihre Bitte, Tom Kidd allein sprechen zu dürfen, führte der Offizier sie in Nelsons Kajüte und eilte, den Hochbootsmann zu ihr zu senden.

      Einen Augenblick später trat Tom ein. Als er sie erkannte, wurde er totenblaß. Abwehrend streckte er die Hände gegen sie aus, machte eine Bewegung, als wolle er fliehen. Aber mit ein paar schnellen Schritten war sie bei ihm, hielt ihn zurück. „Kennst du mich nicht mehr, Tom?“

      Er zuckte unter der Berührung zusammen; wie einem plötzlichen Entschlüsse folgend richtete er sich auf.

      „Es gab eine Zeit, da Tom Kidd die kleine Amy Lyon kannte,“ sagte er langsam. „Er hatte sie lieb. Sie war ihm wie eine Schwester.“

      „Auch ich hatte dich lieb, Tom.“

      Er schien sie nicht zu hören. Die Augen starr ins Leere gerichtet sprach er weiter.

      „Es gab abermals eine Zeit, da Tom Kidd Fräulein Emma kannte. Sie ging in eine vornehme Erziehungsanstalt. Dann, als der Reichtum verschwunden war, ging sie in einen Dienst. Tapfer war sie und stolz. Nur aus der Ferne wagte Tom Kidd sie anzusehen.“

      Aus seinen einfachen Worten stieg ihr Leben vor ihr herauf. Wie auf eine weite, durchwanderte Landschaft blickte sie zurück, aus der die Schatten des Abends emporwallten.

      Fast feierlich wehte es sie an.

      „Ich weiß es, Tom. Auch ich achtete dich. Weil du zartfühlend gegen mich warst.“

      „Zu Fräulein Emma kamen zwei Menschen: Mr. Romney, ein Maler; Miß Kelly, eine Dirne. Sie lehrten Fräulein Emma, daß sie mit ihrer Schönheit in London ihr Glück machen könne. Sie glaubte es und folgte ihnen.“

      Betroffen von der geheimen Anklage, die aus seinen Worten sprach, richtete Emma sich auf.

      „Es geschah nicht darum, Tom! Weißt du nicht mehr, wie meine früheren Mitschülerinnen mich beschimpften? Deshalb ging ich.“

      „So glaubte auch Tom Kidd. Die Angst um sie zog ihn ihr nach. Und es kam ein Tag, da sie sich vor der Sünde um sie her entsetzte, vor ihr floh ... “

      „Und du nahmst mich auf. Glaubst du, daß ich es vergaß? Noch heute bin ich dir dankbar!“

      „Tom Kidd tat es nicht um Dank. Er hatte sie lieb. Sie aber ... Er hätte es ihr nicht .nachgetragen, wenn sie ihr Herz einem andern geschenkt hätte. Sie aber verkaufte es. Um Reichtum und Wohlleben. An Sir John Willet-Payne.“

      Mit erhobener Stimme hatte er es gesagt, jedes Wort betonend. Entsetzt starrte Emma ihn an.

      „Bist du wahnsinnig? Ahnst du nicht, warum ich es tat? Weil Sir John dich zum Matrosen gepreßt hatte! Weil ich dich retten wollte!“

      Seine Lippen zuckten.

      „So glaubte auch Tom Kidd. Aus der Sünde mit Sir John wollte er sie lösen. Freiwillig tat er, wozu ihn niemand gezwungen hätte: er schwur dem Könige den Eid! Nun glaubte er, sie würde von Sir John gehen. Sie aber blieb bei ihm. Bis er sie verließ. Dann führte sie das Leben der Miß Kelly. Gab sich jedem, der sie wollte. So tat sie. Ist es nicht wahr?“

      Immer noch starrte er unverwandt ins Leere. Als sähe er dort in dem dunklen Winkel der Kajüte die Gestalt des Mädchens, dem alle Empfindungen seines Herzens gehört hatten. Das nun zusammenbrechen und vergehen mußte unter der Wucht seiner Anklagen.

      „Es ist wahr!“ sagte Emma tonlos. „Aber, Tom ... wenn du wüßtest ...“

      Ihre Stimme verlor sich in einem Murmeln. Er schwieg eine Weile. Wartete wohl, daß sie fortfahren sollte. Dann begann er von neuem.

      „Tom Kidd wußte von alledem nichts. Meere und Länder schieden ihn zu dieser Zeit von ihr. Und als er sie wiedersah ... ihm war sie immer noch Fräulein Emma. Das Edelste, was die Erde hatte. Das blieb sie ihm auch, als er hörte, daß sie mit Sir Charles Greville lebte. Sie liebte ihn. So sagte sie. Und Tom Kidd dachte, daß, es das Höchste und Heiligste sei, dem zu leben, den man liebt.“

      Ein bitteres Lachen brach von ihren Lippen.

      „Das Höchste und Heiligste ...

      “Warum hörte sie ihm so lange zu? Warum duldete sie es, daß er sich zum Richter über sie aufwarf?

      Wie Geißelhiebe waren seine Worte auf sie niedergefallen, brennend, jeden Blutstropfen in ihr aufpeitschend. Dennoch — seltsam, sie vermochte ihm nicht einmal zu zürnen. Schauer ein,er ungekannten, fast körperlichen Wollust durchrieselten sie ...

      „Das Höchste und Heiligste!“ wiederholte sie atemlos. „Warum sprichst du nicht weiter? Bei ihrem Höchsten und Heiligsten warst du, bei ihrer Liebe!“

      Um seinen Mund grub sich ein harter Zug.

      „Nun denn ... Was ihr Liebe galt, erfuhr er, als er nach Jahren heimkehrte. Bei dem Manne suchte er sie, dem ihr Herz gehörte. Sie aber ... der Mann war arm, in Bedrängnis. Sein reicher Oheim hatte sie liebgewonnen; wie ein Vater. Zu dem erbot sie sich zu gehen, für den Geliebten zu bitten. Arglos willigte er ein. Aber dann ... “

      Sie war plötzlich ganz ruhig.

      „Dann?“

      „Dann ... Der Oheim hat sie geheiratet. Sie ist nun reich, eine Lady.“

      „Lady Hamilton?“

      „Lady Hamilton!“

      „Die Tochter einer Dienstmagd und eines Holzknechts, nicht wahr? Die einst Emma Lyon hieß ... Fräulein Emma ... Klein-Amy!“

      „Klein-Amy ...“

      Er zitterte. Über seine Lippen kam ein weher Ton …

      Viertes Kapitel

      Sie ging zu ihm, blieb vor ihm stehen. Nahe, daß ihr Kleid ihn berührte.

      Nur vier Jahre war er älter, als sie, kaum zweiunddreißig. Aber das einst dunkelgelockte Haar war an den Schläfen schon weiß; tiefe Furchen zogen sich über Stirn und Wangen; die Schultern neigten sich nach vorn, wie unter dem Druck einer schweren Last. Und die Augen ...

      „Du hast mich noch nicht ein einziges Mal angesehen, Tom!“ sagte sie ruhig, freundlich. „Verabscheust du mich so sehr? Oder fürchtest du dich vor mir?“

      Langsam wandte er ihr seine Augen zu ...

      So blickten die Augen der asketischen Mönche Neapels, wenn sie auf Emma sahen. Die Ketzerin verachtend, die sündhafte Schönheit des Weibes verdammend. Während in ihrer Tiefe, wie hinter Schleiern, die bleiche Flamme geheimer Sehnsucht brannte...

      „Fürchten?“ fragte er zurück. „Warum fürchten?“

      „Weil du mich verurteilt hast, ohne mich zu hören! Weil du dem Manne geglaubt hast, der mich schmähte, obwohl er tausendmal schlechter an mir gehandelt hat, als Sir John. Greville ist es doch, der dir das alles zugeflüstert hat, nicht wahr?“

      Er hielt ihren Blick fest, als wollte er auf den Grund ihrer Seele dringen.

      „Ich ging zu ihm, fragte nach Ihnen ...“

      „Und als du mich nicht fandest, stelltest du ihn zur Rede. Da fürchtete er sich vor dir und belog dich.“

      „Er weinte ...“

      „Ja, er versteht, Tränen (zu. vergießen. Er hat es von seinem Oheim gelernt. Und da glaubtest du ihm. Gewiß, er war arm, in Bedrängnis. Setzte seine Hoffnungen auf Sir William. Der hatte mich liebgewonnen. Wie ein Vater? Ist der ,ein Vater, der in sinnloser Leidenschaft ein nichtsahnendes Mädchen überfällt?“

      Toms Augen öffneten sich weit.

      „Das hat er getan?“

      „Im Nebenzimmer saß Greville und lauschte. Als ich dem Gierigen entrann, vertuschten sie es. Eine Probe meiner Treue sei es gewesen ... Ich liebte Greville, glaubte ihm. So arglos war ich, daß ich seiner Bitte nachgab, zu dem Oheim reiste, ihn


Скачать книгу