Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher
davon, aus Neapel ein zweites Venedig zu machen. Das ganze Volk denkt nur an Schiffebauen und Matrosenausbilden. Seit Maria Carolina ihr mütterliches Erbe, die Brillanten der großen Maria Theresia, für die Flotte auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt hat, lassen die Stände die Staatskassen plündern, opfern die Reichen die Hälfte ihrer Güter ...“
„Und die Armen bringen ihre Sparpfennige! Einen Lazzaro sah ich, krank, zerlumpt, halbverhungert. Als ich mit Maria Carolina an ihm vorbeifuhr, riß er seinen dünnen Silberring aus dem blutenden Ohr und warf ihn ihr in den Schoß. Das einzige, was er besaß.“
Ihre Stimme klang dunkel und schwer. Sir William nickte, voll Spott.
„Sie sind toll. Halb aus Patriotismus, halb aus Haß gegen die Königin. Am liebsten gäben sie ihr letztes Kupferstück her und kauften ihr den Schmuck zurück. Nur damit nichts österreichisches an den Schiffen ist und damit Maria Carolina sich nicht einer königlichen Tat rühmen kann.“
Emma ließ, das Buch aus den Händen gleiten und stand auf.
Schleppenden Schrittes ging sie quer durch das Zimmer, ließ sich neben der offenen Balkontür in einen Sessel fallen.
„Einer königlichen Tat!“ wiederholte sie langsam. „Das ist es. Sie brüstet sich damit und sorgt, daß jeder es erfährt: Maria Carolina hat ihren Schmuck verkauft und trägt falsche Steine, um Neapel ein Linienschiff zu schenken!“
Aufmerksam hatte Sir William sie beobachtet.
„Du sagst das so ... ist es nicht wahr?“
„Es ist wahr. Und das Volk glaube es. Wie Kinder an Märchen glauben.“
„Ich verstehe nicht ... Es ist wahr? Und doch ein Märchen?“
Ihr Mund zuckte, ihr ganzes Gesicht war in Bitterkeit getaucht.
„Neulich ... erinnerst du dich? ... Sie fürchtete sich wieder einmal, allein zu schlafen, und behielt mich bei sich. Mitten in der Nacht kam sie auf die Idee, Theater zu spielen. Sie wollte Titus sein, ich Berenice, die ihn verführte, um Augusta von Rom zu werden. Sie schleppte selbst die Kostüme herbei, zog uns an. Ihren ganzen Schmuck mußte ich anlegen, die falschen Steine. Aber sie schienen ihr nicht prächtig genug für eine Königin des Orients. Sie riß sie mir wieder herab, lief zu einer Schatulle, öffnete ein Geheimfach, brachte den echten Schmuck, legte ihn mir an ...“
„Den Schmuck Maria Theresias?“
„Nichts fehlte. Als sie meine Bestürzung sah, lachte sie. Nannte die Geschichte ein Märchen, um großen Kindern Geld aus den Taschen zu locken.“ Sie stieß einen dumpfen Ton des Zornes aus. „Und jener Lazzaro, der sich seinen Ring aus dem Ohr riß, glaubte, daß Königinnen nicht lügen ...“
Sir William zuckte die Achseln.
„Was willst du! In der Politik ist es wie im Kriege. Alle Mittel sind erlaubt. Übrigens, dieses Märchen ... Erinnerst du dich der Halsbandgeschichte Marie Antoinettes? Kein wahres Wort war daran, dennoch beutete Philipp von Orleans sie so geschickt aus, daß der Ruf der Österreicherin unrettbar verloren ging. Ähnlich könnte man auch hier ... wenn es Maria Carolina einmal einfallen sollte, uns Schwierigkeiten zu machen ... “
„Ihr würdet ihr mit einer Enthüllung drohen?“
„Das wäre plump. Rachsüchtig wie sie ist, würde sie uns das nie verzeihen.“ Er setzte sich, zog den Kopf in die Schultern und ließ die Gelenke seiner hageren Finger knacken. „Wenn man es den Pariser Jakobinern in die Hände spielte? Seit Ludwigs XVI. Hinrichtung und Marie Antoinettes Einkerkerung sehen sie in Maria Carolina ihre natürliche Todfeindin. Sie würden eines ihrer reizend giftigen Pamphlete daraus machen, und ihre Neapeler Freunde, die Patrioten, würden schon dafür sorgen, daß Maria Carolina es liest. Sie ist leidenschaftlich, macht wie alle Weiber Gefühlspolitik. Sie wird unversöhnlich sein, wird sich rächen wollen. Wir aber sind die einzigen, die ihr diese Rache verschaffen können. Folglich wird sie sich uns ganz in die Arme werfen. Das hübscheste aber, die Pointe ... wer verhilft uns zu dem Geschäft? Unsere Gegner selbst, diese Gallier, die sich für die feinsten Köpfe der Welt halten! Entzückend, was? Pitt wird sein Vergnügen daran haben!“
Er setzte sich an den Schreibtisch und griff zur Feder. Emma richtete sich auf.
„Du willst es Pitt schreiben? Ich bin die einzige, der Maria Carolina es gesagt hat ...“
„Laß mich nur machen. Du bleibst ganz aus dem Spiel. Weiß es der König?“
„Er hat ihr seine Ehre verpfändet zu schweigen!“
„Seine Ehre?“ Er schrie fast auf vor Lachen. „Die Ehre Königs Nazone! Wetten wir, daß ich ihn innerhalb einer Stunde zum Schwatzen bringe? Übrigens — eine Idee! Er muß es dem Ruffo, dem Kardinal, ausplaudern! Der Intrigant blickt schief auf uns Engländer; möchte unsern Acton verdrängen, um selbst Premierminister zu werden. Wenn Ferdinand es ihm erzählt, fällt der Verdacht wegen des Pamphlets auf Ruffo, und er ist abgetan für immer. Während Maria Carolinas Vertrauen zu dir unerschüttert bleibt.“
Schadenfreude glänzte auf seinem Gesicht, kichernd rieb er sich die Hände.
Sie war zu ihm gekommen, lehnte ihm gegenüber an der Wand, sah ihn an; mit einem starren Blick.
„Ja, sie vertraut mir. Der einzige Mensch bin ich, zu dem sie offen, ohne Rückhalt ist. Weil sie mich liebt, mich für uneigennützig hält. Ich aber ... mit jedem Wort, mit jeder Miene täusche ich sie ...“
„Wieder Skrupel?“ Ungeduldig bewegte er die Schultern. „Aber ich bitte dich ... du bist meine Frau, bist Engländerin ... es ist deine Pflicht, mir und deinem Vaterlande zu nützen. Und dann — du branntest doch selbst darauf, mir zu helfen, in der Politik eine Rolle zu spielen. Botest es mir an. Gerade das Verborgene, Heimliche reizte dich. Wie eine Göttin hinter Wolken thronend wolltest du das Schicksal lenken. Nun aber, wo sich dir eine Gelegenheit bietet, machst du dir Gedanken? Weil das Spiel um Völker und Könige geht? Laß dich nicht auslachen, meine Liebe! Ihr Frauen tut in euren Salons und Boudoirs im kleinen genau dasselbe. Ein Wettkampf der Intelligenz ist’s, die feinste Kunst, die es gibt. Ja, wenn du eine Stümperin wärest, eine Nichtskönnerin! Aber so, als Meisterin, als Künstlerin großen Stils ...“
Lächelnd winkte er ihr zu und begann zu schreiben. Wortlos trat Emma zurück.
Er hatte recht. Sie selbst hatte es gewollt. Um Lady Hamilton zu werden. Um sich an Greville zu rächen.
Sie stand hinter Sir William und sah auf seinen vornübergebeugten Kopf. Groß und bedeutend erschien er, als die Wohnung eines starken Hirns. Aber in der Hochzeitsnacht, als dem gierigen Greise die verhüllende Perücke entfallen war ...
Ähnliche Formen hatte sie einst gesehen. In jener Zeit des Elends. Kleine, weichknochige Schädel lasterhafter, verkümmerter Knaben, mit eingesunkenen Schläfen, beuligem Hinterkopf, dünnen, an den Rändern verbogenen Ohren ...
Unsinnig hatte sie lieh in jener Nacht gescholten, daß sie den Hochgestellten mit Dieben und Betrügern verglich. Nun aber, nach zwei Jahren der Ehe ...
Sie kannte ihn nun.
Frei und offen verstand er das Auge aufzuschlagen und wohlwollend zu lächeln, während der Mund von Lügen überfloß und sein Hirn boshafte Ränke spann. Vermochte Tränen des Mitgefühls über das Unglück seiner Opfer zu vergießen. Wußte seine Spuren so geschickt zu verwischen, daß alle Welt die Lauterkeit seines Charakters, die Güte seines Herzens pries.
Ein kleiner Dieb und Betrüger ...
Aber während die Gerechtigkeit jene dunklen Gestalten der Spelunken an den Galgen schickte, glänzte Sir William Hamilton auf der Höhe der Gesellschaft. Als Tugend und Verdienst rechnete man ihm an, was bei jenen Laster und Verbrechen war ...
Hatte er nicht recht, den Unsinn des Lebens zu verspotten? Emma selbst war ein Beweis, daß der Skrupellose alles zu erreichen vermochte. Dem eigenen Neffen hatte er sie abgekauft; für Geld; wie eine Sklavin. Weil er reich war, während Greville Not litt ...
Nun