Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher

Lord Nelsons letzte Liebe - Heinrich Vollrat Schumacher


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Sie würden ihn begreiflich finden, wenn Sie unter Italienern lebten. Alles spioniert, klatscht, intrigiert. Und eitel sind sie! Wenn sie sprechen, schreien sie, sehen sich nach allen Seiten um, ob man sie auch hört und ihnen Beifall zollt!“

      Sir William bewegte sich unruhig. „Künstlernaturen wollen mit besonderem Maße gemessen werden. Eigentlich müßten sie dir sympathisch sein. Da du selbst Künstlerin bist, sind sie dir wesensverwandt.“

      Sie wandte ihm ihre blitzenden Augen zu. Freude erfüllte sie, daß sie mit ihren Worten ihn selbst treffen konnte, der in den neunundzwanzig Jahren seiner Gesandtschaft längst zum Italiener geworden war.

      „Gewiß, sie sind uns Frauen wesensverwandt. Schauspieler sind sie, Poseure. Weiber, listige Weiber. Aber gerade darum sind sie uns unsympathisch. Weil wir uns nach unserem Gegenteil sehnen. Nach einer freien Kraft, zu der wir aufblicken können. Die wir vielleicht auch ein wenig — fürchten wollen. Ja, das wollen wir. Fürchten wollen wir uns, wenn wir lieben.“ Sie nickte ihm zu, mit einem Lachen, das seinem schadenfrohen Kichern ähnelte. „Weißt du nun, warum ich mich vor dir fürchte?“

      Seinen Ärger hinter einer gemachten Lustigkeit versteckend, haschte er nach ihrer Hand, streichelte sie zärtlich.

      „Schwärmerin! Hab’ ich nicht eine ausgemachte Phantastin zur Frau, Mr. Nelson?“

      Sie wußte, daß sie und Sir William in diesem Augenblicke das Bild einer glücklichen, durch nichts getrübten Ehe boten. Las den Eindruck in Nelsons Augen. Vorhin, beim ersten Sehen, hatte er sie da nicht angestaunt, bemitleidet? Die in der reifen Schönheit ihrer achtundzwanzig Jahre blühende Frau an der Seite des dreiundsechzigjährigen Greises ...

      Nun würde er nicht mehr den Kopf über sie schütteln, sie nicht mehr für eine leichte Beute halten ...

      Drittes Kapitel

      Ein kurzes Schweigen herrschte. Dann erhob sich Sir William, um dem Gaste seine berühmten pompejanischen Kostbarkeiten zu zeigen. Erklärend ging er mit ihm zwischen den aufgestellten Vasen, Bildsäulen, Urnen hin und her, erzählte die Umstände, durch die er zu ihnen gekommen war, lobte Emmas praktischen Sinn, der ihm bei den Ausgrabungen in Kampanien wertvolle Dienste geleistet hatte.

      Dann kam Emmas Mutter mit einem Diener herein, der Eis und Früchte servierte. Sofort erkannte Emma, daß irgendeine Sorge die alte Frau bedrückte. Noch immer konnte sich die ehemalige Bauernmagd nicht an die glänzende Stellung gewöhnen, die ihr Kind als Frau des englischen Gesandten und Liebling der Königin in Neapel einnahm. Beim geringsten Anlaß zitterte sie vor einem jähen Zusammenbruch des märchenhaften Glücks.

      Emma ging ihr entgegen.

      „Was hast du, Mutter?“ fragte sie leise. „Was ist geschehen?“

      „Ich muß mit dir sprechen!“ flüsterte die alte Frau mit scheuem Blick auf die beiden Herren. „Vorhin, als das Gepäck des Kapitäns gebracht wurde ... ein Matrose war dabei ... Tom Kidd, Emma! Wenn er uns verrät ... “

      Emma fühlte, wie sie blaß wurde.

      „Hat er dich gesehen? Hast du mit ihm gesprochen?“

      Die Mutter wollte etwas erwidern, aber Sir Williarß kam hinzu und stellte ihr Nelson vor. In seiner scherzenden Weise.

      „Mr. Horatio Nelson, Kapitän des ,Agamemnon‘, Held des Tages ... Mrs. Cadogan, Mutter meiner Emma, Perle der Hausfrauen! Stellen Sie sich gut mit ihr, Kapitän! Sie ist unumschränkter Minister über das Ressort der wirtschaftlichen Angelegenheiten.“

      Nelson grüßte ehrerbietig, die alte Dame befangen.

      „Ich bitte, gar keine Rücksicht auf mich zu nehmen, Madame!“ sagte er dann, und ein freundliches Lächeln milderte den Ernst seines strengen Gesichts. „Ich bin an die einfachste Lebensführung gewöhnt. In dem bescheidenen Pfarrhause meines Vaters zu Burnham-Thorpe saßen wir zu elf Kindern um den Tisch. Und unsere Schiffsdiners ... Wenn meine Offiziere sich etwas Besonderes zugute tun wollen, erbitten sie sich Irish-Stew zum Mittagessen. Das einfachste Gericht von der Welt. Dennoch ist der Schiffskoch nicht imstande, es herzustellen. Da muß immer erst Tom Kidd mit seinem Originalrezept einspringen!“

      Mrs. Cadogan fuhr zusammen.

      „Tom Kidd?“

      ,,Mein Hochbootsmann! Er stammt von der Küste von Wales am Irischen Meer. Dorther hat er wohl auch sein Rezept. Wenn Sie sich dafür interessieren ... er wird meine Siebensachen herbringen ...“

      „Ihr Gepäck ist schon angelangt!“ sagte Emma, ihre Unruhe unter einem leichten Ton verbergend. „Meine Mutter wenigstens sagte mir eben, daß ein paar Matrosen ... Hast du mit ihnen gesprochen, Mutter?“

      ,,Ich habe sie nicht selbst gesehen!“ brachte die alte Frau mühsam hervor. „Auch den Hochbootsmann nicht. Vincenzo meldete sie mir. Ich ließ sie zu einem Glase Wein in die Dienerstube einladen. Der Hochbootsmann aber schlug es aus. Sie müßten sofort aufs Schiff zurück!“

      Nelson lachte.

      „Tom Kidd, wie er leibt und lebt! Er hat eine Abneigung gegen Neapel. Wissen Sie, daß er mich bewegen wollte, Lord Hoods Auftrag abzulehnen? Er ist abergläubisch, wie alle unsere Seeleute. Er kam zu mir, ganz voll Ehrerbietung, ganz düster. Er habe einen Traum gehabt, ich werde Josiah verlieren, wenn ich nach Neapel gehe. Meine Frau habe ihm ihren Sohn auf die Seele gebunden, es sei also seine Pflicht, mich zu warnen. Seitdem läßt er den Jungen nicht aus den Augen. Seinetwegen ist er wohl auch sofort auf den ,Agamemnon‘ zurückgekehrt.“

      Er war verheiratet, hatte einen Sohn ... und seine schlichten, warmen Worte zeigten, wie sein Herz an seiner Familie hing ...

      Mühsam unterdrückte Emma die dunkle Erregung, die in ihr aufstieg.

      „Ihr Hochbootsmann scheint ein guter Mensch zu sein!“ sagte sie, sich zu einem scherzenden Tone zwingend. ,,Ich fürchte nur, wir haben ihn durch unsere Einladung an Sie in einen schlimmen Zwiespalt gestürzt. Oder habe ich unrecht, wenn ich annehme, daß Ihre Gemahlin ihm nicht nur den Sohn, sondern auch den Gatten ein wenig auf die Seele gebunden hat? Der Ärmste kann doch nicht gleichzeitig im Palazzo Sessa und auf dem ,Agamemnon‘ sein! Was tun wir denn da? Ach, ich hab’s! Sie geben mir die Erlaubnis, Ihren Sohn zu uns heraufholen zu lassen und mit ihm auch den braven Tom Kidd, Traumdeuter und Gespensterseher, auf den Sie mich wirklich 'neugierig gemacht haben. Keinen Widerspruch, mein Herr Kapitän! Am Lande hört Ihre Kommandogewalt auf. Hier ist Sir William der Kapitän, und ich — ich bin sein Admiral! Setzen Sie sich also dort an meinen Schreibtisch und stellen Sie eine Order an Ihren Stellvertreter auf dem »Agamemnon‘ aus. Dem Überbringer sind ohne Widerspruch, auf Gnade oder Ungnade, mit Haut und Haar auszuliefern der Hochbootsmann Tom Kidd und ... Josiah heißt er? ... und Josiah Nelson, Esquire!“

      Seinen Arm nehmend führte sie ihn zum Schreibtisch. Nelson gehorchte und warf ein paar

      Zeilen auf ein Blatt Papier. Halb über seine Schulter gebeugt sah sie ihm zu.

      „Nesbit?“ las sie verwundert. „Josiah Nesbit? Er ist nicht Ihr Sohn?“

      Etwas wie ein Schatten ging über seine offene Stirn.

      „Ich habe keine Kinder. Josiah stammt aus der ersten Ehe meiner Frau mit Doktor Nesbit, der jung in Westindien gestorben ist.“

      Er stand auf und gab ihr das Blatt. Sie warf einen Blick auf die Pendule über dem Schreibtisch.

      „Es ist jetzt drei Uhr! Wann essen wir, Mutter? Um fünf? Schön. Ich habe also zwei Stunden Zeit. Wollen Sie sich währenddessen meinem Mann anvertrauen, Mr. Nelson?“

      Verwundert blickte Sir William auf.

      „Du willst selbst ...?“

      Ausgelassen lachend schüttelte sie ihre langen Locken.

      „Ich bitte, mir meine kleinen Überraschungen nicht zu verderben! Auf Wiedersehen, Mr. Nelson! Um fünf!“

      ***

      Am


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