Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher
den Kopf.
„Nur politisch. Schrieb ich dir nicht, daß Maria Carolina sich in den angehenden Heros verliebt hat? Mein Gott, sie hatte immer einen schlechten Geschmack! Aber mir kommt es gelegen. Ich fürchtete schon immer, sie könnte sich einmal für einen dieser neapolitanischen Patrioten begeistern, die uns Engländer zu allen Teufeln wünschen. Wenn sie aber für den tapferen Flottenkapitän Nelson schwärmt, meine schöne Lady anbetet, sich von dem braven Acton beraten läßt, der wiederum von dem bescheiden im Hintergrund bleibenden Hamilton seine Instruktionen erhält — ich glaube, Pitt kann zufrieden sein. Aber alles das kann nur dann Erfolg haben, wenn meine romantische Emma den Retter Italiens der Semiramis Siziliens nicht entzieht. Emma, die Freundin, würde büßen für das, was Emma, die Rivalin, verbrach. Auch scheint unser seefahrender Odysseus ein wenig zu Vulkanausbrüchen und ähnlichen Kraftproben zu neigen. Er würde wohl nicht ohne Havarie zwischen Scylla und Charybdis hindurchschlüpfen. Als Landsleute haben wir aber die Pflicht, ihn seiner Penelope möglichst unversehrt zurückzuliefern!“
Er schwieg, streifte mit einem schrägen, glitzernden Blick ihr Gesicht, nickte vor sich hin, rieb sich kichernd die langen, trockenen Finger.
Sie war wieder auf das Ruhebett zurückgesunken. Von neuem kam die erschlaffende Müdigkeit über sie.
„Ist das alles, was du mir zu sagen hast?“ fragte sie, die Augen schließend. „Dann bitte ich dich, geh. Ich vermag dir nicht mehr zuzuhören.“ Er rückte vom Rande des Diwans zu ihr hin. „Also soll ich den Bericht an Pitt absenden?“ Sie zuckte auf, fiel gleich wieder zurück. Unbezwinglich kam der Schlaf über sie.
„Tu was du willst!“ murmelte sie. „Was kümmert mich Maria Carolina!“
Etwas knisterte. Mühsam hob sie ein wenig die Lider, sah, wie er das Papier aus seinem Schlafrock zog.
„Aber heute morgen ... Du machtest dir Vorwürfe ... Wenn du lieb sein wolltest ... wir könnten es dann an dem Lichte hier verbrennen!“ Die Augen fielen ihr wieder zu. Dumpf, wie aus weiter Ferne, drang seine Stimme zu ihr herüber. Alle ihre Gedanken flatterten davon. Wie Seifenblasen, die in nichts zerrannen.
Es kam der Schlaf, kam wohliges Dunkel, kam Vergessen ...
Oh, dieser Schrei ...
War das nicht Josiahs Stimme? ...
Nelson wandte sich nicht. Fest hielt er sie an der Hand. Ging mit ihr, durch brausenden Sturm, dem Lande zu. Endlos dehnte sich der graue Streifen der Brücke über der wilden Flut ...
Ach, und ihr brannten die Füße, wankten die Knie ...
War’s Mondlicht, was ihr durch die geschlossenen Lider drang?
In einer Barke fuhren sie dahin, über das mondglitzernde Meer, durch die schweigende Nacht ...
Weich war Nelsons Stimme ... heiß blickten seine Augen ... süß verstand sein Mund zu küssen ...
Sir William ...?
Er löschte das Licht. Dunkel war um sie ... Knirschend bäumte sie sich gegen ihn auf. Sank wieder zurück. Kraftlos, hilflos ...
Sechstes Kapitel
Nelson hatte Italien noch nicht gesehen. Alles war dem Seemanne, der fast sein ganzes bisheriges Leben auf dem Meere zugebracht hatte, hier unbekannt: das Land, das Volk, das Leben. Wie jene germanischen Barbaren der Vorzeit, die aus den Wäldern des Nordens herabstiegen, sah er staunend eine neue, schönere Welt sich zu seinen Füßen ausbreiten, von einer wärmeren Sonne bestrahlt, in leuchtenderen Farben prangend.
Sir William konnte sich ihm nur wenig widmen; die Politik nahm seine ganze Zeit in Anspruch. So blieb für Nelson nur Emma als Führerin.
Seltsam, daß Sir William es selbst war, der sie dazu drängte! Dachte er nicht mehr daran, was er von einer Neigung Maria Carolinas zu Nelson gesagt hatte? Oder war es von dem Ränkevollen nur erfunden, um Emma zu prüfen? Maria Carolina wenigstens zeigte nichts, was auf ein tieferes Interesse für Nelson schließen ließ. Sie zog ihn oft zur Tafel, räumte ihm den bevorzugten Platz an ihrer Seite ein, befahl ihm zu Ehren einen Galaabend im Theater San Carlo. Aber das konnte auch aus Rücksicht auf das Land geschehen sein, das er vertrat.
Ohne Mißton flössen die Tage für Emma dahin, während sie mit Nelson, Josiah und Tom Kidd die Stadt und ihre nächste Umgebung durchstreifte. Größere Ausflüge erlaubte Nelsons Pflichtgefühl nicht. Eine Nachricht konnte ihn plötzlich fortrufen; stets mußte der ‚Agamemnon‘ zu sofortigem Auslaufen bereit sein.
Als Emma Neapel zum ersten Male gesehen hatte, war ihre Seele voll Furcht und Sorge um die Zukunft gewesen, voll Leid, Haß und Kampf. Was hatte ihr da Neapel und die gepriesene Schönheit des italischen Paradieses gegolten?
Alles hatte Sir William ihr zwar gezeigt und erklärt, tieferen Anteil aber hatte es nicht in ihr erweckt. Ohne eine Spur in ihrer Seele zu hinterlassen, hatte es nur in ihrem Gedächtnis gehaftet.
Nun aber ...
Kam eine späte Jugend zu ihr? In diesem Lande, in dem alles ewige Jugend, ewige Schönheit war? Von diesem Manne, der in seiner Seele sich eine Kraft der Begeisterungsfähigkeit bewahrt hatte, mit der er selbst den knabenhaften Sohn beschämte?
Ach, sie glichen einander, Nelson und Emma! Niemals waren sie bisher wirklich jung gewesen. Er — aufgewachsen in hartem Seedienst, mühsam um jeden kleinsten Erfolg ringend. Sie — aus dem Elend hervorgegangen, durch Schmach und Erniedrigung sich ihren Weg zur Höhe bahnend ...
Wunderbar, wie sie einander verstanden! Als dächten sie dieselben Gedanken, fühlten dasselbe heiße Entzücken über die Schönheit, die sich vor ihnen auftat.
Nebeneinander herschreitend tauchten sie in die goldene Flut, badeten ihre Herzen froh, ihre Seelen jung ...
Nelson hatte sich Neapel Rom ähnlich vorgestellt. Emma zeigte ihm, daß es gänzlich von jenem verschieden war, eine Welt für sich.
Nicht über die Trümmer gesunkener Cäsarenpracht wanderten sie, hier hatte kein Bramante, kein Michel Angelo Wunderbauten mit unsterblicher Kühnheit aufgeführt, keine Gewalt der Päpste Paläste von Erz, Häuser von Marmor errichtet, kein venezianisches Gold mit römischer Verwegenheit1 unvergängliche Dämme ins Meer geworfen. Verschwunden war das Vergangene; Macht hatte allein das Gegenwärtige. Sanftgerundete Höhen stiegen statt prunkender Kuppeln empor, gotische Felsennadeln statt marmorner Säulen. Unwiderstehlich sprengte die ewig neuschaffende Natur jede fesselnde Kette, duldete nirgends die Hand des Künstlers.
Und wie die Natur, so das Volk. In ein Meer von Fülle und Schönheit versenkt, lebte es allein dem Genüsse der Gegenwart. Wucherte kraftvoll und ungezüchtet, wie die Reben des Posilipp. Schwelgte in Italiens ewig jungfräulichem Körper, wie das Volk Roms in Italiens unsterblicher Seele.
Oft verließen sie schon bei Tagesanbruch den Palazzo Sessa, mischten sich in das bunte Gewühl des Toledo, des Largo del Castello, der Chiaja, des Strandes der heiligen Lucia.
Überall hatten Taschenspieler, schwarze Pulcinelli, weiße Pagliazzi2 bereits ihre Bühnen aufgeschlagen, von denen sie mit unversiegbarem Witz das Volk belustigten; Priester und Mönche sammelten Tausende von Zuhörern durch die glatte Behendigkeit ihrer Zungen; schreiend, lachend, feilschend trieben sich Makler, Kleinkrämer, Fischer, Calessaren umher, bevölkerten die Sorbetterien und Kaffeebuden, vor denen Kuchenbäcker auf zweiräderigen Karren ihre Waren bereiteten und feilboten.
Dazwischen das seltsame Wesen der Lazzaroni. Ohne Haus noch Heim, mit offener Brust und unbedecktem Kopf, in ein paar Leinenfetzen gekleidet, lehnten sie sorglos den ganzen Tag an den Häusern, den Straßenecken. Warteten bis der Zufall ihnen einige Kupfermünzen zuwarf. Von Natur treu, gutmütig, genügsam, waren sie stets bereit, um des heiligen Glaubens willen zu morden, Feuer anzulegen, zu rauben, zu stehlen. Ohne nach den Gründen der Dinge zu fragen, legten sie jedem