Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher
Dieses hohnvoll schadenfrohe Lächeln, das in einem boshaften Kichern endete ...
Immer wieder peitschte es Emma aus ihrer mühsam erkämpften Ruhe auf, goß Zorn in ihr Blut, jagte hetzende Gedanken durch ihr Hirn ...
Wenn sie ihm gleiches mit gleichem vergalt, ihn betrog, ihm den Schimpf des entweihten Bettes ins Gesicht schleuderte? Würde er selbst dann als Held jenes menschlichen Possenspiels Philosoph genug sein, auch sein eigenes Narrentum spöttisch zu belächeln?
Die Männer des Hofes lagen vor ihr auf den Knien, der König selbst suchte ihr Auge mit verstohlenem Blick. Ungestraft konnte sie es wagen ...
Warum tat sie es nicht? War noch immer etwas von der bürgerlichen Ehrbarkeit ihrer Kindheit in ihr, daß sie sich gegen diese neue Lüge empörte? Denn eine Lüge würde es sein, wenn sie einem Manne Liebe erwies. Niemals wieder vermochte sie zu lieben. Ihr Herz war tot ...
Dennoch —
Von jenem verbrecherischen Spiel ihrer Phantasie mußte wohl etwas Fremdes, Dunkles in ihr zurückgeblieben sein, das in unbewachten Augenblicken immer wieder auftauchte ...
Bei den rauschenden Festen des Hofes ... in den schattigen Laubgängen der Parks ... auf den nächtlichen Fahrten über den im Mondlicht flimmernden Golf, während aus dahingleitenden Barken sehnsüchtige Lieder an ihr Ohr drangen, flüsternde Stimmen, das leise Geräusch verstohlener Küsse ...
Drängend quoll es dann in ihr empor, wie eine Frage. Sie nahm sie mit in das Menschengewimmel ihrer sterbensmüden Tage, in die Einsamkeit ihrer fieberdurchschauerten Nächte. Suchte die Antwort. Sehnte sich nach ihr, fürchtete sich vor ihr. War voll Verzweiflung, daß sie sie nicht fand ...
Was war es nur? Was war es mir?
***
„Neapel, 10. September 1793.“
Als Sir William das Datum des Tages auf den Bericht setzte, drang vom Hafen der Schall eines Kanonenschusses herauf. Gleich darauf trat nach einem anmeldenden Klopfen der Erste Sekretär der Gesandtschaft ins Zimmer.
„Um Vergebung, Exzellenz, wenn ich störe! Die Hafenstation meldet, daß der ‚Agamemnon‘ von Admiral Hoods Geschwader aus Toulon soeben einläuft. Gleichzeitig ist der Kabinettskurier Ferreri gekommen. Majestät lassen Exzellenz um Ihren Besuch bitten.“
Sir William lachte.
„Das glaub’ ich! Er wird nicht wenig in Angst gewesen sein, bis der ‚Agamemnon‘ seine Flagge zeigte. Wenn’s ein Franzose gewesen wäre ... Erinnern Sie sich an das Renkonter vor neun Monaten, Mr. Clarke? Nein? Richtig, damals waren Sie noch nicht hier!“
Und in schadenfroher Breite erzählte er ihm die Geschichte, die den Hof von Neapel vor ganz Europa gedemütigt hatte. Latouche-Tréville, der französische Admiral, war mit einer Flotte im Hafen erschienen, hatte Anerkennung der Republik und Genugtuung für einen Schimpf gefordert, der dem französischen Gesandten in Stambul durch Maria Carolinas Politik angeblich widerfahren war. Die Botschaft hatte er nicht einem seiner Offiziere, sondern einem gemeinen Grenadier Belleville anvertraut, der den königlichen Bourbonen wie einen Rekruten behandelt hatte. Um eine Beschießung der Stadt abzuwenden, hatte Ferdinand sich demütig entschuldigen und die französischen Offiziere zu einem Versöhnungsfeste an Land einladen müssen. Als ‚Republikaner‘ aber hatten diese jede Berührung mit dem ‚Despoten Neapels‘ zurückgewiesen.
„Der Grenadier hat dem Könige eine heillose Angst vor den Franzosen eingejagt“, schloß Sir William lachend. „Kein Wunder, daß er vor den Nachrichten aus Toulon zittert! Sagen Sie also Ferreri, ich würde vor Seiner Majestät erscheinen. Und sehen Sie, bitte, im Register nach, was für ein Schiff der ‚Agamemnon‘ ist und wer es kommandiert! Damit ich etwas habe, Seiner neugierigen Majestät die Zeit des Wartens zu vertreiben.“
Der Sekretär öffnete ein Aktenstück, das er in der Hand hielt.
„Ich sah Euerer Exzellenz Frage voraus und habe das Register mitgebracht. Der ‚Agamemnon‘ ist ein Linienschiff von vierundsechzig Kanonen unter dem Befehl des Kapitäns Nelson, am 11. Mai dieses Jahres von Spithead abgesegelt und Anfang August zu Lord Hoods Geschwader gestoßen, um im Verein mit den Spaniern unter Admiral Langara Marseille und Toulon zu blockieren.“
Mit einer plötzlichen Bewegung unterbrach ihn Emma.
„Nelson heißt der Kapitän? Horatio Nelson?“
Mr. Clarke sah nochmals im Register nach. „Horatio? Zu Befehl, Exzellenz. Er heißt Horatio.“
„Kennst du ihn?“ fragte Sir William.
Sie zeigte ihm ein gleichgültiges Gesicht.
„Ich kenne ihn nicht, muß aber den Namen schon einmal gehört haben.“
„Steht Näheres über ihn in den Akten, Mr. Clarke?“
„Nur wenig, Exzellenz. Als Sohn des Pfarrers von Burnham-Thorpe ist er mit zwölf Jahren 1771 in die Marine eingetreten, hat 1773 eine Entdeckungsreise nach dem Polarmeer mitgemacht und wurde 1779 Postkapitän in Westindien, wo er das spanische Fort San Juan eroberte. 1780 kehrte er nach England zurück, um sich in den Bädern von Bath von einer Lähmung heilen zu lassen. 1781 trat er wieder in Dienst, geriet 1784 in Westindien bei der Durchführung der Navigationsakte gegen die Nordamerikaner in einen Konflikt mit seinen Vorgesetzten ...“
„Ach ja, ich erinnere mich!“ unterbrach Sir William. „Er deckte Unterschleife bei den Schiffswerften auf. Ein verdienstvoller Mann! Geben Sie also Ferreri Bescheid und halten Sie einen Kurier nach London bereit. Der ‚Agamemnon‘ bringt vielleicht Nachrichten, die wir an das Auswärtige weitergeben müssen.“ Er wartete, bis der Sekretär das Zimmer verlassen hatte. Dann wandte er sich zu Emma. „Willst du Pitt das Märchen chiffrieren? Der Kurier kann es mitnehmen.“
Sie sah ihn starr an.
„Du bestehst darauf?“
Aufmerksam betrachtete er sie. Ein Lächeln umspielte seine dünnen Lippen.
„Ist es nicht meine Pflicht?“
Sie nickte kalt, setzte sich an den Schreibtisch, fing an zu chiffrieren. Aber Sir William ging noch nicht. Etwas schien ihn zurückzuhalten. Sie wußte, was es war. Kannte das Lächeln, mit dem er sie angesehen hatte.
Seine Gegenwart machte sie ungeduldig. Gehen sollte er endlich. Allein wollte sie sein, überlegen.
Nelson kam ...
Unwillkürlich gab sie der Frage Worte, dir in ihr brannte.
„Und der Kapitän des ‚Agamemnon‘ ... ich frage wegen der Vorbereitungen ... wirst du ihn in der Gesandtschaft empfangen?“
„Gesellschaftlich? Diese Seeleute mit ihren Flüchen und Trinkermanieren — unmöglich! Zudem hat der Mann mit seinen westindischen Enthüllungen sich die Admiralität verfeindet. Ein sogenannter Weltverbesserer, der mit dem Kopf durch die Wand geht. Das hält man sich am besten vom Leibe!“ Er hatte ihre Frage benutzt, um zu ihr zu kommen. Nun stand er neben ihr, starrte auf sie nieder. Plötzlich beugte er sich zu ihr herab, mit flackerndem Blick, gepreßtem Atem. „Ist dir daran gelegen, daß Pitt das Märchen nicht erfährt? Vielleicht ... wenn du lieb zu mir wärest ...“
Er hatte ihre Hand ergriffen, bedeckte sie mit leidenschaftlichen Küssen. Sie litt es, ohne sich zu rühren. Aber als er, kühn gemacht durch ihre Duldung, den Arm um ihren Leib legte, fuhr sie auf, bog den Kopf zurück, wich seinen Lippen aus.
„Nicht! Ich will nicht!“ Dann besann sie sich, daß sie seine Frau war, und daß sie ihm schon öfter ihre Gunst für die Gewährung eines Wunsches verkauft hatte. Mühsam suchte sie zu lächeln. „Verzeih ... ich bin müde ... der Kopf schmerzt mich ... ein andermal ...“
Matt hielt sie ihm den Mund hin. Aber während er sie küßte, ballte etwas wie ein Krampf ihre herabhängenden Hände ...
Zweites Kapitel
Endlich