Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit. Marie Brennan
schenkte ihm ein Lächeln und hoffte, dass er nicht bemerken würde, dass sie gerade erst damit angefangen hatte, schwarzes Blei in die Eisenstäbe des Kamingitters zu reiben, wenn sie eigentlich beinahe fertig sein sollte. Sayers lächelte zurück und hielt ein Paar feiner knöchelhoher Stiefel hoch. »Ich bringe die nur zurück«, sagte er.
»Ich hoffe, sie waren nicht zu schwierig sauberzumachen«, sagte Eliza. Der Klatsch von Bediensteten war ihre andere große Hoffnung, irgendetwas zu erfahren. Sie wussten weit mehr über ihre Herren und Herrinnen, als jene Arbeitgeber gerne in Betracht gezogen hätten. Aber Mrs. Fowler, die ihre Mahlzeiten überwachte, hatte wenig Toleranz für müßiges Geplauder, und wenn Eliza abends zu Bett ging, war sie viel zu müde, um Ann Wick zu befragen, das obere Hausmädchen, deren Zimmer sie teilte. In der Hoffnung, etwas aus Sayers herauszubekommen, fügte sie an: »Nach dem, was ich gehört habe, kann Miss Kittering schrecklich mit ihrem Eigentum umgehen. Ein echter Wildfang ist die.«
Der Hausdiener zuckte mit den Schultern und ging an ihr vorbei. »Ich schätze schon.« Eliza beobachtete ihn genau, als er die Schranktüren aufmachte und die Stiefel beiläufig auf das untere Regal warf. Sie betete, dass er nichts bemerken würde, was nicht am richtigen Platz war. Dann sah sie, dass ihr Lumpen immer noch auf dem Stuhl lag, und sah ruckartig zurück zum Gitter, während sie stumm fluchte. Aber Sayers sagte nur: »Wenn du möchtest, könnte ich deine Schuhe für dich putzen. Du hast so hübsche Knöchel.«
Eine Hand legte sich auf Elizas Wade, die frei lag, weil sie kniete, um ihre Arbeit zu tun, und sie zuckte überrascht zusammen. Ihr Ärmel fing sich am Knauf der Aschepfanne. Für einen Augenblick kam sie aus dem Gleichgewicht und stürzte beinahe. Sayers fing sie auf, und Eliza ließ in ihrer Eile, sich von ihm zu befreien, die Bürste fallen. »Mr. Sayers …«
»Bitte, nenn mich Ned.« Er lächelte sie an.
Eliza gefiel dieses Lächeln überhaupt nicht. Hausmädchen konnten hinausgeworfen werden, wenn sie etwas mit Männern anfingen. Vielleicht war Mrs. Kittering nicht allein an all den Abgängen schuld. Doch wenn sie ihn wütend auf sich machte, konnte das ebenfalls Schwierigkeiten bereiten. »Ich bin mit meiner Arbeit schon hinterher«, sagte sie, womit sie der Frage auswich, welchen Namen sie benutzen sollte. Als sie die Bürste aufhob, runzelte sie die Stirn. Diese war von der Plane gerollt, die sie abgelegt hatte, und hatte Schlieren aus öligem schwarzem Blei auf dem Boden hinterlassen. Dann schluckte sie einen Fluch auf Irisch hinunter, als sie sah, dass sie auch etwas davon auf die Hände bekommen hatte. Selbst wenn Sayers hinausgehen würde, sie würde nicht zu jenen versteckten Flugblättern zurückkehren können. Sie würde überall schmutzige Fingerabdrücke hinterlassen.
»Du wirst immer hinterher sein. Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und Mrs. Kittering wird unerfreut über alles sein, was du nicht fertiggemacht hast. Was ist etwas mehr davon im Tausch gegen ein bisschen Spaß?«
Das traf sie bis ins Mark. Sayers hatte mit der Arbeit recht. Dieses Haus war so groß und das Personal ständig überarbeitet, sodass Eliza feststellte, dass sie in jeder wachen Minute beschäftigt war. Ein abschweifender Gedanke ließ sie sich fragen, wie tief Miss Kittering schlief, und das schockierte sie so sehr, dass sie wieder vernünftig wurde: Wenn sie in Betracht zog, nachts ins Zimmer der jungen Frau zu schleichen, dann hatte sie jedes bisschen Vernunft verloren.
Alles davon machte Elizas Tonfall härter, als vielleicht klug war, als sie sagte: »Ich brauche diese Stelle, Mr. Sayers. Mrs. Kittering mag zwar unerfreut sein, egal was ich tue, aber das ist kein Grund für mich, absichtlich dazu beizutragen.«
Sayers runzelte die Stirn. Sie konnte sich kaum dazu bringen, sich darum zu scheren. Sicherlich würde jeder Ärger, den er machte, Zeit brauchen, um ihr wirklich Probleme zu bereiten, und sie hatte nicht vor, lange genug hierzubleiben, um ihm eine Gelegenheit zu geben. Was wichtig war, waren Miss Kittering und ihre Geheimnisse.
»Ich hatte dich für ein freundlicheres Mädchen gehalten«, sagte er.
Eliza lachte ihm beinahe ins Gesicht. Fergus Boyle hatte einmal ziemlich dasselbe zu ihr gesagt, und sie wusste genau, welche Art »Freundlichkeit« sie aus ihr zu locken versuchten. Aber nein. Wenn ich lache, wird er wirklich wütend, und das sollte ich vermeiden, wenn ich kann.
»Es tut mir leid, Mr. Sa… Ned. Es ist nur so, dass das Leben in letzter Zeit furchtbar hart für mich war und diese Stellung das größte Glück ist, das ich seit Ewigkeiten hatte. Ich traue mich nicht, sie zu riskieren. Bitte verzeih mir.«
Sein Vorname blieb ihr fast im Hals stecken, ebenso die Entschuldigung, aber das hatte die gewünschte Wirkung. Der harte Gesichtsausdruck des Hausdieners wurde zu einer sanfteren Miene. Und er bot nicht einmal an, ihr das Leben leichter zu machen – noch nicht zumindest. Eliza hegte wenig Zweifel, dass solche falschen Versprechungen kommen würden. »Wie könnte ich einem so hübschen Gesicht nicht verzeihen?«, fragte er – und überspannte die Wahrheit fast bis zum Zerreißen, denn Eliza wusste selbst, dass sie keine Schönheit war. Ihr Leben war dafür viel zu hart gewesen.
Als die Tür ein zweites Mal aufging, war sie nicht sicher, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte, denn sie war sicher, dass es Mrs. Fowler sein würde, die käme, um Eliza zu ohrfeigen, weil sie so langsam war. Aber die Gestalt in der Tür war einen halben Fuß kleiner, halb so breit wie die Haushälterin und zehnmal besser gekleidet: Miss Louisa Kittering persönlich.
Eliza schoss auf die Füße und knickste. Sayers erhob sich träger, und obwohl er hinter Eliza außerhalb ihres Blickfelds stand, war sie sicher, dass er sein Lächeln bei Miss Kittering probierte, denn der Mund der jungen Frau verzog sich angeekelt. »Hast du keine Arbeit zu erledigen?«, fragte sie ihn.
»Natürlich, Miss.« Er besaß die Dreistigkeit, Eliza in den Hintern zu zwicken, als er hinausging. Sie erstarrte, dann riss sie sich zusammen und knickste wieder. »Ich habe gerade das Gitter poliert, Miss. Ich komme später zurück …«
»Nein, hilf mir beim Umziehen.« Miss Kittering schloss die Tür wieder und warf ihre Haube unaufmerksam Richtung Bett. Sie flog nicht weit genug und rollte über den Teppich.
Mit dem schwarzen Blei an ihren Fingern wusste Eliza, dass sie nach Lucy, der Zofe, rufen sollte. Aber dies war eine zu prächtige Gelegenheit, um sie verstreichen zu lassen. Mrs. Kittering war versessen auf das Thema, dass Bedienstete nur gesehen werden sollten, wenn sie gebraucht wurden, und idealerweise überhaupt nie gehört werden sollten, was bedeutete, dass sie vielleicht nie eine weitere Chance haben würde, mit der jungen Frau zu sprechen.
Also holte sie ihren Lumpen vom Stuhl, während Miss Kittering ihr den Rücken zudrehte, und schrubbte ihre Finger fest, bis das schwarze Blei sich nicht länger bei jeder Berührung löste. »Ein Spazierkleid«, sagte die junge Frau und zog ihre eleganten kleinen Schuhe mit einem Seufzen aus. Eliza ging zum Kleiderschrank und holte eines heraus, während sie hoffte, dass sie sich gut genug an die Feinheiten von Damenkleidung erinnerte, um das richtige gewählt zu haben.
»Es ist ein herrlicher Tag zum Spazierengehen«, sagte sie zu Miss Kittering. Nicht, dass sie ihre Nase aus dem Haus gesteckt hätte, abgesehen davon, Lieferungen an der Kellertür abzuholen, aber die letzten zwei Tage waren ihr viel wärmer vorgekommen, und es hatte sogar etwas Sonnenschein gegeben.
Miss Kittering machte als Antwort ein wenig begeistertes Geräusch. Fest entschlossen, mehr als das aus ihr herauszubekommen, fragte Eliza: »Gehen Sie dann zum Hyde Park?«
»Kensington Gardens«, sagte die junge Frau. Sie bückte sich, um sich im Spiegel zu betrachten, und glättete ihr glänzendes blondes Haar, dann richtete sie sich auf, sodass Eliza die Rückenseite ihres Morgenkleids aufknöpfen konnte. »Mamas Idee natürlich. Sie würde mich in einem Gewitter hinausschicken, wenn Mr. Twisleton-Wykeham-Fiennes fragen würde.«
»Wer?« Eliza biss sich einen Augenblick, nachdem ihr die Frage herausgerutscht war, auf die Lippen. Sie konnte nicht anders, der Name war so absurd lang.
Miss Kittering kommentierte ihre Unhöflichkeit nicht. »Der älteste Sohn von Baron Saye and Sele. Nur ein Baron, wie Mama es ausdrückt – ›aber wenigstens ist es keine neue Baronie.‹« Sie sprach diese letzten Worte in perfekter Imitation des Tonfalls