Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit. Marie Brennan

Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit - Marie  Brennan


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      Das Herz des Skrikers pochte hart gegen seine Rippen. »Zur Hölle mit dir. Er hat gar nichts von der Art. Meinst du nicht, wir würden es wissen, wenn er das hätte?«

      »Das kommt darauf an. Je länger Nadrett wartet, desto größer wird die Verzweiflung. Desto mehr werden Fae für die Rettung, die er anbietet, bezahlen. Aber ich vermute, dass er es noch nicht hat. Eine neue Passage ins Feenland kann keine simple Sache sein, oder klügere Köpfe als seiner hätten es mittlerweile herausbekommen. Man hat es jedenfalls versucht. Nein, ich glaube, dass Nadrett für seine eigenen Ziele arbeitet und kurz vor einem Erfolg steht.«

      Es war unnötig zu fragen, warum der Fremde diese Information wollte. Sie wäre wertvoller als Brot, mächtiger als der leere Thron des Onyxhofs. Aber … »Und wie genau soll ich das für dich herausfinden?«

      »Schrittweise. Hast du je von einem Kerl namens Rewdan gehört?« Der Tote Rick schüttelte den Kopf, dann wurde ihm klar, dass die Stimme vermutlich keine Möglichkeit hatte, ihn zu sehen, und er wiederholte die Verneinung laut. »Ich möchte, dass du ihn für mich findest. Gerüchte besagen, dass er ins Feenland gezogen ist – aus irgendeinem fremden Land – und auf Nadretts Befehl zurückgekehrt ist. Ich wüsste gern, warum.«

      Der Tote Rick leckte sich über die Lippen. Er sollte besser seinen Mund halten, aber er musste fragen. »Warum mich schicken? Wenn du den Markt kennst, dann weißt du, dass es einen Kerl namens Valentin Aspell gibt. Er kauft und verkauft diese Art von Informationen jeden Tag.«

      »Was bedeutet, dass er sich jederzeit umdrehen und die Nachricht, dass ich das frage, jemand anderem verkaufen könnte. Du andererseits bist verzweifelt genug, um mir zu helfen, und kannst sehr wenig gewinnen, indem du mich verrätst.«

      Das war tatsächlich wahr. Trotzdem … »Nadrett könnte es aber herausfinden. Ich bin nicht so subtil.«

      »Dann gib dir mehr Mühe.«

      Die verärgerte Antwort war ein kleiner Sieg, und der Tote Rick fragte sich, ob der Sprecher das bemerkte. Zum ersten Mal hatte er den Fremden in eine Antwort gedrängt, die nicht vorbereitet gewesen war. Diese fünf Worte haben mir mehr über seine wahre Natur verraten als alles, was er davor gesagt hat. Wer auch immer dieses Phantom war, er war daran gewöhnt, Befehle zu erteilen, und hatte wenig Geduld mit Narren. »Ich werde tun, was ich kann«, versprach der Tote Rick. »Wenn ich etwas habe, wie werde ich es dir erzählen?«

      Was danach folgte, war beinahe so verräterisch wie die fünf Worte. Der Fremde erlangte seine Fassung blitzschnell zurück. »Nadrett lässt dich in den Nachtgarten. Es wird keinen Verdacht erregen, wenn du dorthin gehst. Begrab einen Knochen in der Nähe des alten Pavillons, und ich werde kurz danach wieder hier mit dir sprechen.«

      »Nein«, antwortete der Tote Rick sofort. Teilweise, weil die Wahl dieses Signals sich wie Spott anfühlte, doch hauptsächlich deshalb, wie das Gespräch angefangen hatte. »Ich habe dir gesagt, dass du verschwinden sollst, und das habe ich so gemeint.«

      Die Ungeduld war zurück, und zwar stärker. »Willst du über alles, was ich sage, diskutieren? Es gibt nichts sonst auf dem Goblinmarkt, was man auch nur annähernd als sicher betrachten könnte. Jeder in diesem Labyrinth würde mit Freude die Neuigkeit über deine Betätigung für einen Bissen sterbliches Brot verkaufen. Wenn du den Markt zu regelmäßig verlässt, wird es Nadretts Aufmerksamkeit erregen, und das wäre ebenso abträglich für meine Pläne. Wenn du darauf bestehst, dein Territorium zu verteidigen, dann werde ich dir versprechen, erst bei deinem Signal zurückzukehren – aber ich werde nur wegen deiner Hundeinstinkte keine sinnlosen Risiken eingehen.«

      Der Tote Rick biss die Zähne zusammen. Der Bastard hatte recht. Egal wie wenig das dem Skriker gefiel. »Erst bei meinem Signal.«

      Giftig sagte der Fremde: »Lass dir nur nicht zu viel Zeit.«

      Dann Schweigen. Der Tote Rick wartete, völlig unbewegt, alle Sinne angespannt, aber da kam nichts mehr.

      Er atmete langsam aus und wurde sich bewusst, dass sein Herz doppelt so schnell schlug wie normal. »Verdammter Scheißehaufen«, murmelte er und verwandelte sich in seine Hundeform, ehe er den ganzen Raum umkreiste und in jede letzte Ecke schnüffelte. Nichts als kaltes Gestein und sein eigener Geruch, also ließ er sich schließlich in wachsamer Haltung auf seinen Deckenhaufen sinken, von wo aus er den Eingang beobachten konnte.

      Er konnte keinem bisschen davon vertrauen. Aber der Tote Rick war gerade verzweifelt genug, um dennoch einzuwilligen. Und wer auch immer dieser Fremde war, er wusste das.

      Nun, es war sinnlos, Zeit zu verschwenden. Der Tote Rick verwandelte sich wieder in einen Mann und machte sich auf die Jagd nach Rewdan.

      CROMWELL ROAD, SOUTH KENSINGTON

       24. März 1884

      Der bloße Anblick von Cromwell Road Nr. 24 reichte beinahe, um Eliza aufgeben zu lassen.

      Sie fühlte sich schon unwohl, wenn sie einfach in South Kensington herumlief. Das hier war die Gegend, wo die Weltausstellungen von ’51 und ’62 abgehalten worden waren, und die Leute, die um sie herum lebten, waren extravagant genug, um dazu zu passen.

      Doch selbst nach den Maßstäben der Gegend waren die Häuser entlang dieses Stücks der Cromwell Road furchteinflößend. Ihre Fassaden hatten fünf Fenster, erstreckten sich doppelt so breit wie bei einem gewöhnlichen Haus und ragten volle vier Stockwerke plus Speicher auf, alles davon strahlend weiß, sogar im schmutzigen Nebel von London. Die Eingänge mit den Säulen wirkten wie eine Reihe Mäuler, die alle darauf warteten, sie zu verschlingen.

      Wenn sie durch eine jener Türen hineingegangen wäre, hätten ihre Nerven vielleicht gänzlich versagt. Aber jene waren nie für Bedienstete. Stattdessen ging sie zum westlichen Ende der Häuserzeile, wo Nr. 35 in all seiner Pracht stand, und fand die Treppe, die zum Dienstboteneingang hinunterführte. Ehe sie die Weisheit ihres Plans infrage stellen konnte, hastete Eliza die Treppe hinab und klopfte an die Kellertür.

      Sie öffnete sich beinahe sofort und gab den Blick auf ein hageres Mädchen von vielleicht zwölf Jahren frei. Ihre Hände, rot vom heißen Wasser und ätzender Seife, verrieten sie als Wäscherin. »Entschuldige«, sagte Eliza, »ich bin hier, um mich auf eine Stelle zu bewerben.«

      Das Mädchen winkte sie schweigend hinein. Eliza trat in einen schmalen Windfang, dann folgte sie dem Mädchen durch einen düsteren Keller, der größer war als das gesamte Haus mancher Leute. Überall um sie herum hörte Eliza Menschen arbeiten. Wie viele Angestellte musste ein solches Haus beschäftigen?

      Als sie einen Raum betraten, der von einem schweren Klapptisch dominiert wurde, knickste das Mädchen und sprach zum ersten Mal. »Mrs. Fowler, hier ist jemand, der mit Ihnen sprechen will.«

      Eine Frau saß an einem Ende des Tisches und zählte einen Stapel feiner Leinenservietten durch. Wie der Tisch war sie schwer gebaut, mit einem Gesicht wie weicher Teig und Augen wie Granitsplitter. Eliza hoffte, dass sich ihre Nervosität nicht zeigte, machte den Knicks der Wäscherin nach und sagte: »Guten Tag, Ma’am. Ich heiße Elizabeth White und habe gehört, dass Sie eine Stelle für ein Hausmädchen frei haben.«

      Diese Information zu bekommen, war nicht schwierig gewesen, nicht, nachdem sie herausgefunden hatte, wo die Familie Kittering wohnte. Bedienstete tratschten hier ebenso viel wie in Whitechapel. Sogar noch mehr, weil es so viele von ihnen gab. Eliza hatte es für eine unvorstellbare Glückssträhne gehalten – anfangs. Bald hatte sie festgestellt, dass im Kittering-Haushalt freie Stellen normal waren.

      Mrs. Fowler, die Haushälterin der Kitterings, sagte zuerst gar nichts, sondern zählte weiter Servietten. Erst als sie fertig war, stand sie auf und sagte: »Folgen Sie mir, Miss White.«

      Die Haushälterin führte sie weiter durch den Keller zu dem Raum, der offenbar sowohl als ihr Schlafzimmer als auch als ihr Büro diente. Er hatte seinen eigenen kleinen Kohlenofen und Gaslampen, die Mrs. Fowler heller drehte – ein Luxus, der Eliza fast die Augen aus dem Kopf fallen ließ. Der Raum selbst war komfortabel eingerichtet,


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