Der Erste Weltkrieg. Dr. Karl Theodor Helfferich
des deutsch-französischen Verhältnisses unterbrochen. Dann ließen der türkisch-italienische Krieg und der Balkankrieg ein weiteres Zuwarten als geboten erscheinen. Erst im Frühjahr 1913 konnten die Fäden mit Nutzen wiederaufgenommen werden.
Meine Anwesenheit in Paris gab Gelegenheit, die deutschfranzösische Verständigung über die türkischen Geschäfte wieder in Fluss zu bringen. Die Vorfrage der französischen Stellung im Bagdadgeschäft wurde dieses Mal zu einer klaren Entscheidung gebracht. Nachdem ich Herrn Revoil erneut die Alternative: "ou collaboration loyale, ou séparation nette" gestellt hatte, erklärte dieser, mir nach Befragung des Ministers des Auswärtigen eine klare Antwort geben zu wollen. Nach einigen Tagen brachte er mir den Bescheid des Quai d'Orsay; er lautete — wie mir Herr Revoil versicherte, zu seinem großen persönlichen Bedauern — auf "séparation nette".
Auf Grund der damit gegebenen Entscheidung wurden dann die Verhandlungen über den ganzen Fragenkomplex in Berlin unter Mitwirkung des französischen Botschafters, eines Vertreters des französischen Ministeriums des Auswärtigen und des Vizegouverneurs der Bank von Frankreich fortgesetzt. Am 15. Februar 1914 konnten die Verträge paraphiert werden. Sie trafen Vereinbarungen über das Ausscheiden der französischen Gruppe aus dem Bagdadunternehmen und über den Ausbau der von beiden Gruppen in der asiatischen Türkei betriebenen und geplanten Eisenbahnsysteme, ferner Bestimmungen über die Anschlusspunkte, über die das gemeinschaftliche Interesse beider Eisenbahnsysteme berührenden Tariffragen, über eine den finanziellen Kräften der Türkei angepasste zeitliche Staffelung der Ausführung neuer Eisenbahnbauten und schließlich über ein Zusammenwirken bei der Sicherung der infolge des Balkankriegs gefährdeten türkischen Anleihen und bei der Konsolidierung der türkischen Finanzen. Das Inkrafttreten des Abkommens war abhängig gemacht von dem Zustandekommen der Abmachungen, über die damals sowohl von der deutschen wie auch von der französischen Gruppe mit der türkischen Regierung verhandelt wurde. Ferner bestand natürlich ein enger Zusammenhang zwischen den deutsch-französischen Abmachungen und den Vereinbarungen, die damals zwischen Deutschland und England in Sachen der beiderseitigen Unternehmungen in Kleinasien und Mesopotamien zur Diskussion standen.
Die Verständigung mit England über die vorderasiatischen Fragen
Zwischen Deutschland, England und der Türkei hatte die Bagdadfrage seit dem Abschluss der Verträge über den Ausbau der Bahn bis Bagdad (März 1911) zunächst geruht. Die durch das Eingreifen Lloyd Georges so scharf zugespitzte Marokkokrisis ließ auf englischer Seite die Neuaufnahme von Verhandlungen wohl nicht als zeitgemäß erscheinen, während man auf der deutschen Seite sich sagen konnte, dass jeder Kilometer Bahnstrecke, der neu in Betrieb kam — und es wurde trotz aller Erschwernisse der ungünstigen Zeit mit aller Energie gebaut — , die eigne Position für jede künftige Auseinandersetzung verbessere. Die Besprechungen zwischen Lord Haldane und der deutschen Regierung im Frühjahr 1912 schienen den Boden für eine Verständigung, wie in den afrikanischen Kolonialfragen, so auch in den vorderasiatischen Fragen, zu ebnen. Freiherr von Marschall, der im Frühjahr 1912 als Botschafter von Konstantinopel nach London geschickt wurde, brachte für Verhandlungen über türkische Angelegenheiten eine ganz besondere Eignung mit. Leider ist es zwischen Baron Marschall und Sir Edward Grey nur zu einleitenden Unterhaltungen gekommen; denn wenige Monate nach seiner Ernennung erlag Marschall einer schweren Krankheit. Sein Nachfolger wurde der Fürst Lichnowsky, dem die türkischen Angelegenheiten fernlagen und der ihre Bearbeitung im Wesentlichen seinem Botschaftsrat, Herrn von Kühlmann, dem späteren Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, überließ.
Die Verhandlungen über den Präliminarfrieden, der dem ersten Balkankrieg ein Ziel setzte, führten den früheren Großwesir Hakki Pascha als Bevollmächtigten der Türkei nach London. Hakki Pascha, einer der intelligentesten und jedenfalls der kenntnisreichsten der türkischen Staatsmänner, war bestrebt, seinen Londoner Aufenthalt zu einer völligen Bereinigung der zwischen der Türkei und England schwebenden Fragen zu benutzen, und er war entschlossen, für eine Klärung des türkisch-britischen Verhältnisses nötigenfalls auch Opfer zu bringen. Insbesondere in der Bagdadfrage hatte Hakki Pascha von langer Hand eine solche Politik vorbereitet. Er war es, der als Großwesir gelegentlich des Abschlusses der Verträge vom März 1911 sich von uns die Erklärung der Bereitwilligkeit zur Übertragung der Konzessionsrechte an der Südstrecke der Bagdadbahn an eine neu zu errichtende Gesellschaft hatte ausstellen lassen.
Aus den Besprechungen zwischen Sir Edward Grey und Hakki Pascha, über deren Verlauf die deutsche Botschaft von beiden Seiten unterrichtet wurde, ergab sich, dass die britische Regierung im Wesentlichen folgende Ziele im Auge hatte:
Erstens die Regelung der das Nordufer des Persischen Golfes, namentlich das Gebiet von Kuweit, betreffenden Fragen im Sinne der alten englischen Ansprüche.
Zweitens die Erlangung eines Schifffahrtsmonopols auf dem Euphrat und Tigris für eine neuzugründende türkische Gesellschaft, in der das englische Kapital und der englische Einfluss vorherrschend sein sollten.
Drittens die Zusage, dass auf der Bagdadeisenbahn jede Differenzierung in den Bedingungen des Güterverkehrs zugunsten oder Ungunsten der Waren irgendeiner Nationalität, Herkunft oder Bestimmung ausgeschlossen sein solle.
Der erste Punkt dieser Forderung umschloss die Herbeiführung des Verzichts der Bagdad-Eisenbahn-Gesellschaft auf die Heranführung ihres Stranges bis unmittelbar an den Persischen Golf und auf die Errichtung und den Betrieb eines Hafens am Persischen Golf. Dagegen zeigte sich die britische Regierung, die früher stets die Kontrolle über die ganze Bahnstrecke südlich von Bagdad als ihre Mindestforderung aufgestellt hatte, jetzt für den Fall des erwähnten Verzichtes bereit, der Bagdad-Eisenbahngesellschaft für den Ausbau ihrer Hauptlinie bis zu der am Schott el Arab, dem Zusammenfluss des Euphrat und Tigris, gelegenen Stadt Basra keine weiteren Schwierigkeiten zu machen.
Auf dieser Grundlage erschien eine für die deutschen Interessen an der Bagdadbahn erträgliche Einigung möglich. Der Schott el Arab wurde damals schon von den Schiffen der Hamburg-Amerika-Linie, die einen regelmäßigen Dienst nach Basra eingerichtet hatte, ebenso von den Schiffen der British India Steamship Navigation Company und anderen Schifffahrtsgesellschaften bis Basra befahren. Das Haupthindernis, die dem Schott vorgelagerte Barre, konnte von diesen Schiffen zur Flutzeit passiert werden. Nach dem Urteil der Sachverständigen ist ohne allzu große Schwierigkeiten und Kosten eine Ausbaggerung möglich, die auch für Schiffe mit großem Tiefgang eine jederzeit benutzbare Fahrrinne schafft. Unter der Voraussetzung, dass die nötigen Vorkehrungen für die Schiffbarmachung und die dauernde Schiffbarerhaltung des Schott el Arab vom Golf bis Basra getroffen, sowie ferner, dass ausreichende Sicherheiten für die dauernde Freiheit der Schifffahrt auf dem Schott geschaffen würden, konnte man sich auf deutscher Seite vom verkehrstechnischen Standpunkt aus mit einem Verzicht auf die in der Bagdadkonzession vorgesehene Linie von Basra bis zum Golf abfinden.
Politische Voraussetzung war die Zustimmung der türkischen Regierung. Diese hatte zu Abdul Hamids Zeiten, aber auch noch späterhin, jedes deutsche Zurückweichen vor England in der Frage der Endstrecke der Bagdadbahn als ein Imstichlassen der Türkei in der Verteidigung ihrer Souveränität über das türkische Küstengebiet des Persischen Golfs und über Südmesopotamien angesehen. Wenn nunmehr die Türkei bereit war, die das Küstengebiet des Golfes betreffenden Streitfragen durch Zugeständnisse an England zu liquidieren, die der Lebensfähigkeit der Bagdadbahn und ihrem Wert als großer Weltverkehrslinie keinen Eintrag taten, so war es nicht Sache Deutschlands, die Türkei hieran zu hindern.
Vom deutschen Standpunkt aus konnte man im Gegenteil die türkisch-britische Verständigung über die Golffrage nur willkommen heißen, wenn sich aus dieser die Möglichkeit einer deutsch-britischen Verständigung über die Streitfrage der Bagdadbahn ergab, zumal da eine solche Verständigung nicht nur die von der deutschen Regierung gewünschte Entlastung der allgemein-politischen Spannung herbeizuführen geeignet war, sondern auch zur endgültigen Sicherstellung des Ausbaus der Bagdadbahn und ihrer wichtigsten Zweiglinien benutzt werden konnte.
Eine solche Sicherstellung des Ausbaus der Bagdadbahn wurde von deutscher Seite zur Voraussetzung der Zustimmung zu dem Verzicht auf die Linie Basra — Golf und auf den Hafen am Persischen Golf gemacht, ebenso