Der Erste Weltkrieg. Dr. Karl Theodor Helfferich

Der Erste Weltkrieg - Dr. Karl Theodor Helfferich


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Übereinstimmung über die in Mesopotamien auszuführenden Bewässerungsarbeiten und über die gemeinschaftliche Ausbeutung der mesopotamischen Petroleumvorkommen erzielt; desgleichen über die recht weitgehenden Wünsche der Smyrna-Aidin-Eisenbahn-Gesellschaft, Hinsichtlich der mesopotamischen Bewässerungsarbeiten verpflichtete sich die deutsche Regierung, keine Konkurrenz gegen die von den Engländern schon in Bearbeitung genommenen Projekte zu unterstützen; angesichts der großen Ausdehnung der von Sir William Willcox schon seit Jahren bearbeiteten Pläne war das ein sehr weitgehendes Zugeständnis. In der für die Ausbeutung der mesopotamischen Petroleumquellen errichteten Gesellschaft begnügte sich die deutsche Gruppe, die immerhin nicht unwesentliche Rechte einbrachte, mit einer Beteiligung von 25 Prozent, während die englische Gruppe 50 Prozent und die niederländische Gruppe der Königlichen Petroleum-Gesellschaft die restlichen 25 Prozent erhielt. Gegenüber der Smyrna-Aidin-Eisenbahn verzichtete die Anatolische Eisenbahn-Gesellschaft auf ihr Einspruchsrecht gegen gewisse von jener Gesellschaft seit langer Zeit begehrte Zweig- und Verbindungslinien, die von der Anatolischen Eisenbahn bisher als unerwünschte Konkurrenz mit Erfolg bekämpft worden waren.

      Um die Mitte des Jahres 1914 war dieses weitschichtige Vertragswerk, das alle wesentlichen Berührungspunkte der deutschen und englischen Interessen in der asiatischen Türkei regelte und den neben der Flottenfrage wichtigsten Reibungspunkt zwischen Deutschland und England aus der Welt schaffte, in allen seinen Einzelheiten festgestellt. Nachdem bereits im Februar 1914 die Abmachungen zwischen Deutschland und Frankreich paraphiert worden waren, stand jetzt nur noch die Einigung zwischen Deutschland und der Türkei aus, die für das Inkrafttreten der anderen Abmachungen die Voraussetzung war. Auch diese war in mühevollen Verhandlungen so weit vorgeschritten, dass ein befriedigender Abschluss innerhalb kurzer Zeit erwartet werden konnte.

      Ein wichtiges Stück Arbeit an der Befestigung des Weltfriedens stand unmittelbar vor der Vollendung. Da machte der Ausbruch des Weltkriegs dieses Werk und alle darauf gesetzten Hoffnungen zunichte.

      Die deutsch-englische Verständigung und die englisch-russische Marinekonvention

      Angesichts des furchtbaren Abschlusses der mit so heißem Bemühen geführten Verständigungsverhandlungen drängt sich unausweichlich die Frage auf, ob diese Versuche, dem Weltfrieden durch die Ausschaltung vermeidbarer Reibungen und durch die Einleitung friedlicher Zusammenarbeit eine stärkere Grundlage zu geben, nicht schließlich nur Scheinmanöver gewesen sind, mit denen der eine Teil den anderen hinhalten und über seine wahren Absichten täuschen wollte. Die Folgerung hegt zu nahe, dass der Ausbruch des Weltkriegs sich hätte verhindern lassen müssen, wenn der Wille zum Frieden, der doch schließlich allein den Verhandlungen über die Ausräumung wichtiger Reibungspunkte einen Sinn und eine Berechtigung geben konnte, auf beiden Seiten echt war.

      Nach meinen persönlichen Wahrnehmungen kann ich nur bekunden, dass auf der deutschen Seite alle maßgebenden Stellen und Personen durchdrungen waren von dem ehrlichsten Willen, durch eine planmäßige Entlastung der politischen Beziehungen zwischen den europäischen Völkern die Kriegsgefahr einzudämmen und die Aussichten der Erhaltung des Friedens zu verbessern. Und ich glaube hinzufügen zu können, die leitenden politischen Persönlichkeiten waren erfüllt von der guten Hoffnung, dass ihr Bestreben von Erfolg gekrönt sein werde. Die Unterhaltung zwischen dem deutschen Reichskanzler und dem großbritannischen Botschafter in Berlin am Tage des Eintritts Englands in den Krieg ist dafür ein Beleg.

      Weniger klar und durchsichtig ist das Verhalten der Mächte des dreifachen Einvernehmens, insbesondere Englands.

      Halten wir uns an die Tatsachen!

      Ich habe weiter oben darauf aufmerksam gemacht, dass Sir Edward Grey während der ersten Monate des Balkankriegs sich Deutschland gegenüber in einer geradezu auffallenden Weise freundlich und zu einer Zusammenarbeit im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens bereit zeigte, dass ihn diese sichtliche Annäherung an Deutschland jedoch nicht hinderte, gerade damals mit dem französischen Botschafter in London den Briefwechsel auszutauschen, der später in der entscheidenden Stunde von Sir Edward Grey selbst als moralische Verpflichtung zur Waffenhilfe an Frankreich anerkannt wurde. Jetzt, während die mühevollen Verhandlungen über die vorderasiatischen Fragen zum Abschluss gebracht wurden, trat nicht etwa eine Entspannung des gegen Deutschland gerichteten Systems ein, vielmehr kam es auch jetzt — genau wie im November 1912 — zu einem strafferen Anziehen der Fäden des um Deutschland geschlungenen Netzes.

      Am 21. April 1914 besuchte König Georg den Präsidenten Poincare in Paris. Er war begleitet von dem Staatssekretär des Auswärtigen Sir Edward Grey. Diese Tatsache unterstrich die politische Bedeutung des Besuchs umso stärker, als Sir Edward bisher das Gebiet der britischen Inseln überhaupt niemals verlassen hatte. Schon vor dem Eintreffen des Königs Georg in Paris hatte der russische Botschafter Iswolski angeregt, den Besuch des Königs zu benutzen, um das lose Gefüge des dreifachen Einvernehmens in ein "Bündnis nach Analogie des Dreibundes" umzuwandeln. Sein Vorschlag wurde von dem französischen Minister des Auswärtigen, Herrn Doumergue, beifällig aufgenommen. Sir Edward Grey lehnte zwar den Abschluss eines förmlichen Bündnisses ab; ein solches bestand ja auch gegenüber Frankreich nicht, und den Briefwechsel mit Paul Cambon über das Zusammenwirken der beiderseitigen Land- und Seestreitkräfte hatte Sir Edward vor dem britischen Parlament, dem er immer versicherte, England habe völlig freie Hand, geheim gehalten. Aber er zeigte sich geneigt, die bestehenden militärischen Abmachungen zwischen Frankreich und England durch gleichartige Abmachungen zwischen England und Russland zu ergänzen. In Frage kam der Natur der Sache nach in erster Linie ein Marine abkommen. Sir Edward erlangte, hierfür die Zustimmung des britischen Kabinetts, und es wurde vereinbart, dass die auf dieser Grundlage erforderlichen militärischen Verhandlungen unmittelbar zwischen der britischen Admiralität und dem russischen Marineattaché in London stattfinden sollten.

      Jeder Zweifel an der Bedeutung dieses engeren Zusammenschlusses der Triple-Entente wird beseitigt durch die vor kurzem von der russischen Regierung veröffentlichten Berichte des russischen Botschafters in London, Grafen Benckendorff. Dieser war während des Besuchs des Königs Georg gleichfalls in Paris anwesend und berichtete von dort am 21. April 1914 an Herrn Ssasonoff nach Petersburg, er hoffe, "die Hauptsache erreicht zu haben, nämlich die bisher allzu theoretischen und friedlichen Grundgedanken der Entente durch etwas Greifbares zu ersetzen". Er sei sich zweifelhaft, "ob sich eine stärkere Garantie für eine gemeinsame militärische Operation im Kriegsfalle finden ließe, als der Geist dieser Entente, wie er sich offenbart hat, verstärkt durch die bestehenden militärischen Vorkehrungen". Von dem von Sir Edward Grey abgelehnten förmlichen und öffentlichen Bündnis riet auch Graf Benckendorff ab, da ein solches "ein sehr viel günstigeres Feld für eine Agitation zugunsten Deutschlands bieten würde". — "Agitation zugunsten Deutschlands" — das war das Bestreben der englischen Friedensfreunde, zu einem besseren, die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes ausschließenden Verhältnis zu Deutschland zu kommen!

      Die Tatsache, dass gerade in der Zeit, als die deutschenglische Verständigung über die kolonialen und vorderasiatischen Fragen sich dem Abschluss näherten, die britische Regierung es für angezeigt hielt, das System der Entente durch militärische Abmachungen mit Russland, die sich ganz unzweideutig gegen Deutschland richteten, zu verstärken, zeigt zum mindesten, dass die britische Politik nicht gewillt war, sich durch eine Verständigung mit Deutschland über noch so wichtige Einzelfragen davon abhalten zu lassen, in ihren seit einem Jahrzehnt betriebenen politischen und militärischen Vorbereitungen für den Krieg mit Deutschland in verstärktem Maße fortzufahren. Der Geist, der in den von Lord Haldane Anfang 1912 eingeleiteten Besprechungen zum Ausdruck gekommen war, beherrschte nach wie vor die britische Politik: England wollte die Kampfstellung gegenüber Deutschland nicht aufgeben. Die Verständigung in Einzelfragen, mochten sie für sich noch so bedeutungsvoll sein, musste unter diesen Umständen ihren eigentlichen Zweck — die Schaffung einer Atmosphäre des Vertrauens zwischen den beiden großen Ländern und damit die Schaffung der wichtigsten Voraussetzung für die Entspannung der internationalen Lage — von vornherein verfehlen. Die Verhandlungen über die britisch-russische Marinekonvention, die natürlich der deutschen Regierung und der Öffentlichkeit trotz aller Ableugnungs- und Beschwichtigungsversuche bekanntgeworden waren, hatten vielmehr das Gegenteil der Wirkung,


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