Der Erste Weltkrieg. Dr. Karl Theodor Helfferich

Der Erste Weltkrieg - Dr. Karl Theodor Helfferich


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Interesse der europäischen Solidarität erwünscht und geboten sei.

      In meinem Wirkungsbereich, in der Direktion der Deutschen Bank, habe ich schon von den ersten Tagen des Julis an aus meiner Auffassung der Lage die Folgerungen gezogen. Ich habe auf Zurückhaltung im Eingehen neuer Verpflichtungen und auf eine tunlichste Stärkung der flüssigen Mittel der Bank hingewirkt.

      Am 23. Juli überreichte der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad der serbischen Regierung die Forderungen seiner Regierung mit einer ausführlichen Begründung. Zur Beantwortung wurde Serbien eine Frist von achtundvierzig Stunden gelassen.

      Das Ultimatum, in Form und Inhalt überraschend schroff, zerriss für die ganze Welt mit einem Schlag alle Nebel, die bisher den Ernst der Lage noch verhüllt hatten. Jetzt war es für jedermann klar, dass Österreich-Ungarn fest entschlossen war, auf jede Eventualität hin Serbien gegenüber durchzugreifen, und dass der Friede Europas davon abhänge, ob Russland, das Serbiens Treiben bisher so offensichtlich ermutigt hatte, beiseitestehen werde oder nicht. Mit einem Mal stand Europa im Zeichen der unmittelbaren Kriegsgefahr,

      Es ist später die Frage aufgeworfen und lebhaft erörtert worden, welche Rolle die deutsche Regierung und der deutsche Kaiser bei jenen Vorgängen gespielt haben.

      Die deutsche Regierung hat alsbald nach der Bekanntgabe des österreichisch-ungarischen Ultimatums an Serbien — bei aller Betonung ihrer Bundestreue gegenüber der Donaumonarchie und ihres Wunsches, den Konflikt zu lokalisieren — Wert darauf gelegt, gegenüber der eigenen Öffentlichkeit und gegenüber den Regierungen der Großmächte festzustellen, dass sie an der Abfassung des Ultimatums nicht beteiligt gewesen sei und von seinen Einzelheiten vorher keine Kenntnis gehabt habe. Das bedeutet, dass die deutsche Billigung der von Österreich Ungarn für notwendig gehaltenen Aktion, zu der sich die Reichsregierung in ihrem Weißbuch ausdrücklich bekennt, nur die grundsätzliche Bereitschaft enthielt, sich hinter Österreich-Ungarn bei seiner Abwehr der gegen den Bestand der Monarchie gerichteten großserbischen Bewegung zu stellen; dass aber eine Vereinbarung über die Einzelheiten des von Österreich-Ungarn zu verfolgenden Aktionsprogramms nicht stattgefunden hat.

      Im Gegensatz zu dieser Bekundung der deutschen Regierung ist von feindlicher Seite, in der Absicht, Deutschland als den Urheber des Krieges hinzustellen, und später auch von gewissen deutschen Seiten die Behauptung aufgestellt worden, die deutsche Regierung habe von Anfang an bei der Abfassung des Ultimatums mitgewirkt und trage die eigentliche Verantwortung für dessen eine friedliche Lösung kaum mehr gestattende Schroffheit. Das Ultimatum wurde in Zusammenhang gebracht mit einem Kronrat, der unter Vorsitz des Deutschen Kaisers und unter Beteiligung österreichisch -ungarischer hoher Militärs — genannt wurden der Erzherzog Friedrich und der Feldmarschall Conrad von Hötzendorff — am 5. Juli 1914 in Potsdam stattgefunden und die Rollen in dem zum Kriege führenden Spiel verteilt haben soll. Auch die bekannte Denkschrift des Fürsten Lichnowsky nimmt auf diesen angeblichen Kronrat Bezug; desgleichen eine später von den Unabhängigen Sozialdemokraten verbreitete und auch im Hauptausschuss des Reichstags zur Sprache gekommene Aufzeichnung des Herrn Dr. Mühlon, der zu jener Zeit stellvertretender Direktor bei Krupp war und der sich für seine Darstellung auf Äußerungen bezieht, die ich ihm gegenüber damals in einer vertraulichen Unterhaltung geschäftlichen Charakters gemacht haben soll. Auch ein Bericht des bayrischen Legationsrates Dr. von Schön, den der sozialistische bayrische Ministerpräsident Eisner im November 1918 veröffentlicht hat, ist benutzt worden, um den Kaiser und die deutsche Regierung als Anstifter des österreichisch-ungarischen Ultimatums hinzustellen und die Bekundung, dass die deutsche Regierung an der Abfassung des Ultimatums nicht beteiligt gewesen sei und von seinen Einzelheiten vorher keine Kenntnis gehabt habe, Lügen zu strafen.

      Mir ist über den tatsächlichen Hergang folgendes bekannt:

      Nach dem Attentat von Sarajewo hat die deutsche Regierung sich rückhaltlos auf den von der österreichisch-ungarischen Regierung vertretenen Standpunkt gestellt, dass der Bestand der Donaumonarchie durch die großserbische Bewegung bedroht und die österreichisch-ungarische Regierung berechtigt sei, wirksame Maßnahmen gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Die deutsche Regierung hat ferner, an dem ersten Grundsatze der Reichspolitik festhaltend, die Erhaltung Österreich-Ungarns als ein eigenes Lebensinteresse angesehen und deshalb auch jetzt wieder der Wiener Regierung die Zusicherung gegeben, dass Deutschland Österreich-Ungarn bei der Wahrung seiner Lebensinteressen zur Seite stehen werde. Der Kaiser hat diese Stellungnahme in den Besprechungen, die zwischen dem Attentat und dem Antritt der Nordlandsreise stattfanden, gutgeheißen. Man war sich klar darüber, dass diese Haltung das Deutsche Reich in einen österreichisch-russischen Konflikt hineinziehen und damit den Weltkrieg heraufbeschwören könne. Aber wie in den Jahren 1908/09 und 1912/13 hoffte man, der Gefahr eines österreichisch-russischen Konflikts durch eine klare und entschiedene Stellungnahme am besten vorbeugen zu können. Das alles konnte damals jedermann hören, der sich im Auswärtigen Amt über den Stand der Dinge unterrichten wollte.

      Die Legende von dem Potsdamer Kronrat ist schon im Juli 1914 in Berlin in Umlauf gebracht worden, wie es scheint, durch Erzählungen des Oberkellners eines bekannten Berliner Cafés, der seine Wissenschaft aus einem von ihm bruchstückweise mitangehörten Gespräch hochgestellter Gäste bezogen haben wollte. Die Legende ist offenbar daraus entstanden, dass am 5. Juli der österreichisch-ungarische Botschafter Graf Szögieny dem Deutschen Kaiser ein Handschreiben des Kaisers Franz Joseph überreichte. In diesem Schreiben und einer ihm beigefügten Denkschrift des Wiener Auswärtigen Ministeriums wurden die Gefahren der Lage hervorgehoben und die Aufnahme Bulgariens an Stelle des wankenden Rumänien in den Bund der Mittelmächte angeregt. In der vom Auswärtigen Amt entworfenen Antwort wurde der Heranziehung Bulgariens unter gewissen Vorbehalten zugestimmt; es wurden ferner Bemühungen in Aussicht gestellt, um Rumänien beim Bündnis zu erhalten; zu dem Konflikt mit Serbien wurde eine Stellungnahme abgelehnt, es wurde aber betont, dass Deutschland gemäß dem Bündnis und der alten Freundschaft treu zu Österreich-Ungarn stehen würde.

      Ich habe später festzustellen Gelegenheit gehabt, dass weder der Erzherzog Friedrich noch der Feldmarschall Conrad von Hötzendorff damals in Berlin geweilt, geschweige denn an einem Kronrat in Potsdam teilgenommen haben; dass der Kaiser an jenen Tagen überhaupt keine österreichisch-ungarischen Militärpersonen empfangen hat ; dass auch ein Kronrat oder eine kronratähnliche Veranstaltung in ausschließlich deutschen Kreisen damals nicht stattgefunden hat, vielmehr der Kaiser sich vor dem Antritt der Nordlandsreise auf die Entgegennahme von Einzelvorträgen, darunter auch des Vortrages des Reichskanzlers über die politische Lage und über die Unzweckmäßigkeit einer Aufgabe der Nordlandsreise, beschränkt hat.

      Auch abgesehen von jenem nicht stattgefundenen Kronrat sind nähere Vereinbarungen mit der Wiener Regierung über die von dieser zu unternehmende Aktion, wie mir späterhin von den beteiligten Staatsmännern auf das bestimmteste erklärt worden ist, nicht getroffen worden. Was die Wiener Regierung über ihre Absichten mitteilte, hat sich auf allgemeine Richtlinien beschränkt: Untersuchung gegen die der Beteiligung an dem Attentat Verdächtigen unter Mitwirkung österreichisch-ungarischer Organe; Bestrafung der Schuldigen; Sicherheiten für die Zukunft, insbesondere Unterdrückung der gegen den Bestand der österreichisch-ungarischen Monarchie gerichteten Propaganda. Für die Ausgestaltung dieser Forderungen im Einzelnen und für die Form, in der sie an Serbien gestellt werden sollten, hat weder Wien die Berliner Zustimmung erbeten, noch Berlin österreichische Mitteilungen verlangt. Man hat ein solches Vorgehen angesichts des für das Deutsche Reich ungeheuren Einsatzes als unbegreiflich bezeichnet; es scheint mir jedoch, dass bei einer solchen Kritik nicht genügend gewürdigt wird, dass die deutsche Regierung, indem sie von einer Vereinbarung der Einzelheiten und der Form des österreichisch ungarischen Vorgehens absah, nicht etwa der Wiener Regierung eine Blankovollmacht ausstellte, sondern im Gegenteil eine Festlegung der deutschen Politik auf die Einzelheiten der österreichisch-ungarischen Aktion vermied und sich damit freie Hand vorbehielt für die Beurteilung dessen, was bei der weiteren Entwicklung der Dinge als notwendig für die Erhaltung des Bestandes der österreichisch-ungarischen Monarchie anzusehen und von Deutschland mitzuvertreten sei. Ich erinnere an die Lage im November 1912, in der der deutsche Kaiser in seinem oben angeführten Telegramm an den Reichskanzler sich zwar nach wie vor bereit erklärte, für das österreichisch-ungarische Lebensinteresse zu marschieren, nicht aber


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