Der Erste Weltkrieg. Dr. Karl Theodor Helfferich

Der Erste Weltkrieg - Dr. Karl Theodor Helfferich


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1915 ging die 3%ige französische Rente um weitere 12 — 15% zurück, die deutsche 3%ige Reichsanleihe nur um 5 ½ %Während im Durchschnitt des Jahres 1910 die 3%ige französische Rente auf 98, die 3%ige deutsche Reichsanleihe nur auf 84 gestanden hatte, sank jetzt das französische Standardpapier unter den Kurs der mit gleicher Verzinsung ausgestatteten deutschen Staatswerte. Auch der Rückgang der englischen Konsols war bis zum Frühjahr 1915 mit 7% stärker als der Rückgang der deutschen Reichsanleihe, obwohl die britische Regierung Mindestkurse dekretiert hatte, die damals im freien Verkehr um 3 — 4% unterschritten worden sein sollen.

      Ebenso wie der Markt der Staatsanleihen, dessen Verhalten typisch war für das Verhalten der fest verzinslichen Werte überhaupt, zeigte auch der Markt der Dividendenwerte in Deutschland eine verhältnismäßig gute Widerstandskraft. So sanken, um nur ein Beispiel zu geben, die Aktien des ersten französischen privaten Bankinstituts, des Credit Lyonnais, vom 18. — 20. Juli 1914 von 1535 auf 1350 Franken, also um 12% ihres Kurswertes vom 18. Juli; in der gleichen Zeit sanken die Aktien der Deutschen Bank von 231,60% auf 218%, diejenigen der Diskontogesellschaft von 180,80% auf 170%, beide also um nicht ganz 6% des Kurses vom 18. Juli.

      Stärker noch als in den Kursen kam die große Widerstandskraft des deutschen Kapitalmarktes in anderen Erscheinungen zum Ausdruck. Die Pariser Börse war in der letzten Juliwoche genötigt, zur Vermeidung eines völligen Zusammenbruchs die Ultimoliquidation zwangsweise zu suspendieren. Ein ähnliches Börsenmoratorium wurde in London notwendig. In Berlin dagegen blieb die Börse, wenn auch unter Beschränkung auf den Kassahandel, bis zur Proklamation des Kriegszustandes in Tätigkeit, und die Juli-Liquidation wurde, im Gegensatz zu London und Paris, nicht hinausgeschoben, sondern dank der von den Banken gewährten Erleichterungen ohne nennenswerte Störung abgewickelt.

      Auch dem gewaltigen Andrang nach baren Zahlungsmitteln hat das deutsche Bankwesen — abgesehen von einem vorübergehenden Mangel an Kleingeld — zu erträglichen Bedingungen genügen können. Die Reichsbank, unterstützt von den für den Kriegsfall vorgesehenen und alsbald in Wirksamkeit tretenden Darlehnskassen, zeigte sich allen Ansprüchen gewachsen. In den beiden Wochen vom 23. Juli bis 7. August 1914 stellte sie dem Verkehr für mehr als 2 Milliarden Mark Zahlungsmittel der verschiedensten Kategorien zur Verfügung, ohne mit ihrem Diskontsatz stärker als von 4% auf 6% in die Höhe zu gehen. In Frankreich und England dagegen sahen sich die Zentralbanken genötigt, empfindliche Restriktionen in der Diskontierung von Wechseln eintreten zu lassen. Die Bank von England musste ihren Diskontsatz in den drei Tagen vom 23. zum 25. Juli sprungweise von 3% auf 10% hinaufsetzen. Während die Privatbanken in Deutschland, gestützt auf den Rückhalt, den ihnen die Reichsbank bot, anstandslos alle von ihnen verlangten Auszahlungen leisten, ihre Kredite aufrechterhalten und erweitern konnten, sahen sie sich in Frankreich und England alsbald vor ernsthaften Schwierigkeiten. In Frankreich ließen sich die Banken und Sparkassen die gesetzliche Ermächtigung geben, auf die bei ihnen stehenden Guthaben nur bescheidene Teilbeträge auszuzahlen. In England wusste man sich nicht anders zu helfen, als dass der auf den ersten Montag im August fallende "Bankfeiertag" auch auf die folgenden drei Tage ausgedehnt wurde, was praktisch einer Sperre der Bankschalter während der stürmischsten Tage gleichkam. Außerdem sah man sich in allen kriegführenden Ländern, außer Deutschland, und in zahlreichen neutralen europäischen und überseeischen Ländern genötigt, Moratorien einzuführen, teils für den Wechselverkehr, teils für den gesamten Bankverkehr, teils für alle Zahlungsverpflichtungen unter Privaten. In Deutschland dagegen kam man in eingehenden Beratungen aller beteiligten Instanzen zu dem Entschluss, von dem Erlass eines Moratoriums abzusehen. Man begnügte sich mit Gegenmaßnahmen, die die deutsche Geschäftswelt vor der Wirkung der im Ausland erlassenen Moratorien schützten. Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, im Einzelfall beim Vorliegen eines wirklichen Notstandes die Zahlungsfristen durch gerichtliches Urteil hinauszuschieben. Im Übrigen wurde die Zahlungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch eine Reihe positiver Maßnahmen und Einrichtungen aufrechterhalten, die das Zusammenwirken der Reichsbank, der Darlehnskassen, der Genossenschaften und Sparkassen in wirksamer Weise ergänzten; so insbesondere durch die in freiwilligem Zusammenschluss der beteiligten Kreise geschaffenen Kriegskreditbanken und die Vereinbarungen der Bodenkreditinstitute über die Bevorschussung von Hypotheken.

      Durch dieses ruhige, sichere und planmäßige Vorgehen gelang es, in wenigen Tagen der Erregung des Publikums und der Kopflosigkeiten, wie sie in solchen Zeiten immer vorkommen, Herr zu werden und in der deutschen Geschäftswelt das Vertrauen in die finanziellen Grundlagen unserer Wirtschaft wiederherzustellen.

      Ein Vorfall, der sich in den Tagen der ersten großen Aufregung bei der Deutschen Bank abspielte, zeigt, dass in solchen Lagen auf das große Publikum nichts beruhigender wirkt als ein festes und zuversichtliches Verhalten der Stellen, auf die sich die verängstigten Augen richten. Aus der Hauptdepositenkasse wurde nach der Direktion gemeldet, der Andrang des Publikums zu den Auszahlungsschaltern sei ungeheuer und geradezu lebensgefährlich; es müsse etwas geschehen, um für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen. Der Bescheid, der gegeben wurde, ging dahin, es seien alsbald zwei weitere Schalter für die Auszahlung zu öffnen und das dem Publikum bekanntzumachen. Die Wirkung war durchschlagend. Viele gingen beruhigt nach Hause, weil ihnen die Öffnung neuer Auszahlungsschalter die Sicherheit gegeben hatte, dass die Bank imstande und gewillt sei, jede Auszahlung zu leisten.

      Schon vor der Beendigung der Mobilmachung und vor den ersten Siegesnachrichten fing das Publikum an, die in den Tagen der Panik abgehobenen Gelder wieder zu der Banken und den Sparkassen zurückzubringen. Auch die gewaltigen Geldsummen, die das Kriegsministerium im Laufe der Mobilmachung für die Beschaffung von Heeresgerät und Heeresausrüstung aller Art verausgabte, fanden bald ihren Weg zurück zu den großen Sammelbecken des Geldverkehrs. An die Stelle der Geldklemme der ersten Wochen trat bald eine große Geldflüssigkeit, die es möglich machte, die Begebung einer ersten Kriegsanleihe schon für den Monat September ins Auge zu fassen.

      In der Tat trat Deutschland als der erste unter allen kriegführenden Staaten mit einer Kriegsanleihe an den Markt. Es fehlte nicht an warnenden Stimmen, die einen Misserfolg voraussagten. Das klägliche Ergebnis der im Jahre 1870 vom Norddeutschen Bund ausgeschriebenen Kriegsanleihe schwebte manchem als übler Vorgang vor Augen. Noch mehr Bedenken erregte der kühne Vorschlag des Reichsbankpräsidenten, die Kriegsanleihe in unbeschränktem Betrag aufzulegen, damit jedem Zeichner von vornherein die Zuteilung des vollen gezeichneten Betrages in Aussicht zu stellen und so auf jeden Anreiz zu spekulativen Zeichnungen und auf jeden Scheinerfolg, wie er in der Überzeichnung einer in limitiertem Betrag aufgelegten Anleihe leicht zu erzielen ist, bewusst und absichtlich zu verzichten. Ich hatte Gelegenheit, mit dem Reichsbankpräsidenten das Aktionsprogramm durchzusprechen und ihn gegenüber den Stimmen der Bedenklichen in seinen Absichten zu bestärken. Der Erfolg hat der Kühnheit recht gegeben. Das Zeichnungsergebnis war rund 4 ½ Milliarden Mark. Das war fast das Doppelte der bisher größten Anleiheaktion der Geschichte, der französischen Anleihe vom Juli 1872, die 2400 Millionen Mark erbracht hatte.

      Dabei hatte sich die Einzahlungsfrist der französischen Anleihe vom Juli 1872 bis zum Herbst 1873, also auf etwa 15 Monate erstreckt, während der fast doppelt so große Betrag der ersten deutschen Kriegsanleihe nach den Zeichnungsbedingungen in zwei Monaten einzuzahlen war. Ferner war die große französische Anleiheaktion erst nach Abschluss des Friedens durchgeführt worden, die deutsche Anleihe dagegen wurde zu Anfang eines unabsehbaren Krieges gezeichnet. Und schließlich waren die Zeichnungen auf die französische Anleihe zu einem großen Teil auf fremden Märkten, namentlich auf dem Londoner Markte, erfolgt, während die 4 ½ Milliarden der ersten deutschen Kriegsanleihe so gut wie ausschließlich eine Leistung des auf sich selbst gestellten deutschen Volkes waren.

      Die Sicherung der finanziellen Grundlagen unserer Wirtschaft und die Beschaffung der für den Krieg erforderlichen Geldmittel war so in den ersten Wochen des Krieges auf das beste eingeleitet.

      Der Krieg und die deutsche Wirtschaft

      Die finanzielle Mobilmachung war in Friedenszeiten gründlich vorbedacht und vorbereitet worden. Abgesehen von der planmäßigen Verbesserung und Kräftigung unserer Geld- und Kredit Verfassung, die sich jetzt so reichlich lohnte, lag der Organisationsplan bereit, nach dem unser Finanzwesen den Kriegsbedürfnissen


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