Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie
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Das Buch der Liebe
Marie Eugenie delle Grazie
Inhalt:
Das Buch der Liebe, M. delle Grazie
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849628468
www.jazzybee-verlag.de
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Das Buch der Liebe
1.
Mit zartem Griff nahm sie eine der Rosen, die er ihr gebracht, aus dem Glas. Die Rose war tiefrot, gegen die Mitte des Kelches zu fast schwarz, und ein heißer Duft strömte ihr daraus entgegen. Ein Duft, der süß war und doch auch wieder herb.
Es war der letzte Tag vor ihrer Hochzeit. Draußen verdämmerte ein schwüler Juliabend. Fernes Wettergeleucht umzuckte den Horizont, und die Stadt lag wie in einem violetten Nebel, der immer dichter wurde, immer schwerer, daß einzelne Konturen dahinter verschwanden, andere fast ungeheuerliche Formen anzunehmen schienen. Während die Menschen in eine Dämmerung hineinschritten, die trostlos war und doch zugleich auch etwas geheimnisvoll Lockendes hatte. Wie das Gewitter, das dahinter stand und den Tod bringen konnte, oder die Schauer einer unsäglichen Erquickung.
Und morgen war ihr Hochzeitstag ...
Mit zitternder Hand setzte sie die Rose in das Glas zurück. Süß und herb war ihr Duft, strömte es auch aus ihrer Seele, wie sie dastand und in Gedanken sich hingab. Noch Jungfrau und doch schon das geweckte Weib. Denn sie liebte ihn, der morgen ihr Gatte werden sollte, und in ihren Pulsen fieberte schon etwas von dem heißen Atem der Nacht, die auch ihre Kelche ganz erschließen würde.
Und dann ging es immer weiter, immer tiefer hinein in das violette Dämmerland der Leidenschaft ...
Ob er immer derselbe bleiben werde, den sie jetzt in ihm liebte? Aber sie konnte ihn ja gar nicht anders denken! Wie der Bann seiner Nähe sie noch umwob und alles an ihm sie hinnahm, bis auf den feinen Geruch der Zigarette, die er rauchte, den vagen Duft seines Haares, den dunklen Funkelblick, der sie in unbekannte Abgründe zu reißen schien, sooft ihre Augen ineinander tauchten. War sie noch Mädchen? Doch bloß dem Leibe nach. Zu oft und zu heiß schon hatte ihr Blut diesem Blick geantwortet. Erst wie von einem fremden Grauen angeweht – dann in süßem Schreck zurückebbend, bis eine tolle, heiße Woge ihm alles entgegentrug, was vor ihm flüchten wollte.
»Da ist der Kranz, Annemarie!« sprach eine müde Stimme hinter ihr. Sie schrak zusammen. Dann irrte ihr Blick von den dunklen Rosen zu den weißen, keuschen Blüten, die wie hingehaucht auf dem seidenen Kissen lagen. Zart und rein, wie aus einem Traum gepflückt. In Form einer Krone sollten sie morgen den Flechtenkranz ihrer braunen Haare umschlingen. Die Krone des Lebens für das Weib und doch zugleich das Symbol seiner völligen Hingabe. Dieser Hingabe an den Einen, von dem schon die Ammen singen, die Dienstboten erzählen, wenn die kleinen Damen nicht schlafen wollen. Für den Mutter und Tanten die Reinheit der Jungfrau hüten, bis er eines Tages kommt und alles nimmt. Ruhig, lächelnd, wie selbstverständlich. Auch er würde morgen ein Sträußchen dieser Blumen im Knopfloch tragen mit einer weißseidenen Schleife, die sie selbst geknüpft. Aber mit dem, was er bis dahin erlebt, hatten die weißen Blüten nichts zu tun. Wie ein Abglanz der bräutlichen Reinheit adelten sie an diesem Tag auch den Bräutigam. Eine leise Mahnung, daß wenigstens sein künftiges Leben zur selben Reinheit verpflichte.
Ja ... das war es, das, worüber Annemarie so oft nachgedacht hatte! Da lag es begraben, das eigentliche Geheimnis der Geschlechter. Und dann kam ein Tag, der sie auf festlicher Straße zusammenführte. Sie, die von Höhen herabstieg, zu denen das Leben kaum emporatmete. Er, der vielleicht aus Tiefen und Abgründen kam, in denen es sich breit wälzte, scham- und reuelos, wie es nun eben ist. Und dann waren die beiden eins – –
»Weißt du, Mutter, was ich gern wissen möchte?« fragte Annemarie, ohne den Kranz mit einem Finger zu berühren.
Die Mutter sah sie bloß an, halb befremdet, halb unsicher. So seltsam kam es ihr vor, daß Annemarie nicht ein Wort fand für ihren Kranz.
»Wie es dir ums Herz war, als du – ein Jahr nach deiner Hochzeit deinen Kranz wieder in die Hand nahmst?«
Die Mutter riß die Augen auf, weit, fast erschrocken. Dann fielen die welken Lider wieder über die blassen Sterne. Schweigende Hüter der Geheimnisse, die aus glanzlosen Tiefen heraufstierten.
»Aber Annemarie!« wehrte sie ab. Heftig wie erschrocken. Und dann mit einem fast hysterischen Lachen:
»Wie komisch du oft fragst!«
Doch die jungen Augen gaben sie nicht mehr frei. Und wenn die Mutter auch nicht emporsah – ihre Seele fühlte den brennenden Frageblick der Tochter. Zwei rote Flecke traten auf ihre Wangen. Die welken Hände zitterten. Zitterten so heftig, daß selbst die grünen Blattspitzen des Kranzes miterbebten – trotz des weichen, seidenen Kissens.
»Siehst du!« lächelte Annemarie.
»Was, mein Kind?«
»Daß dir meine Frage durchaus nicht so – so komisch erscheint!«
»Gott – hab' ich denn komisch gesagt?« Und die blasse Rechte fuhr an die Stirn und strich dort wie hilfesuchend über