Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie
Gemüts noch höher gestimmt zu haben. Es nahm sie wunder, daß man über so etwas lächeln konnte.
Daß er der Hochzeitstafel fernblieb, fand sie selbstverständlich. Auch ihre Mutter hatte nicht im Ernst daran gedacht, daß er wirklich kommen könne, mit der Einladung eben bloß einer Form genügt. So war alles aufs beste geordnet.
»Wie sieht er denn eigentlich aus, dieser Troubadour?« hatte der Geliebte heute mit leisem Spott gefragt.
Und Annemarie war, ohne es zu merken, errötet: »Du wirst ihn ja morgen in der Kirche sehen.«
»Wer weiß, ob er sich dort aufzuschauen traut,« hatte der andere weitergeneckt. »Wenn er so fromm ist und so – so täppisch.«
Annemaries Röte war immer tiefer geworden, bis sie selbst den Brand ihrer Wangen empfand und den wehen Unwillen, der ihr plötzlich aus der Seele stieg.
»Was findest du so täppisch an ihm?« hatte sie gefragt.
»Erlaub' mir! Wenn einer neben einem so schönen und geliebten Weib jahrelang herläuft und nicht einen Weg findet, nicht ein Wort?«
»Das lag an mir.«
Da hatte der Geliebte sie mit einem Blick angelächelt, den sie noch nie in seinen Augen bemerkt, und dann mit wippenden Fingerspitzen die Asche seiner Zigarette weggestäubt: »Der Oberst meines Regiments sagte einmal: ›Der Kerl, der eine halbe Stunde mit einer schönen Frau allein ist und keinen Kuß kriegt oder keine Ohrfeige, ist ein Esel.‹«
»Da war ich ihm eben zu heilig für den Angriff,« hatte Annemarie gereizt erwidert. »Und er sich zu gut für den Schimpf.«
Der Geliebte aber hatte sie wie ein schmollendes Kind in die Arme genommen und ihr mit klingendem Lachen den Trotz von Lippen und Augen geküßt.
Erst als er schied, um sie zum letzten Male im Elternhaus zu lassen, waren seine Worte wieder lebendig in ihr geworden. Unter dem Druck des Gewitters; in der Beklommenheit der tiefvioletten Abenddämmerung, unter dem heißen Geflüster, das zwischen ihren Sinnen und ihrem Mißtrauen sich aufs neue entsponnen hatte.
Und nun saß sie da und dachte an den anderen.
2.
Vielleicht hatte er nicht umsonst diese schlaffen, lichtblonden Haare, die großen, schwimmenden Träumeraugen. Schon an dem Knaben war alles zart und scheu gewesen. Leise die Stimme, weit und versonnen der Blick, maßvoll und an sich gehalten jede Bewegung. Nicht einer der Jungen, die mit ihm zur Schule liefen, traute ihm eine wehrhafte Tat zu. Einige wetteten ganz insgeheim, daß der Konrad beim ersten Angriff davonlaufen werde. Da kam aber die Überraschung. Der schlanke Junge hielt nicht nur stand, er wußte die ephebenhafte Geschmeidigkeit seines Leibes im Kampfe sogar zu siegreicher Geltung zu bringen, daß die plumpe Roheit seiner Angreifer daneben einen unsäglich gemeinen und tristen Eindruck machte.
In jener Stunde hatte er sich die Achtung seiner Gefährten gewonnen und die Herzen von Annemaries Brüdern. Seit jenem Tage ging er bei ihnen aus und ein.
Als Konrad älter wurde, hatten seine Kameraden ihn lange im Verdacht, daß er heimlich Verse mache. Die Art, wie er den jungen Mädchen begegnete oder auch – auswich, vom Leben sprach und von der Liebe und oft schon vom Tode, brachte sie darauf. Aber er studierte bloß Philosophie. Ganz heimlich natürlich, denn sein Vater war Rechtsfreund und wünschte, daß sein Einziger heute oder morgen die reiche Klientel übernehme. Nur Annemaries Brüder wußten, wie tief der arme Junge unter dieser Aussicht litt. Aber der unbeugsamen Forderung des Vaters gesellte sich das heimliche Flehen einer leidenden Mutter – und was hätte Konrad nicht getan, ihr zuliebe?
Und doch war nun alles anders gekommen! Sein Rechtsstudium hatte er zwar vollendet und auch seinen Doktor gemacht. Aber Vater und Mutter waren ihm unterdes gestorben, und schon wußte man, daß er die Sorglosigkeit, die ein reiches Erbe ihm sicherte, nun ganz an das Studium der Philosophie wenden wolle.
So war ihm ein Traum wenigstens in Erfüllung gegangen. So bitter ihn das Leben auch dafür geprüft hatte.
»Jetzt wird er wohl ganz allein sein!«
Annemarie wußte selbst nicht, daß sie es vor sich hingesprochen. Nun erschrak sie über den Laut der eigenen Stimme und sah mit wachen Augen um sich.
Das Fenster ihrer Stube öffnete sich nach dem Garten, in dem ein mächtiger Akazienbaum im bräutlichen Glast seiner weißen Blüten stand. Wie blaues Silber leuchteten sie im Mond, und die ganze Luft zitterte von ihrem schwülen Atem, bis tief in Annemaries Stube hinein.
»Wie eine Braut steht der Baum da!« dachte Annemarie. »Nur daß ihm mit jedem Frühling dieselbe Schönheit zurückkommt und alle seine Blüten!«
Sie neigte das Haupt zurück, schloß die Augen. Auch ihr Kranz hatte solche weiße Blüten; die seidenen Bahnen ihres Brautkleides denselben bläulichen Silberglanz ...
»Morgen!«
Es war so nahe, und all ihr Sehnen bebte jener Stunde entgegen, deren bloßes Ahnen sie schon wie mit zärtlichen Armen umfing. Daß sie den Geliebten auch körperlich nahe empfand – den trinkenden Blick der Augen zu sehen meinte, mit dem er sich beim Küssen über sie beugte; den feinen Duft seiner Haare spürte, der da irgendwo in ihren eigenen Locken hängen geblieben war; den tiefen Glockenton seiner Stimme zu hören glaubte ... Wie in einer Vision die hohe Gestalt sah – den Mann!
Nein. So gut sie auch von dem Jugendgefährten dachte, so weh ihr auch noch im Erinnern tat, was er heimlich um sie erlitten haben mochte – mit keinem Atemzug ihrer Seele, keinem Tropfen ihres Blutes hätte sie jemals ihn erwählt neben dem anderen. Das wußte sie nun. Und so war es auch heute wohl nur die Liebe, die selbstvergessene, trunkene Vollliebe des Weibes, vor der sie heimlich und wie ahnend erzitterte, am letzten Tag ihrer Freiheit.
*
Sooft Annemarie später an ihren Hochzeitstag dachte, hatte sie dieselbe merkwürdige Vorstellung einer wie in silbernen Nebeln zerflatternden Zeit.
Er hatte so früh als möglich begonnen, dieser Tag. Wenigstens für sie. Zuerst war die Haarkünstlerin gekommen und hatte ihr die seidenen Flechten in tiefe Scheitel zurechtgelegt. Die Frau verstand ihre Sache. Sie hatte mit einem Blick über Annemaries Antlitz erkannt, welche Linie die madonnenhaft strengen Züge ihres Antlitzes am weichsten und bräutlichsten kleiden würde. Annemarie hatte sich anfangs gewehrt. Aber als die Gute mit dem Eifer der Sachkundigen den Myrtenkranz auf die noch hochgesteckten Flechten legte, erschrak Annemarie selbst über die herbe Hoheit ihrer Züge, das königlich Abweisende der ernsten, unverhüllten Stirne.
»Da hätte ja der Herr Gemahl gar keine Courage!« zwinkerte ihr die Alte im Spiegel zu. Selbst Frau Krüger mußte lächeln. Annemarie fühlte, wie sie errötete.
»Und wir haben so herrliches Material!« schwatzte die Kämmende weiter. »Wann kommt unsereinem heutzutage noch eine Dame unter, die einen solchen Eigenwuchs hat? Die Herren aber –« Sie lächelte. »Man muß doch zeigen, was man hat!«
Draußen hing ein schwüler Hochsommertag, auch wie in silbernen Nebeln. Und mit dem Frühatem der Nelken, die im Garten blühten, mischte sich in der Brautstube der schwelende Geruch der erwärmten Haareisen und wohlriechenden Essenzen, mit denen die goldbraunen Haarwellen Annemaries behandelt wurden.
Kein Windhauch regte draußen die Bäume. Selbst die Luft schien wie in einer einzigen Erwartung den Atem anzuhalten.