Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie

Das Buch der Liebe - Marie Eugenie delle Grazie


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      Und dies alles war sie heute! Diese Blumen, dieser Glanz, dieses geheimnisvoll festliche Geriesel von Seide und Schleiern und Spitzen, der feierlich beleuchtete Altar, der sie erwartete – die Braut!

      »Aber sieh doch, Annemarie, sieh!«

      Die Mutter hatte es noch einmal versucht, sich im letzten Augenblick an sie heranzudrängen, um ihr wenigstens ein Wort des Beifalls für den Schmuck der Kirche zu entlocken. Sie war mit dem Bräutigam im Einverständnis gewesen, und nun schien ihr, als ob Annemarie weder sehe noch höre.

      Aber Annemarie lächelte bloß. Wenn sie auch nicht um sich spähte, sie hatte doch alles gesehen, alles! Fühlte es mit einem Male bis ins Tiefste ihrer Seele hinein. Beglückt, erschüttert, halb ohnmächtig, noch einmal: die ganze zärtliche Liebe des Mannes, dem sie sich geben wollte, und der sie über einen einzigen Teppich von weißen Rosen bis hieher getragen.

      Nie, nie wollte sie es ihm vergessen!

      Als er ihr den Arm reichte, um sie an den Altar zu führen, griff sie fast zitternd nach seiner Hand und hielt sie eine selige Weile fest. Und Hand in Hand traten sie vor den Priester.

      Der Greis, der dem Brautpaar im Schmuck seiner goldleuchtenden Stola entgegenlächelte, war einst Annemaries Lehrer gewesen, zugleich der Priester, vor dem sie allmonatlich einmal ihr Sündenbekenntnis abgelegt: die weißen Beichten einer reinen, zwischen sonniger Daseinsluft und glücklicher Unwissenheit hinblühenden Kindesseele. Die von der Kirche geforderte Brautbeichte aber hatte sie zu einem anderen getragen. Ihr selbst schien, als ob es zu viel wäre, was zwischen ihrem letzten Bekenntnis lag und den heißen Gewittern der Sinne, in die sie die Leidenschaft so plötzlich hineingewirbelt hatte. Es war eine ganz geheime, fast rätselhafte Scheu in ihr gewesen. Auch lag ein ganzes Jahr zwischen der letzten Beichte des Mädchens und jener der Braut. Und mit einer Art dumpfer Scham empfand sie, daß ihr unterdes zu viele Blüten von der Seele gestreift worden seien. All die weißen, leuchtenden Blüten, die nur im Paradies der Kindheit blühen können. Nicht zuletzt der Glaube, den ihr der Geliebte so langsam und sicher aus dem Herzen gelächelt hatte ...

      Und doch wußte sie mit einem Male, daß es nicht das allein war, was sie von dem geistlichen Führer ihrer Kindheit und Jugend ferne gehalten. Vielmehr eine einzige Erinnerung, der sie sich in diesem Augenblick fast mit der Deutlichkeit einer Schuld bewußt wurde. Die Erinnerung an das liebliche Geheimnis, das sich in legendenhafter Schönheit zwischen ihr und jenem bleichen Christusbild angesponnen, und das ihre Seele ein ganzes Jahr lang wie in bräutlichen Schauern hingenommen hatte. Kein Mensch mußte darum von allen, die damals und heute um sie waren. Selbst dem Geliebten hatte sie davon geschwiegen. Aber da vor ihr, auf den Stufen des Altars stand der Einzige, dem sich Annemarie im Überschwang ihres Herzens einmal anvertraut. Der Einzige, der um das mystische Verlöbnis ihrer Seele wußte; von dem geheimnisvollen Ton, mit dem sie der Gekreuzigte immer wieder in seine Nähe gerufen. Von den paradiesischen Träumen, in denen er zu ihrer Seele gesprochen: »Willst du bei mir sein, will ich bei dir sein!« Und von dem Reich, das er ihr gezeigt mit den Worten: »Mein Garten ist groß. Engel betreten ihn. Sein Name ist Eden.«

      Er hatte nie etwas dazu gesagt, der alte Priester. Nur immer gelächelt und geschwiegen. In seinen Augen aber war es jedesmal wie ein ehrfürchtiges Warten gewesen, wenn Annemarie damals mit dem Confiteor auf den Lippen vor ihm niedersank.

      Das war nun alles vorüber. Und so selig sie auch war, so unausdenkbar es ihr auch erschien, jemals ohne den Geliebten glücklich werden zu können – sie fühlte doch, daß sie mit einem gebrochenen Gelöbnis auf den Lippen da stand und aus einem Lande zur Erde herabgestiegen war, in das sie nie zurückfinden würde. Und so mächtig war diese Empfindung, daß Annemarie die Hand des Geliebten plötzlich in einem jähen Schreck fahren ließ und in einem einzigen Brand unter ihrem Schleier errötete, ob der weißhaarige Priester da oben auch noch immer schwieg und lächelte.

      »Er wird mich schon damals für überspannt gehalten haben, darum hat er nie etwas dazu gesagt!« dachte Annemarie wie in einer vorüberhuschenden Beruhigung. Dann atmete sie auf. Der feierliche Akt hatte begonnen. Und als ihr »Ja« in das kirchentiefe Schweigen hineinfiel, im Echo der grauen Wölbungen wieder zurückkam, seltsam und wie von einer anderen Stimme wiederholt, da erst fühlte sie, daß sie nun für immer zurückgefunden hatte, ob ein paradiesischer Traum sie auch einmal in die Lande der Engel geführt.

      *

      »Werde so glücklich, Annemarie, wie wir Menschen es nur immer werden können!« Sie kam gerade aus der Umarmung der letzten Brautjungfer, als Konrad mit diesen Worten ihre Hand ergriff, sie eine Weile festhielt und sich dann rasch abkehrte.

      »Ich danke dir – o wie ich dir danke!« stammelte Annemarie zwischen ihren Schleiern hervor. Noch ganz verwirrt von all den Umarmungen der Ihren, von all der Rührung, die sich an ihrem Hals ausweinte – im Innersten gepackt von den Schauern eines neuen Lebens.

      Gern hätte sie noch etwas hinzugefügt. Irgendein Wort, das seinen Verzicht lindem sollte, ihm eine trostreiche Mitgabe werden. Doch er war schon wieder zurückgetreten, und dort ging er hin, langsam, aber ungebeugt, ein ganzer Mann.

      »Werde so glücklich Annemarie, wie wir Menschen es nur immer werden können ...«

      Es war ein Wunsch, der alles herabflehte auf sie, alles ausschöpfte und ihr doch heimlich wehe tat. Wie ein ganz leises, ganz fernes Drohen in den trunkenen Überschwang ihrer Seele hineinklang.

      »Werde so glücklich, wie wir Menschen es nur immer werden können –«

      Doch war diese Angst nicht auch stets über ihr gestanden, seit sie ihr Glück gefunden und genommen?

      Er hatte aus seiner noch gläubigen Seele gesprochen, was Annemarie als ein leiser Zweifel inmitten ihres Glückes schon früh beschlichen hatte. Ja, das blieb wohl ... Diese stumme, scheue, ehrfürchtige Angst vor dem Schicksal. Ob man seinen Glauben bewahrt oder seinen Gott verloren hatte.

      Tief und wie gedemütigt senkte Annemarie das Haupt unter der weißen Krone ihres Glückes.

      »Das also war er!« lächelte der junge Gatte, als er Annemarie in den Wagen hob.

      »Wie hat er dir gefallen?« fragte sie leise zurück.

      Die Menschen standen noch immer um das festliche Paar. Erst als der Schlag des Wagens zufiel und die feurigen Pferde anzogen, wich die Menge zurück, waren sie frei und für sich allein.

      »Wie soll ich mich nur ausdrücken, um nicht heute deinen Unwillen zu erregen?« fragte Annemaries Gatte vorsichtig.

      Sie lächelte. »Ist es möglich, daß du dich vor mir fürchtest?«

      Er streifte mit einem seltsamen Blick ihre Schleier. Dann sah er mitten in den Glanz der Straßen hinein.

      »Du hast eine allzu ängstliche Mutter gehabt, Annemarie. Bist von allem ferne gehalten worden. Nun mußt du lernen, Welt und Menschen mit eigenen Augen zu sehen. Die Wirklichkeit vom Traum unterscheiden, das Mögliche vom Unmöglichen. Das kann immer nur allmählich geschehen. Aber weil du mich schon fragst: Er scheint Stil zu haben, dein blonder Troubadour! Nur – in unser Jahrhundert paßt er nicht mehr hinein. Kennst du vielleicht zufällig seinen Lieblingsphilosophen?«

      »Kant!« kam es zurück. Leise, wie wartend.

      Er hatte ihre Hand ergriffen und auf seinen Schoß gelegt. Nun lächelte er:

      »Den allenfalls kann er sich noch retten für – für seine Weltanschauung.«

      »Und die großen Griechen,« fuhr Annemarie


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