Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie
hat,« lächelte der junge Gatte herablassend. »Sonst ... Ich glaub', er täte besser, Mönch zu werden. Mit solchen Vellëitäten.«
»Denken alle Naturforscher so wie du?« fragte Annemarie zaghaft.
»Gegenwärtig alle. Es liegt in der Methode. Aber –« Und er lächelte, während sein Blick plötzlich wie eine einzige Flamme an ihr niederging: »Welch ein törichtes Gespräch für eine solche Fahrt!«
Damit kehrte er sich ganz ihr zu, ihre Hand noch immer in der seinen.
Annemarie schwieg. Es waren noch zu viele Schauer in ihr ... das fromme Schweigen der Kirche. Der lächelnde Blick des Priesters, für den ihre Seele einmal ein offenes Buch gewesen war. Zuletzt das Wiedersehen mit Konrad – sein Glückwunsch, der sie an so Vieles zugleich erinnerte. War dies alles nur Traum? Dann würde es ihr wahrhaftig nicht leicht werden, sich so rasch in die Wirklichkeit zurückzufinden, die sie aus den Augen des jungen Gatten umwarb. So sehr sie ihn auch liebte. Wie es ihr jetzt ums Herz war, machten sie selbst die Blicke der Menschen erröten, die so angelegentlich nach ihrem weißen Staat sahen; so eigen dabei lächelten. Nun wußte doch jeder, der ihnen begegnete, daß sie heimfuhren! Und sie zog noch tiefer den Schleier herab ...
»Dazu noch dieses Mahl jetzt,« sprach ihr Gatte weiter. »Inmitten all dieser Tanten und Basen! Aber es war deiner Mutter nicht auszureden. In einem Hotel war' das alles rascher gegangen.«
»Da hätten uns so und so viele fremde Augen auch noch angesehen.«
»Stört dich das so?« fragte er. Es sollte wohl nur eine Neckerei sein. Aber der Blick, mit dem er sie dabei ansah, hatte – ja, sie mußte es sich gestehen – hatte fast etwas Entschleierndes. Als hätte die Zudringlichkeit der Straße, die ihr so lästig war, plötzlich ein Recht auf sie bekommen, das ihr wehtat und sie beleidigte.
»Es war so ein schöner Traum,« bebte es leise zwischen ihren Lippen hervor.
»Na ja,« warf er gleichsam vor sich hin. »Aber nun ist er Wirklichkeit geworden. Und das ist das Schönste an ihm.«
Damit sprang er ab, um ihr aus dem Wagen zu helfen.
Man hielt vor dem Haus, in dem Annemarie heute nur mehr ein Gast sein sollte, und in dem sie doch so lange Jahre ihre Heimat gehabt –
Fremd und fast erschrocken sah sie um sich ...
*
Frau Krüger hatte eine Magd, die fast zwanzig Jahre bei ihr diente. Ihrer Umsicht war es zu danken, daß trotz der Fahrigkeit der Hausfrau und dem oft ungefügen Eifer der Mietlinge doch alles aufs beste bestellt und geraten war bei dem festlichen Mahle.
Der alte Akazienbaum, der noch gestern selbst wie eine Braut im Glast des Vollmondes geleuchtet, hatte all seine Blüten für den Schmuck der Tafel hergegeben. Ihre Mitte krönten die mit zartem Grün und hochzeitlichen Bändern und Schleiern gezierten Lilien Konrads.
Frau Krüger hatte sich als letzte tief aufatmend und erschöpft an ihren Platz gesetzt. Der Weinkrampf, der sie in der Kirche überwältigt hatte, war einer fast peinlichen Stumpfheit gewichen. Es war ein Glück, daß rechts und links einige geschwätzige Basen zugleich auf sie einsprachen, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie selbst saß mit tief geneigtem Haupte da und murmelte ab und zu tonlos: »Es ist doch immer das gleiche!« Zuweilen fuhr sie auf und sah fast erschrocken zu der Braut hinüber. Aber Annemaries Blicke glitten an ihr vorbei und, wenn sie sie trafen, wie durch sie hindurch. Und dann nickte Frau Krüger jedesmal verstohlen vor sich hin:
»Ja, ja! Es kann einen wohl nachdenklich machen!«
Finster und blaß saß Annemaries jüngster Bruder am Ende der Tafel. Am ihn schwatzten die Brautjungfern mit ihren Kavalieren, kam die Jugend zu Recht mit Scherz und Lachen und dem heimlichen Geplänkel ihrer flüchtigen Siege. Doch Edwin schien niemanden zu sehen als den Bräutigam. Immer wieder hoben sich die blassen Lider, starrten die funkelnden Knabenaugen nach dem Mann, der ihm so wenig gefiel und ihm doch die Schwester entführen durfte für immer.
Seine Suppe blieb unausgelöffelt in dem goldumrandeten Teller. Um so eifriger griff er nach der Madeiraflasche, die der Diener ihm zur Seite stehen gelassen. Er, der sonst kaum ein Glas leichten Bieres trank und vertrug, stürzte den schweren Wein wie Wasser hinunter.
Einmal und förmlich wie emporgezogen von den zornigen Adleraugen des Knaben hatte der Bräutigam nach ihm geschaut. Da hatten ihre Blicke sich wie zwei Dolche gekreuzt.
»Dummer Junge!« lächelte der Gelehrte in sich hinein. Aber freilich, er war der Freund des Verschmähten und hatte während all der Zeit Gott weiß welche Vergleiche zwischen ihm und jenem angestellt. Am besten war es, einstweilen über ihn hinwegzuschauen, wie bisher.
Ein Gang folgte dem anderen. Die jungen Gatten, die wie ein Königspaar in der Mitte der Tafel saßen, bemühten sich bis zuletzt, so unbefangen wie möglich dreinzuschauen.
Annemarien fiel es merkwürdig leicht. Sie starrte noch immer wie in einen silbernen Nebel hinein. Zuweilen geschah es wohl auch, daß ein paar heimliche Tränen ganz plötzlich ihren Blick umdunkelten. Wenn sie in all die lieben Winkel hineinsah, in denen sie als Kind gespielt und gesessen, und durch die offenen Fenster hinaus in das grüne Geschaukel der Zweige. Wie ein Märchen schien ihr, was sie bis nun erlebt, und geradezu wunderbar, daß nun wirklich alles anders werden sollte für sie und jeder Tag vom Morgen bis zum Abend seine eigene Einteilung haben, wie es ihr gefiel. Das bald lärmende, bald larmoyante Wesen der Mutter war ihr zuweilen eine Qual gewesen. Wie eine Schmach für das ganze Geschlecht war es ihr erschienen, daß die Mutter, so lange von dem Vater bedrückt und entwürdigt, durch keine freie Tat, ja nicht einmal mit einem Gedanken oder Wunsch mehr zu ihrem eigenen Selbst zurückfand. So ganz hatte der Mann sie besessen, den sie einmal geliebt ...
Auch über Annemarie kam es wie ein leiser Schwindel, wenn sie bedachte, wie wehrlos die Liebe sie jetzt schon zuweilen gemacht. Aber lag nicht gerade in diesem Gefühl das höchste Glück? In diesem heimlichen Erbeben und Erschauern, wenn der Geliebte nur mit der Hand an ihr vorüberstrich, wie jetzt? Diesem Erglühen des ganzen Blutes, das ihr wie eine heiße Welle ins Antlitz stürzte, sooft er eines jener verhüllten Worte an sie richtete, die für alle andern ganz gleichgültig klingen und doch wie eine wonnige Geheimsprache zwischen zwei Liebenden hin und her gehen können?
Wenn sie aber an den ganz von weißen Spitzen und rosigen Brokatvorhängen verhüllten Raum dachte, in dem ihr Weibgeschick sich erfüllen sollte – an das schöne Heim, das sie im Dämmer des Abends erwarten würde, da weit draußen am Ende der großen Stadt, wo ferne Berge schon in die Fenster hereinsahen und der heiße Duft der Sommerblumen wie eine Wolke in allen Stuben hing – dann verstand sie sich selbst nicht ... wie sie da sitzen und mit feuchten Augen noch ihrer Kindheit nachsinnen mochte oder irgendeine Angst in ihrem Herzen hegen?
Bis sie sich zuletzt mit dem Gedanken tröstete, es sei all dies Bangen wahrscheinlich nichts als – die Ohnmacht, so viel Glück auf einmal zu ertragen.
Um sie aber saßen die anderen und lachten und schwatzten oder nickten ihr bedeutungsvoll zu. »Vergiß es nicht – es ist ein Schicksalstag, ein großer, feierlicher!« Daß es ihr doch immer wieder ganz eigen über die Seele rann; sie überkam wie ein großes, unnennbares Einsamsein. Wenn diese Vielen, die sie von Kindheit auf kannte, nur erst nicht mehr um sie sein würden und sie ganz allein dastehen mit einem Mann, der alle Rechte über sie hatte, den sie über alles liebte und doch um so viel weniger kannte als alle, die bis heute um sie gewesen ...
Und gerade da fiel ihr Blick auf den Bruder – den jüngsten Bruder, der so finster und so schweigsam am Ende der langen Tafel saß und die zornigen Blicke wie