Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie
während des ganzen Tages keine Zeit gefunden, sich um den kleinen Liebling zu sorgen.
»Bijutti!« jubelte sie ganz entzückt auf, als der Kleine mit aufjauchzendem Gekläff über die Treppe auf sie zustürzte und mit den großen, besorgten Kugelaugen immer wieder zu ihr emporsah.
»Siehst du, nun haben wir uns wieder!«
»Ja,« lächelte der Gatte: »Nur in deinem Bett wird kein Platz mehr für ihn sein.«
Annemarie errötete und ließ den Kleinen wieder vorsichtig zur Erde gleiten.
»So werd ich ihm sein Pölsterchen vor die Türe legen.«
»Meinetwegen,« klang es übermütig zurück. »Um das, was er besser hört als Renate, muß er schweigen.«
Es war gut, daß sie in die grüngoldige Dämmerung des Flurs traten, so heiß brannten Annemaries Wangen unter den Worten des Geliebten auf.
Wenn sie bis heute im Jubel ihres Glückes, unter dem Sturm seiner Küsse zuweilen ein gehauchtes: »Ich bin dein« vor sich hingestammelt, war es doch bloß eben nur ein Wort gewesen gegen das jede andere Empfindung nun gleichsam verschlingende Gefühl der Gewißheit seines Rechtes in dieser Stunde.
Und wieder schien sich etwas ganz leise, ganz heimlich in ihr aufzulehnen. Aber es kam nicht mehr zu Wort. Hier war hinfort ihr Heim, in den Armen des Gatten ihr Glück und ihre Zuflucht. Mit nassen Augen und scheuem Blick starrte sie auf die Schwelle des Flurs, bevor sie hinüberschritt in das Reich, in dem die Liebe das Weib wie eine Sklavin fesselt.
Die Fenster der Stuben, die sie zuerst durchschritten, standen weit offen und sahen mitten in den Garten hinein und über ein Beet voll dunkler Violen, die wie violetter Sammet im letzten Schein des Abends aufleuchteten. Das grüne Gerank des wilden Weines spann sich bis zu den Fenstern herein. Dazwischen zog sich ein dichtes Gewirr blühender Waldreben. Sie dufteten heiß und seltsam, als atme ein ferner Birkengrund herüber.
Leis, wie verträumt plätscherte aus der Tiefe des Gartens ein Wässerchen. Annemarie hatte als Braut zuweilen das heiße Antlitz in dem moosigen Becken des kleinen Springquells gekühlt. Nun rief ihr ein Geplauder die Erinnerung an die lieblichen Stunden wach, da sie in Begleitung der Mutter während der Einrichtung des jungen Heims hier zuerst voll stillen Glückes aus- und eingegangen. Das seidige Grün des Mai war damals noch über diesen Wipfeln gehangen. Alles war sonniger und freier und heller gewesen, wie ihr schien. Nun lag die Schwüle des Sommers und der heiße Duft seiner Blumen über dem alten Garten und dem stillen Haus, und die Zweige hingen wie grüne Sammetvorhänge überall an den Fenstern nieder. Kaum fühlbar und wie beklommen atmete die Luft.
Auch Annemaries Herz begann leise zu pochen ...
Die Blumen, die Annemarie während dieser Tage als Angebinde erhalten, waren in die Vasen der Stuben verteilt, ihre Hochzeitsgeschenke, kostbare Teppiche, Spitzen und Silberzeug in gefälligen Lagen und Gruppen geordnet.
Und da – wahrhaftig! Annemarie sah es zuerst und kicherte leise auf – da stand auch der gedeckte Kaffeetisch! Nein, Mama hatte nichts vergessen.
»Ich hab' es ja gewußt!« lachte der junge Gatte ... »Aber ich denke – davon haben wir heute genug! Du bist doch derselben Meinung?«
Annemarie sagte weder ja noch nein. Sie errötete und starrte zum Fenster hinaus.
»Tragen Sie diese Kannen wieder hinab,« wandte sich Wilhelm mit erhöhter Stimme an die alte Dienerin.
»Hinab, ja!«
»Der Tisch kann gleich für morgen früh gedeckt bleiben.«
Die runzeligen Lider der Alten fielen halb verschämt, halb verständnisvoll über die dunklen Augen. Mit einem tiefen Knix und in einer Art komischer Hast eilte sie über die Treppe in ihre Küche hinunter.
Einen Augenblick blieb es still. So still, daß das tiefe Gesumme der Bienen und Hummeln nun bis in die Stube hineinklang.
Annemaries Gatte schritt leis auf eine Türe zu, die bisher verschlossen geblieben war. Mit einer einzigen Bewegung schlug er beide Flügel zurück.
Weiße Spitzenkissen leuchteten aus dem Dunkel. Rosa Brokatvorhänge. Weiche, seidene Haidschnuckenfelle. In einer Ecke hielt die kristallhelle Fläche eines silbernen Toilettenspiegels den purpurnen Glanz des Abends fest. Aus allen Vasen und Kelchen aber blühten hochgestielte, dunkle Zentifolien, tiefrot, fast schwarz wie jene, die Annemarie gestern in den Händen gehalten – um dieselbe Stunde.
Wie eine heiße Welle schlug ihr Duft aus dem Brautgemach ...
Sie hatte alles gesehen, alles – und starrte doch noch immer scheinbar in den Garten hinaus, den Kranz im Haar, den weißen Schleier um den noch jungfräulichen Leib.
»Wie schön dieser Abend ist!« hauchte sie mit langsam stockendem Atem.
Es sollte unbefangen klingen und riß ihr doch alles von den Lippen, was in ihr zagte und jubelte.
»Ja,« sprach der junge Gatte, mit einem raschen Schritt an Annemarie herantretend. »Und das Schönste an ihm ist, daß er ganz mir gehört.«
Und während er die Braut mit der einen Hand an sich zog, ließ die andere rasch die seidenen Sonnenblender nieder.
*
Es war in derselben Nacht, daß Annemarie plötzlich und wie angerufen aus einem wirren Traum emporfuhr. In ihren Ohren sang das Blut. Ihre Pulse pochten noch immer im hämmernden Takt der ersten Liebesstunde. Eine seltsame Beklemmung preßte ihr das Herz zusammen. Als wäre die weite Stube plötzlich enger geworden und hätte keine Luft mehr für ihren stockenden Atem.
Ihr erster Blick fiel auf den Gatten. Schien ihr doch, als hätte er eben ihren Namen genannt und sie wäre darüber erwacht. Doch er schlummerte tief und fest, auf den Lippen ein Lächeln, das sie heimlich erröten machte.
Rasch kippte sie das Licht wieder ab, sah mit großen Augen um sich – fremd und fast verwundert.
Draußen stand die blaue Mondnacht über den Wipfeln ... Wie eingewebt lag der Schatten des Fensterkreuzes in der blaßgelben Seide der Blender. Und wie Annemarie so aufhorchend dasaß, schien ihr, als käme ein leises Singen von draußen, weich, geheimnisvoll, unsäglich verlockend.
»Mondzauber!« dachte sie. Da war es fast eine Sünde, hinter geschlossenen Fenstern wachzuliegen.
Sie erhob sich, tappte mit den Fußspitzen nach den blauseidenen Pätschelchen in dem weißen Haidschnuckenfell, stahl sich sachte, ganz sachte vom Lager, immer weiter in die Stube hinein, dann in das nächste Zimmer, wo der Tisch noch gedeckt stand und die Blumen ihren betäubenden Atem in die schwüle Luft hauchten.
»Hier werd' ich öffnen!« dachte Annemarie. »Drinnen könnt' ihn das Mondlicht wecken ...«
Woher ihr mit einem Male die Sehnsucht kam, ganz allein zu sein, wie im weißen Frieden ihrer Mädchenkammer?
Sie gab sich keine Rechenschaft darüber, meinte wohl auch, daß sie das alles nur darum so verstohlen tue, um den Gatten nicht zu wecken. Und doch hatte sie ganz deutlich das Gefühl, es zittere auch in ihrer Seele etwas von dem geheimnisvollen Glanz der Gestirne da draußen und zöge sie ihnen nach in Fernen, die weit jenseits der Welt lagen, in der ihr Gatte lebte und träumte.
Mit vorsichtiger Hand öffnete